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Hinterhof der Olympischen Spiele

Das Département Pas-de-Calais litt unter dem Klischee, es sei rückständig und arm. London ist von der nordfranzösischen Region jedoch mit dem Euro-Star in einer Stunde zu erreichen. Viele Olympioniken trainieren lieber hier als auf den britischen Trainingsstätten – vor allem wegen der Ruhe.

Von Christiane Kaess | 06.08.2012
    An einem Kanal gleiten fünf schmale Kajaks ins grünbraune Wasser. Die Athleten aus dem Senegal, aus Usbekistan und aus Samoa trainieren an diesem Vormittag am Rande der kleinen Stadt Arras im nordfranzösischen Departement "Pas-de-Calais". Das Wetter macht heute dem Klischee, hier herrsche bereits britisches Klima alle Ehre. Auf die Wasseroberfläche fallen beständig Regentropfen. Ousseynou Lo aus dem senegalesischen Team stülpt sich die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf.

    "Wir trainieren hier und nicht in London, weil wir schon seit vier Jahren eine Partnerschaft mit dem lokalen Klub hier haben. Außerdem haben wir festgestellt, dass es hier gut für unsere Athleten ist, denn jedes Mal, wenn wir hier trainieren, egal ob für die Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele, haben wir Fortschritte gemacht."

    Und an das nordeuropäische Wetter kann man sich hier schließlich auch gewöhnen:

    "Ein bisschen schwierig ist es schon, aber wir waren schon im Januar hier für eine internationale Regatta hier und das war viel schlimmer."

    Viele der Athleten, die lieber hier trainieren als auf den britischen Trainingsstätten schätzen vor allem die Ruhe – abseits vom Londoner Trubel. Seitdem sich das Departement im Jahr 2005 an die Renovierung seiner Sportanlagen gemacht hat, mit dem Ziel der Hinterhof der Olympischen Spiele zu werden, wurden 150 ausländische Delegationen empfangen, allein im Juli vor und zu den Olympischen Spielen waren es fast 50. Dass darunter auch Englische waren, darauf ist man natürlich ganz besonders stolz, amüsiert sich Luc Charpentier, der für das Département arbeitet.

    "Zwischen Frankreich und Großbritannien gibt es ja historisch schon immer ein bisschen Rivalität. Die Engländer haben sich also gefragt, was machen die da in Pas-de-Calais. Nehmen die uns die Olympiade weg? Aber jetzt hat jeder seinen Vorteil davon."

    Nicholas Defachelle vom "Allgemeinen Rat" des Departements ist über seine Motivation, die Athleten hier zu haben, ganz offen.

    "Das Département Pas-de-Calais ist in diesem Fall einfach eine Trumpfkarte. Der Hinterhof der Olympischen Spiele zu werden, das ist wie ein fantastisches Schaufenster, in dem wir uns ausstellen können. Die Presse aus der ganzen Welt besucht uns, man spricht über uns in der ganzen Welt – einfach eine wunderbare Werbung."

    Zu lange litt die Region unter den Negativklischees: rückständig und arm – der Kohlebergbau zerstörte die Landschaft, die Arbeitsplätze gingen mit seinem Ende verloren. Umso mehr legt man sich jetzt dafür ins Zeug, dass auch nach der Olympiade die modernisierten Sportstätten weiterhin Sportler aus der ganzen Welt anziehen – für internationale Wettbewerbe oder kommende Olympiaden. Defachelle glaubt, die Investitionen sind gut angelegt.

    "Dort zum Beispiel, wo die Turner üben, haben wir errechnet, dass die Einkünfte der lokalen Wirtschaft in der Region bei einer Million Euro liegen. Das alles bringt uns Arbeitsplätze und die Investitionen kommen zurück."

    Vor dem Wildwasserbecken mitten in der Stadt steht eine Gruppe von Jugendlichen. Viele Mitglieder des lokalen Klubs wollen einfach nur Spaß haben – und sind dennoch nah an der lokalen Prominenz wie Marie Delattre-Demory. Die Kajak-Fahrerin konnte bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 eine Bronzemedaille ergattern und ist jetzt die große Hoffnungsträgerin. Dass sie in ihrem Heimatclub nun für Olympia trainiert, findet sie gut Vorteile, auch wenn sie weit weg ist von der Atmosphäre der Londoner Spiele.

    "Wir haben eine kleine Eröffnungsfeier im Trainingslager gemacht – zusammen mit der kanadischen Mannschaft, um uns in Stimmung zu bringen. Ich hab die Eröffnungsfeier im Fernsehen gar nicht bis zum Ende gekuckt, denn ich bin ja in meiner Erholungsphase – da konnte ich nachts gar nicht so lange durchhalten. Den Einzug der französischen Athleten habe ich mir am nächsten Tag bei YouTube angeschaut. Aber seitdem läuft bei mir 24 Stunden lang der Fernseher."

    Ob der Enthusiasmus über den Vorhof der Olympischen Spiel, der hier allgegenwärtig ist, nachlässt? Luc Charpentier vom Département Pas-de-Calais ist sich auf alle sicher, dass der Region nichts Besseres passieren konnte.

    "Wenn die Spiele in Paris wären, weiß ich nicht, ob wir so einen Rücklauf hier hätten. Bei der Entscheidung 2005 für den Ort der Spiele war das eine große Enttäuschung für viele Franzosen – die Leute haben echt geweint. Aber wir, wir haben überhaupt nicht geweint."