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Hinter der Kamera

Eine Retrospektive der Fotographien Cy Twomblys zeigt das Museum für Gegenwartskunst in Siegen. In seinen Werken hat er bewusst über- oder unterbelichtet und eine atomsphärische Dichte kreiert, in der sich sein eigener künstlerischer Blick präsentiert.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Karin Fischer | 25.07.2011
    Karin Fischer: Anfang Juli ist Cy Twombly 83-jährig an Krebs gestorben. Er galt als einer der eigenwilligsten Maler im Sinne von eigenständig, der seit den 80er-Jahren aus Fundstücken auch Skulpturen baute, die die verschwiegene Poesie seiner Bilder durchaus aufnehmen. Das Museum für Gegenwartskunst in Siegen zeigt nun als zweite Station nach dem Museum Brandhorst in München eine allerdings ergänzte und erweiterte Retrospektive der Fotographien Cy Twomblys. An deren Konzeption hat der Künstler noch mitgearbeitet. – Frage an Christiane Vielhaber: Wie würden Sie dieses viel unbekanntere fotographische Werk Twomblys im Gegensatz zu oder in Übereinstimmung mit seinem Malerischen beschreiben?

    Christiane Vielhaber: Letzteres ist wichtig, in Übereinstimmung. Wenn man zum ersten Mal Twomblys Malerei sieht, dann denkt man, das ist eine Kinderkritzelei. Würde man jetzt zum ersten Mal seine Fotographien sehen – es sind alles mit der Sofortbild-Kamera aufgenommene Stillleben, Naturlandschaften, Sonnenuntergänge, also mit einer Polaroid -, dann würde man sagen, der sollte erst mal sein Handwerk erlernen, bevor der zur Kamera greift. Aber gerade was jetzt in Siegen passiert, wo er 1987 als Rubens-Preisträger ausgezeichnet wurde – und darum ist er auch hier jetzt mit diesen Fotographien zu sehen -, was da passiert, ist eine, ich sage das jetzt mal pathetisch, gegenseitige Befruchtung. Sie haben Malereien von Twombly und sie haben die Fotographien, sie haben eine Skulptur – Sie sprachen eben von Fundstücken -, eine Skulptur, wenn sie von vorne gucken denken sie, ach, das ist doch ein kleiner Giacometti, und gucken sie von der Seite, dann sehen sie, es ist einfach ein in Bronze abgegossener Pümpel. Also wenn sie das sehen und dann wiederum die Fotographien, dann können sie sich eigentlich einen Reim darauf machen, wie das alles zusammenkommt.

    Fischer: Es sind so verwischte Eindrücke eher, die diese Bilder liefern, von Blumen in Großaufnahme, oder von Objekten, die aber doch auch das materialhaft Poetische haben, wie man das von Twombly kennt. Sie haben die Polaroid erwähnt. Was hat er gemacht?

    Vielhaber: Er hat einfach draufgehalten, oder man könnte jetzt denken, ihm war es völlig egal, was er da fotographiert, dass das so was Beiläufiges hat. Das hat es natürlich ganz genau nicht, denn so wie er als Maler auch berechnend war, auch wenn es aussieht wie Kritzelei, hat das alles eine Struktur, und das ist bei diesen Fotographien ganz genauso. Er weiß ganz genau, wann er den Blitz zum Beispiel auf Bilder lässt; das sind eigentlich nur Farne oder Gräser. Und dann haben sie das Gefühl, die Sonne scheint da rein. Oder wenn sie das Gefühl haben, er geht ganz nah dran, also etwas fragmentiert ein Detail raussucht, und sie gehen dann wirklich auch als Betrachter ganz nah an diese unscharfe Fotographie, sie möchten eigentlich auf die Sprünge kommen, was ist das eigentlich, und dann erkennen sie ein bisschen. Zum Beispiel sind auch abartige Sachen dabei, dass er so yard sale – also was würden wir sagen - Hausabverkauf oder Hofverkauf. Dann stehen da irgendwelche Gläser herum, oder dann ist irgendwie ein kitschiges Zeug, aber man sieht wirklich seinen künstlerischen Blick. Das ist eben nicht beiläufig, sondern das ist ganz bewusst unscharf, das ist ganz bewusst überbelichtet oder unterbelichtet aufgenommen worden und im Grunde genommen mit einer atmosphärischen Dichte, was sie dann wieder bei seiner Malerei finden.

    Und ganz toll ist es an der Stelle, wo er seine eigene Malerei fotographiert. In Siegen sind zu sehen zum Beispiel diese großen Rosenbilder, die im Brandhorst-Museum unter anderem in München hängen, und dann geht er ganz nah heran an diese Rosenbilder und dann haben sie das Gefühl, da tropft es wirklich richtig runter, und dann steht in Siegen ein Rosenbild und dann merken sie eigentlich dieses in eins fallen von einem künstlerischen oder bildnerischen Gedanken.

    Fischer: Sie haben von der gegenseitigen Befruchtung gesprochen. Wie kam er denn zur Fotographie und welchen Stellenwert im Rahmen von Malerei, Skulptur und Fotographie nimmt dieses Werk denn ein?

    Vielhaber: Man spricht heute niemals davon, dass er fotografiert hat. Die Fotographien sind ja auch erst in den letzten zehn Jahren an die Öffentlichkeit getreten. Er hat Fotographie studiert. Und hinreißend in dieser Siegener Ausstellung ist ein Foto, er als 16-Jähriger, also 1944, mit Anzug und Krawatte und Hut unter einem Sonnenschirm, lässt sich fotografieren, oder fotografiert sich selbst im Stile der französischen "Plenai"-Malerei. Also er sitzt da in der Landschaft vor der Staffelei und dann merken sie, dass im Grunde genommen auch seine Fotographie einen ganz malerischen Ursprung hat und im Grunde genommen ganz malerisch wirken soll.

    Fischer: Herzlichen Dank an Christiane Vielhaber für diesen Überblick über das fotographische Werk von Cy Twombly, zu sehen in Siegen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.