Freitag, 29. März 2024

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Historiker über Hohenzollern
Kronprinz Wilhelm leistete Nationalsozialismus erheblichen Vorschub

Kronprinz Wilhelm habe den Nationalsozialismus vor allem in den frühen 1930er-Jahren in seinem Aufstieg unterstützt, sagte der Historiker Eckart Conze im Dlf. Die Hohenzollern fordern aktuell Entschädigungen für Enteignungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die stehen aber nur denjenigen zu, die den Nationalsozialismus nicht unterstützt haben.

Eckart Conze im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.02.2021
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Ein steinerner Adler am ehemaligen Hohenzollern-Schloss Lindstedt in Potsdam (Brandenburg) (dpa-Zentralbild/Foto: Ralf Hirschberger)
Seit 2014 verhandeln die Bundesregierung, Berlin und das Land Brandenburg mit den Nachfahren der Familie der Hohenzollern. Georg Friedrich Prinz von Preußen will entschädigt werden. Und zwar für die Enteignung seiner Immobilien in der Sowjetischen Besatzungszone kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem fordert er die Rückgabe von Kunstschätzen und Möbeln, die sich heute größtenteils in Museen und brandenburgischen Schlössern befinden. Über diese Forderung ist ein großer Streit und eine öffentliche Debatte entbrannt.
Denn: Eine Entschädigung steht den Nachfahren der Hohenzollern nur dann zu, wenn ihre Vorfahren – darunter unter anderem Kronprinz Wilhelm - dem nationalsozialistischen Regime keinen Vorschub geleistet haben.
Schloss Cecilienhof. Über dem Eingang die Fahnen der Teilnehmerstaaten an der Potsdamer Konferenz in der Landeshauptstadt Potsdam, Juni 2020.
Warum die Hohenzollern Entschädigung fordern
Gleichheit vor dem Gesetz gelte auch für Adelige, argumentiert das Haus Hohenzollern. Georg Friedrich Prinz von Preußen fordert Entschädigung für Enteignung unter sowjetischer Besatzung. Historiker diskutieren, ob die Voraussetzungen gegeben sind und auch viele Juristen sind mit dem Streit befasst.
Für viele Historikerinnen und Historiker ist aber genau das der Fall. Doch die Hohenzollern sehen diesen Teil der deutschen Geschichte anders und verteidigen diese Sichtweise: Gegen Historiker und Journalisten, die den Hohenzollern eine Nähe zu den Nationalsozialisten attestieren, gehen die Nachkommen aggressiv vor: unter anderem mit Unterlassungsklagen. Ein Fall wird heute (18.02.2021) vor dem Landgericht Berlin verhandelt. Ein betroffener Historiker hat gegen eine einstweilige Verfügung, die gegen ihn verhängt wurde, Widerspruch eingelegt.
Der Historikerverband hat das Vorgehen der Hohenzollernnachfahren bereits mehrfach kritisiert. Und für den Historiker Eckart Conze ist Professor für neuere und neueste Geschichte an der Universität Marburg. Zuletzt hat er ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Schatten des Kaiserreichs". Für ihn ist die Antwort auf die Frage, ob die Hohenzollern die Nationalsozialisten politisch unterstützt haben, ziemlich eindeutig.

Friedbert Meurer: Diese Auseinandersetzung jetzt über die Entschädigung, ist das auch ein Schatten des Kaiserreichs, oder nur eine marginale Fußnote?
Eckart Conze: Nein, das ist ein Schatten des Kaiserreichs. Das gehört zum Schatten des Kaiserreichs, der auch auf unserer Gegenwart noch liegt. Es geht um die Wirkungsgeschichte des Kaiserreichs und die Ansprüche, die die Hohenzollern derzeit erheben und auch zum Teil vor Gericht durchzusetzen versuchen. Diese gehören zu dieser Wirkungsgeschichte des Kaiserreichs, und man kann ja durchaus auch fragen, warum erheben die Hohenzollern nun gerade in dieser Zeit, über 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie, solche Forderungen in dieser Aggressivität, auch in dieser Deutlichkeit.
Meurer: Sie sagen, glaube ich, weil wir darauf gewartet haben, entschädigt zu werden, und nichts ist passiert.
Conze: Na ja. Es ist ja tatsächlich so, dass die Enteignungen der Zeit nach 1945 in einem Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 zum Thema gemacht worden sind. Entschädigungen sind möglich, aber nur für solche Vertreter, die nicht dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet haben, und darum dreht sich jetzt die Diskussion und darum dreht sich möglicherweise auch ein verwaltungsgerichtliches Verfahren. Es kann ja überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Hohenzollern insgesamt und insbesondere der ehemalige Kronprinz Wilhelm – und um ihn geht es; er ist enteignet worden – dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub im Sinne dieses Ausgleichsleistungsgesetzes von _94 geleistet haben.

"Den Nationalsozialismus in seinem Aufstieg unterstützt"

Meurer: Wilhelm II. war in den Niederlanden nach 1918, durfte sich politisch nicht betätigen. Der Fokus, sagen Sie gerade, richtet sich auf seinen Sohn Wilhelm Prinz von Preußen. Hat er diesen erheblichen Vorschub auf die Machtergreifung der Nazis tatsächlich in den 20er- und 30er-Jahren geleistet?
Conze: Sowohl in den 20er-Jahren als auch in den 30er-Jahren, sowohl vor 1933 als auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Wir müssen uns wirklich auf Wilhelm, den ehemaligen Kronprinzen, konzentrieren. Er ist der Enteignete nach 1945, also ist sein Verhalten ausschlaggebend. Er hat schon vor 1933 die Zerstörung der Weimarer Demokratie tatsächlich konsequent verfolgt als politisches Ziel und hat aus diesem Grund auch schon in den späten 20er-Jahren, vor allem aber in den frühen 30er-Jahren sehr eng mit den Nationalsozialisten kooperiert, den Nationalsozialismus in seinem Aufstieg unterstützt. Es gab auch andere ideologische Überschneidungen, einen radikalen, einen scharfen Antisemitismus beispielsweise, aber das setzt sich nach 1933 in der Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft dann fort. Er wirbt unentwegt mit einer großen Stetigkeit und einer großen nationalen wie internationalen Wahrnehmbarkeit für den Nationalsozialismus. Es gibt zahlreiche Auftritte mit NS-Spitzenrepräsentanten, Göring, Goebbels, Heinrich Himmler, öffentlichkeitswirksame Auftritte im Braunhemd mit Hakenkreuz, aber auch die Beteiligung an NS-Propagandaveranstaltungen – am wichtigsten vielleicht der berühmte Tag von Potsdam im März _33, wo der Schulterschluss gewissermaßen zelebriert wird zwischen den alten konservativen Eliten des Kaiserreichs und den neuen nationalsozialistischen Eliten. Da ist der Kronprinz dabei.
Meurer: Da war Wilhelm Prinz von Preußen dabei. Er war dabei in der Garnisonskirche.
Conze: Da war er dabei.

"Zentrale Figur in diesem national-konservativen Kontext"

Meurer: Aber einige sagen, er war doch nur ein kleines Licht.
Conze: Nein, er war kein kleines Licht. Er war ja der Vertreter der Hohenzollern-Monarchie. Er war der ranghöchste Vertreter des ehemaligen preußischen Königs und deutschen Kaiserhauses. Das ist nicht irgendeine Randfigur; das ist eine zentrale Figur in diesem national-konservativen Kontext. Auf ihn richten sich die Blicke und wenn dieser Kronprinz, dieser ehemalige Kronprinz gewissermaßen mit seinem Charisma, mit seiner Aura hier den Schulterschluss mit den Nationalsozialisten praktiziert und dafür wirbt, hat das eine unglaubliche Wirkung, gerade in die bürgerlich-konservativen Teile der deutschen Bevölkerung hinein, auch in den Adel natürlich.

Conze: Relativierung des völkischen Nationalismus des Kaiserreichs

Meurer: Das Ganze entspricht ein bisschen unserem Bild, das wir von dem Kaiserreich haben. Jetzt rede ich von der Zeit vor 1918. Die Hohenzollern waren das Vorspiel zum Nationalsozialismus, "Der Untertan" – der berühmte Roman von Heinrich Mann. Sie sagen, Herr Conze, wir haben heute ein bisschen ein weichgezeichnetes Bild des Kaiserreichs. Was meinen Sie damit?
Conze: Ich meine damit, dass wir sowohl in der historischen Forschung als auch in der öffentlichen Wahrnehmung ein wenig dazu neigen, die problematischen Seiten des Kaiserreichs, den politischen Autoritarismus, den scharfen, den aggressiven völkischen Nationalismus, die Persistenz der traditionellen preußischen Eliten zu relativieren und stattdessen das Kaiserreich zu zeichnen, weichzuzeichnen als eine fortschrittliche, eine moderne Gesellschaft, eine Gesellschaft im Aufbruch, gewissermaßen auf dem Weg zur Demokratie, eine ja geradezu Demokratie praktizierende Gesellschaft, und das scheint mir ein zu einseitiges Bild zu sein, das den harten, gerade auch politischen Realitäten, den Verfassungsrealitäten des Kaiserreichs nicht entspricht.

"Das Kaiserreich war ein illiberales, autoritäres Staatswesen"

Meurer: Was Sie Weichzeichnen nennen, Herr Conze, nennen andere, wir müssen es differenziert sehen. Klar, autoritäres Regime, aber es gab den wirtschaftlichen Aufschwung, es gab die Emanzipation des Bürgertums, der Arbeiterbewegung, und darauf richtet sich dann jetzt auch etwas mehr der Fokus.
Conze: Das ist völlig richtig und das ist auch nicht zu bestreiten. Differenzierung ist für Historiker immer wichtig. Aber man darf doch auch nicht vergessen, dass all die Prozesse, die Sie gerade angesprochen haben, unter den Rahmenbedingungen eines autoritären, eines undemokratischen, eines antiparlamentarischen politischen Systems stattgefunden haben, und das begrenzte die Reichweite dieser fortschrittlichen Dynamiken und dieser Entwicklungen. Das Kaiserreich war keine Demokratie, es war keine demokratische Gesellschaft; es war ein illiberales, ein autoritäres Staatswesen, und zwar bis zu seinem Ende, bis zu seinem Untergang am Ende des Ersten Weltkrieges.

"Teil der Vorgeschichte des Nationalsozialismus"

Meurer: War das Kaiserreich nur eine Vorstufe zur Nazi-Zeit?
Conze: Nein! Das Kaiserreich war nicht nur eine Vorstufe zur Nazi-Zeit. Das Kaiserreich ist ganz ohne Frage Teil der Vorgeschichte des Nationalsozialismus, aber es gibt natürlich keine zwangsläufige Entwicklung aus dem Jahr 1871 oder 1890 hin ins Jahr 1933. Aber wir müssen doch immer wieder gerade mit Blick auf das Jahr 1933 fragen, wo liegen die Entstehungsbedingungen für den Nationalsozialismus, was hat den Nationalsozialismus in Deutschland ermöglicht, und dazu gehören auch Strukturen und Dispositionen aus der Zeit des Kaiserreichs. Die kann man nicht einfach wegwischen. Die gehören in dieses Bild der Vorgeschichte des Nationalsozialismus ganz zentral mit hinein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.