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Historie
Operation Piratenjagd

Alain Felkel beleuchtet die Geschichte des Seeraubs von der Antike bis heute in ihrem historischen Zusammenhang - und man kann viel Neues erfahren, zum Beispiel Parallelen zwischen Piraten der frühen Neuzeit und den heutigen am Horn von Afrika. Allen gemeinsam: gewisse Freiräume, die sie nutzen konnten. Und die Verfolgung durch Piratenjäger.

Von Ulrike Klausmann | 15.12.2014
    Eine Piratenflagge weht in Wildpoldsried (Schwaben) im Wind.
    Piratengeschichte wiederholt sich. (picture-alliance/ dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    "Ich wollte dem Leser auch mal einen neuen Horizont eröffnen in dem Sinne, dass man auch über Piraten beziehungsweise Epochen schreibt, in der Seeraub dominierend war, die noch gar nicht so geschildert wurden, vor allem nicht in deutscher Sprache. Das war mir so ein Herzensanliegen, dass diese unerzählten Geschichten, dass unerzählte Geschichte überhaupt in Sachen Seeraub mehr publik gemacht werden, nicht nur Störtebeker, nicht nur Roberts, nicht nur Schwarzbart-Teach. Piraterie ist mehr, und die Geschichte des Seeraubs ist auch immer die Geschichte der Piratenjagd."
    Alain Felkel beleuchtet die Geschichte des Seeraubs von der Antike bis heute in ihrem historischen Zusammenhang. Das haben zwar vor ihm auch schon andere gemacht. Aber selbst wer den Klassiker von Hans Leip gelesen hat, die Geschichte der Piraterie, kann in Felkels Buch dem Buch von Felkel viel Neues erfahren. Zum Beispiel über die Seeräuber Kilikiens im Südosten Kleinasiens. Sie machten im ersten vorchristlichen Jahrhundert weite Teile des Mittelmeeres unsicher und betrieben einen blühenden Sklavenhandel mit dem aufstrebenden römischen Reich. Wie so oft im Zusammenspiel von Krieg, Handel und Piraterie waren die Seeräuber zunächst willkommene Handlanger, bis sie zu mächtig wurden und das politische Gleichgewicht gefährdeten. Rom setzte den klugen Strategen Gnaeus Pompeius gegen die Piraten ein, mit Erfolg.
    Gnaeus Pompeius erkannte soziale Bedingungen von Piraterie
    "Die heutigen Piratenbekämpfer könnten sehr viel von Gnaeus Pompeius lernen, nur muss man natürlich dazu sagen, dass kaum einer der Piratenbekämpfer eine derartige Machtfülle besitzen wird, wie Gnaeus Pompeius. Was vor allem aber an ihm interessant ist, ist nicht so sehr der militärische Sieg, der war ja fast zwangsläufig, wenn man sich seine Macht einmal anguckt, sondern dass er tatsächlich eine politische Message sozusagen hatte, dass er tatsächlich die sozialen Bedingungen von Piraterie durchschaut und erkannt hatte und den Piraten eine Perspektive bot, nicht bis zum Äußersten kämpfen zu müssen, sondern ihnen durch Kapitulation vielleicht ein besseres Leben zu erlangen."
    Gnaeus Pompeius siedelte die Piraten um und stellte ihnen Ackerland zur Verfügung, heute würde man sagen: Sie wurden sozial integriert. Felkel veranschaulicht in seinem Streifzug durch die Geschichte der Freibeuterei die Bedingungen, unter denen Seeraub entsteht, zur Blüte kommt und letztendlich zerschlagen wird. Die Entwicklungen sind oft vergleichbar, und es lassen sich auch Vergleiche zwischen den Kilikischen und den heutigen Piraten am Horn von Afrika ziehen.
    "Es gibt durchaus Parallelen zwischen den somalischen Piraten und Piraten der Vergangenheit, sprich der Kilikier in der Antike, Barbaresken und Uskoken in der frühen Neuzeit sowie auch den Boukaniern in der Karibik zum Beispiel. All diese Parallelen fundieren eigentlich darauf, dass es gewisse Freiräume gab für die Piraterie. Es kann ein zerfallender Staat sein, es können zerfallende Herrschaftsgebiete sein, die letztendlich zu Niemandsländern werden, wo die Piraten Unterschlupf finden, wo sie eine Basis finden, es können auch total unentdeckte Länder sein wie im Fall der Karibik, also noch nicht definierte klare Herrschaftsräume, wo sich die Piraterie einnistet, und natürlich braucht die Piraterie das Spannungsfeld von Großmächten, die miteinander im Krieg liegen oder Handel betreiben, wo sie sich letztendlich betätigen kann."
    Pirat oder Jäger? Der Übergang war fließend
    Geschichte wiederholt sich, und so lassen sich auch in dem Buch, das immerhin einen Zeitraum von über 2.000 Jahren umfasst, Wiederholungen nicht vermeiden. Dennoch wird es nicht langweilig, und das ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass der Autor doch hin und wieder dem Charme der Schurken erliegt. Eine klare Trennung zwischen Pirat und Piratenjäger war bis ins 19. Jahrhundert hinein ohnehin kaum möglich. Die Definition richtete sich nach den Interessen der jeweiligen Seemacht.
    "Wenn man ein Bedürfnis hatte, wenn es wieder einen Krieg gab, waren sie gern gesehene Gesellen, die dann mit staatlicher Rückendeckung im Prinzip Piraterie ausübten, und wenn diese Rückendeckung nicht da war, waren sie Geächtete, die man bis aufs Blut verfolgte, vor allem, wenn sie die eigene Marine schädigten."
    Erst die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 sorgte für klarere Verhältnisse und größere Rechtssicherheit. Dennoch ist bis heute die Verfolgung der Seeräuber häufig von nationalen Interessen verschiedener Länder beeinträchtigt. Felkel liefert spannende Beispiele, die er an manchen Stellen detaillierter hätte ausführen können.
    "Der modernste Fall einer sehr klugen und listigen Aktion in Sachen Piratenjagd ist natürlich die Verhaftung von Mohammed Abdel Hassan alias Afweyne alias Big Mouth."
    Der somalische Piratenanführer hatte 2009 den Frachter "Pompei" kidnappen lassen und zwei Millionen Dollar für Schiff und Mannschaft erpresst.
    Piraten als Feldherren
    "Big Mouth alias Afweyne ist der große Feldherr, wenn man so will schon fast, das sind ja richtig paramilitärische Operationen, und Big Mouth ist gar keiner, der armen Kerle, die da irgendwie aufentern mit zusammen gezimmerten Leitern. Nein, nein, er hat sich die Hände nicht schmutzig gemacht."
    Mit seiner Verhaftung ging den Piratenjägern erstmals einer der Hintermänner der somalischen Piraterie ins Netz.
    "Man hatte sich getarnt als Dokumentarfilmer, die sollten sozusagen einen Film über das Leben von Afweyne machen beziehungsweise auch über somalische Piraterie, hatten ihn als Experten angeheuert, mit einem weiteren Komplizen und unter falschen Versprechungen ganz einfach nach Brüssel gelockt. Dort wurde er verhaftet, also im Prinzip Opfer seiner eigenen Eitelkeit."
    Ob diese Episode Geschichte hundert Prozent der Wahrheit entspricht oder auch zu den Mythen gehört, das mögen die Historiker der nächsten Generationen herausfinden. Ein Buch, in dem solch ein großer Zeitraum auf 400 Seiten gebannt ist, lässt gezwungenermaßen Fragen offen. Dennoch ist die "Operation Piratenjagd" von Alain Felkel eine lohnende Lektüre für alle, die an Seefahrt, Abenteurern und an geschichtlichen Zusammenhängen interessiert sind.
    Alain Felkel: "Operation Piratenjagd. Von der Antike bis zur Gegenwart." Osburg Verlag, 420 Seiten, 24,99 Euro.