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Hindenburgs Wahl als Auftakt zum Dritten Reich

Im Frühjahr 1925 beginnen in Europa die Wunden des Ersten Weltkrieges zu verheilen. Technischer Fortschritt und ein von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehendes Wirtschaftswunder sorgen dafür, dass die blanke Not der Nachkriegsjahre vorbei ist. In Frankreich und England kommen gemäßigte Regierungen ans Ruder, die einen Ausgleich zwischen den ehemaligen Kriegsgegner suchen. Durch Deutschland dagegen verlaufen nach wie vor tiefe ideologische Gräben. Die Feinde der jungen Republik sind zahlreich, die Parteien der Mitte haben Schwierigkeiten, ihr Bündnis gegen Monarchisten, Nationalisten und Kommunisten regierungsfähig zu halten. In diesem Jahr wird außer der Reihe ein Reichspräsident gewählt. Denn Friedrich Ebert, der erste in diesem Amt, stirbt. Am 29. März 1925 wird in Deutschland zum ersten Mal der Reichspräsident direkt vom Volk gewählt.

Von Andreas Baum | 29.03.2005
    Das Jahr 1925 war in mancher Hinsicht ein Schicksalsjahr für die junge Weimarer Republik. Nach sechs Jahren Demokratie war das Vertrauen der Deutschen in die Republik auf einem Tiefpunkt. Unruhen und Putschversuche, ständige Regierungswechsel, politische Morde und die Verarmung des Mittelstandes nach dem Inflationsjahr 1923 - all dies führte dazu, dass der Ruf nach einem starken Mann an der Spitze des Staates immer lauter wurde. Viele Deutsche wollten schlicht ihren Kaiser Wilhelm wieder haben. Am 29. März 1925 wurde zum ersten Mal - so sah es die Verfassung vor - der Reichspräsident direkt vom Volk gewählt - was diesem Amt ein ungeheures Gewicht verlieh. Die starke Position des Reichspräsidenten war umstritten, schon als die Nationalversammlung im Jahre 1919 in Weimar die Verfassung verabschiedete, warnte der sozialdemokratischen Verleger Richard Fischer:

    "Wir müssen mit der Tatsache rechnen, dass eines Tages ein anderer Mann aus einer anderen Partei, vielleicht einer reaktionären, staatsstreichlüsternen Partei an dieser Stelle stehen wird."

    Bis 1925 stand an dieser Stelle ein Mann, der seine Macht nicht missbraucht hatte. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert war noch von der Nationalversammlung zum Reichspräsidenten ernannt worden. Er galt als Mann des Ausgleichs zwischen Rechts und Links.

    "In diesem Geiste lassen Sie mich zu meinem Teil die Verfassung halten, vertiefen und schützen."

    Ebert stirbt vor Ende der ihm zugedachten Legislaturperiode, am 28. Februar 1925. Nun muss ein neuer Reichspräsident bestimmt werden. Am 29. März 1925 soll dies geschehen, zum ersten Male so, wie es die Verfassung vorsieht: In einer direkten Wahl des Volkes. Die Rechtsparteien schließen sich zusammen und finden einen gemeinsamen Kandidaten, den Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres. Er bekommt am Wahltag die meisten Stimmen, fast 39 Prozent. Ihm folgen der Sozialdemokrat Otto Braun mit 29 und der Zentrums-Mann Wilhelm Marx mit gut 14 Prozent. Der Kommunist Thälmann und der von den Nationalsozialisten aufgestellte Weltkriegsgeneral Ludendorf sind vergleichsweise weit abgeschlagen. Da keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit erhält, wird nun eine Stichwahl notwendig. Die Parteien der Mitte nominieren den Zentrums-Mann Wilhelm Marx. Daraufhin einigen sich die Rechten auf einen Kandidaten, der im ersten Wahlgang nicht dabei war.

    "Ich erinnere an den Geist von 1914 und nach der Frontgesinnung, die nach dem Manne fragte, und nicht nach dem Stande oder der Partei."

    Generalfeldmarschall Paul von Beneckendorff und von Hindenburg, 1847 in Posen geboren, 77 Jahre alt. Er gehört zu den wenigen erfolgreichen Feldherrn des Ersten Weltkrieges und ist ungeheuer populär bei denjenigen, die der Republik misstrauen. Der loyale Monarchist Hindenburg holt sich sogar die Erlaubnis des im holländischen Exil weilenden Kaisers, bevor er sich am 7. April 1925 bereit erklärt, für den so genannten "Reichsblock" zu kandidieren. In der Stichwahl am 26. April 1925 erzielt Hindenburg 48,3 Prozent. Marx verliert knapp mit 45,3 Prozent. Es war den Rechten gelungen, Hunderttausende von Menschen zu mobilisieren, die beim ersten Mal nicht dabei waren. Die liberale "Frankfurter Zeitung" kommentiert den Wahlausgang mit Bitterkeit.

    "Wir wissen doch alle, was diese große Schar bisheriger Nichtwähler diesmal an die Urne geführt hat. Es ist der romantische Strahlenglanz, den die Fieberphantasien verelendeter und in ihrem nationalen Selbstbewusstsein schwer getroffener Volksschichten um das Haupt des Feldherrn gewoben haben, ohne dass sie sich der Tatsache bewusst werden, dass sie persönliches wie nationales Elend einzig jenem alten System kaiserlicher Staats- und Kriegsführung zu danken haben, als dessen Repräsentanten sie jenen Feldherrn verehren."

    Und tatsächlich wird Hindenburg verehrt wie ein absolutistischer Herrscher. Aus einer Radioreportage des Jahres 1931:

    "Ja, der Reichspräsident erscheint Ehrengruß der Kanonen, drüben von Kroll her. Die Fahnen strecken sich hoch zum Gruß des Reichspräsidenten, der Reichspräsident auf der Freitreppe im Spalier der Schupo frei wie wir’s in den Vorjahren mit Freude sehen konnten, steigt der Präsident die Stufen nieder! Von niemand gestützt, sich selbst nicht stützend, jetzt nimmt er den Hut vom Kopf, Hurra-Rufen von allen Seiten, Hüte schwenken. Der Reichspräsident auf dem Gang zur Spitze der Ehrenkompanie, zu den hoch präsentierten Fahnen, den alten Regimentsfahnen."

    Hindenburgs Wahlsieg war auch ein Protest gegen alles, was die Weimarer Republik im Nachhinein modern erscheinen lässt: Ihre Weltläufigkeit, ihre Toleranz, ihr ziviler, unprätentiöser Charakter. Deutschnationale Politiker witterten mit ihm an der Spitze die Chance, ein neues Kaiserreich zu etablieren – und bahnten so den Nationalsozialisten den Weg zu ihrem "Dritten Reich".