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Himmlische Visionen für das All

Astronomie. – Europas Astronomen müssen entscheiden, für welche Projekte sie die Ihnen zur Verfügung gestellten Mittel ausgeben wollen. Im Rahmen des EU-Forschungsnetzwerks Astronet müssen sie definieren, was ihre wichtigsten Projekte in den kommenden zehn bis 20 Jahren sind. Heute Mittag ging im französischen Poitiers die Tagung "Wissenschaftliche Vision für Europas Astronomie" zu Ende.

Von Dirk Lorenzen | 25.01.2007
    Zwischen dem Weltall und Europas Forschungsbudget gibt es einen wesentlichen Unterschied: Das eine ist unendlich, das andere nicht. Also müssen die Astronomen Prioritäten setzen. Dazu diskutieren sie nun, was die großen Fragen sind, die alle angehen - und mit welchen Instrumenten man ihrer Antwort zumindest näher kommt. Leiter der europaweiten Astronet-Arbeitsgruppe "Wissenschaftliche Visionen" ist Tim de Zeeuw, Direktor der Sternwarte Leiden.

    "Es gibt starkes Interesse, einen großen Nachfolger für unsere Teleskope in Chile zu bauen - wir sprechen vom "extrem großen Teleskop". Mit gut 40 Metern Durchmesser könnte es in etwa zehn Jahren ins All blicken. Außerdem gibt es exzellente Gründe für ein riesiges Radioteleskop ganz neuer Bauart, das die Astronomie in vielen Bereichen weit voranbrächte."

    Beide Instrumente würden den Astronomen unerreicht scharfe Blicke ins All ermöglichen. Das ist wichtig, um bisher rätselhafte Phänomene wie die Entstehung von Galaxien und Schwarzen Löchern zu verstehen. Die Riesenteleskope stünden auf dem Erdboden - doch für manche Projekte müssen die Forscher der Erde entfliehen. De Zeeuw:

    "Viele wollen eine neue Generation von Satelliten, die Strahlung sehen können, die von der Atmosphäre verschluckt wird. So sollte bald ein neues Röntgenteleskop die extrem energiereichen Phänomene erforschen. Das aktuelle Röntgeninstrument wird langsam alt - und Bau und Entwicklung dauern lange. Zudem wäre im Bereich der Infrarot-, also Wärmestrahlung ein Satellitenverbund sehr sinnvoll, ein so genanntes Interferometer. Damit könnte man womöglich die ersten erdähnlichen Planeten bei anderen Sternen fotografieren."

    Im Rahmen des EU-Forschungsnetzwerks Astronet müssen Tim de Zeeuw und seine Kollegen jetzt eine langfristige Strategie entwickeln, welche wissenschaftlichen Projekte wie umgesetzt werden sollen. Dabei geht es keineswegs nur um den fernen Kosmos, um Dunkle Energie und Dunkle Materie. Auch vor unserer himmlischen Haustür gibt es noch viel zu entdecken, betont Oskar von der Lühe vom Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik in Freiburg:

    "Wir wissen zum Beispiel, dass die Helligkeit der Sonne ganz schwach variiert im Laufe eines Sonnenfleckenzyklus, also in einem Rhythmus von elf Jahren. Das ist wirklich nur ein Promilleeffekt. Aber andere Sterne, die recht sonnenähnlich sind, zeigen dort stärkere Schwankungen. Es ist nicht ganz klar, ob das einfach ein Effekt ist, der dadurch zustande kommt, dass wir die Sonne immer nur in der Äquatorebene sehen und dass die Variabilität ganz anders aussehen kann, wenn man mal die Gelegenheit hätte, von oben auf die Pole der Sonne zu schauen."

    Von der Lühe steht dem Unterkomitee "Sonnensystem" von Europas Strategie-Gruppe vor. Mit großen Teleskopen auf der Erde kann man die extrem dynamische Sonnenoberfläche beobachten. Doch die Pole der Sonne sind von der Erde aus nie zu sehen - auch hier muss ein Satellit helfen. Von der Lühe:

    "Die Sonnenphysiker in Europa haben ein Mission definiert, die auf ungefähr 20 Prozent des Abstands Erde-Sonne an die Sonne herangehen würde. Man hat zum Beispiel den Vorteil, dass die Sonde in der Nähe der Sonne sich mit einer Rate bewegt, die der Sonnenrotation entspricht. Für eine gute Woche würde man immer auf dieselbe Stelle der Sonne schauen, sowohl mit Instrumenten, die auch den Sonnenwind und die von der Sonne ausgehenden Teilchen dann am Ort der Sonde beobachten. Man sähe also direkt auf die Quellen dieser Teilchen und könnte sehr viel lernen über die Entstehung des Sonnenwindes und die Konditionen, die dafür nötig sind."

    Die Sonne ist der einzige Stern, der sich detailliert erforschen lässt, alle anderen sind Lichtjahre entfernt. Somit ist die Sonne der Schlüssel zum Enträtseln der Sterne in den Tiefen des Alls. Doch den Astronomen stehen nun große Kämpfe bevor: Ist Sonnenforschung wichtiger als Planetensuche? Soll man nach Schwarzen Löchern fahnden oder die Chemie ferner Galaxien untersuchen? Die Forscher setzen jetzt erstmals europaweit Prioritäten und bündeln ihre Finanzmittel. Dabei müssen sie sich auch von einigen heutigen Instrumenten trennen. Man könne, hieß es in Poitiers, nicht immer neue Brillen fordern, ohne auch mal alte wegzuwerfen.