Dienstag, 23. April 2024

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Historische Aufklärung statt Hexenjagd

Die Universität Münster sei durchaus im Visier der Stasi gewesen, meint Professor Thomas Grossbölting. Er betreut als Historiker der Uni Münster ein neues Forschungsprojekt zu den Aktivitäten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit an Universitäten der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er- und 80er-Jahren.

Thomas Grossbölting im Gespräch mit Kate Maleike | 02.10.2012
    Kate Maleike: Was machte die Stasi an bundesdeutschen Universitäten? Auf diese Frage versucht der Historiker Thomas Grossbölting, aktuell Antworten zu finden. Er ist Professor an der Uni Münster und versteht seine Forschungsarbeit bewusst nicht als Hexenjagd, sondern als historische Aufklärung. Guten Tag, Herr Grossbölting!

    Thomas Grossbölting: Guten Tag, Frau Maleike.

    Maleike: Wo stehen Sie denn jetzt mit Ihren Recherchen?

    Grossbölting: Wir sind ganz am Anfang mit unserer Recherche. Die Anfrage der Universität Bremen und der Universität Kiel wie auch Münster ist erst vor Kurzem an uns gegangen. Und wir haben bei der BSTU, beim Stasiunterlagenarchiv angefragt und eine Recherche ausgelöst und haben gesehen, dass es einen breiteren Bestand gibt, aber auch keine ganz spezielle Überlieferung, sodass wir eigentlich noch nicht wirklich einschätzen können, wie dicht die Überlieferung dazu sein wird.

    Maleike: Gibt es denn schon erste Hinweise, dass Sie überhaupt auf dem richtigen Weg sind?

    Grossbölting: Die Universitäten, über die wir sprechen, sind für die Stasi von Interesse gewesen, einiges von dem ist bereits angeklungen. Die Universität Kiel wie auch die Universität Bremen als maritime wie auch industrienahe Universitäten, aber auch die eher geisteswissenschaftliche Universität, geisteswissenschaftlich orientierte Universität Münster ist durchaus im Visier der Stasi gewesen. Wir haben allerdings noch keine Idee davon, wie dicht die tatsächlichen Aktivitäten an den jeweiligen Institutionen gewesen sind.

    Maleike: Was werden Sie tun, um das zu verdichten? Also, um mehr Informationen zu bekommen?

    Grossbölting: Die Idee wird sein, dass wir zunächst einmal, um den Eigenheiten dieses Archivs, eines Geheimdienst-, eines Polizeiarchivs sozusagen, nachzugehen, dass wir versuchen müssen, aus den Detailinformationen, die nun vorliegen, tatsächliche Vorgänge zu rekonstruieren. Wie ist also versucht worden, systematisch jemanden anzuwerben, in welchen Positionen ist der- oder diejenige gewesen, und wie hat sich dann tatsächlich deren oder dessen Wirken an der Universität entsprechend ausgewirkt. Das ist eine sehr kleinteilige Arbeit, eine Puzzle-Arbeit, aber wir hoffen schon darauf, dass wir trotz der insgesamt ja doch nur teilweise überlieferten Akten, die uns zur Verfügung stehen, nachher eine Aussage darüber machen können, wie dicht und vor allen Dingen wie wirkungsvoll beziehungsweise wie wirkungslos die Aktivitäten der Stasi in westdeutschen Universitäten gewesen sind.

    Maleike: Warum sind eigentlich nur drei Universitäten beteiligt? Man könnte doch meinen, dass vielleicht doch andere Standorte interessant gewesen sein könnten?

    Grossbölting: Selbstverständlich wird sich das MfS, die HVA nicht beschränkt haben auf die drei Standorte, die wir nun untersuchen. Gleichzeitig glauben wir aber auch, dass wir mit den Universitäten ein ganz aussagekräftiges Sample haben. Bremen, als rote Kaderschmiede lange Zeit verschrien, Kiel, Münster, Universitäten mit einem ganz anderen Schwerpunkt, die sozusagen dort auch eine gewisse Rolle spielen, sodass wir glauben, zwar diese drei Fälle zunächst einmal zu untersuchen, aber doch ein repräsentatives Sample zu haben, um mit aller Vorsicht, die dabei zu walten hat, vielleicht auch einige Schlüsse generalisieren kann.

    Maleike: Unter Umständen entdecken Sie ja Sensationelles. Was ist für Sie die spannendste Frage als Historiker?

    Grossbölting: Ich bin mir nicht sicher, ob wir tatsächlich den Hunger nach Sensationen bedienen können. Mein Anliegen oder meine Grundtendenz in diesem Vorhaben ist es doch eher, dieses Zerrbild von der unterwanderten Republik, und wenn ich das jetzt auf unseren Zusammenhang übertrage, das Zerrbild von einer unterwanderten Universität aufzulösen und tatsächlich danach zu schauen, wie der Einfluss des MfS denn gewesen ist.

    Ich vermute, dass wir, ähnlich wie in anderen Institutionen auch, feststellen werden, dass es eine relativ hohe Informationsdichte gibt. Die Stasi wusste sehr genau, was an – beispielsweise im Bundestag oder in anderen politischen Institutionen passierte. Aber wir sollten auf der anderen Seite auch nicht überschätzen, wie dann der Einfluss bei der praktischen Politik entsprechend gewesen ist.

    Also weder der Bundestag noch die Universitäten, so würde ich vermuten, hingen in irgendeiner Weise an den Marionettenfäden der Stasi. Und deswegen wäre meines Erachtens da ein Ergebnis zu erwarten, das weniger auf Sensationen abzielt, sondern versucht, eine Art von Normalisierung der Betrachtung des Wirkens der HVA im Westen Deutschlands zu etablieren.

    Maleike: Wann rechnen Sie mit, sagen wir mal, ersten verlässlichen Daten, die dann vielleicht auch ein Weiterführen des Forschungsprojektes bedingen?

    Grossbölting: Wir werden vermutlich in einem halben Jahr sagen können, wie gut unsere Quellenbasis ist, also wie viele und welche Kontakte es entsprechend gegeben hat laut Überlieferung. Also uns bleibt immer die Unsicherheit, dass wir natürlich aus dem Gros der geschredderten, der vernichteten Akten nicht ersehen können, was es tatsächlich noch gegeben hat.

    Hoffnungsvoll stimmt mich, dass es schon aufgrund der ersten Presseberichte eine ganze Reihe von Anrufen gegeben hat, wo uns Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen der entsprechenden Universitäten darüber informiert haben, dass sie selber uns berichten wollen über entsprechende Kontakte in die DDR und über entsprechende Stasi-Kontakte, die es gegeben hat. Also, wir sind auf solche Hinweise angewiesen, da die Überlieferung eben so lückenhaft ist.

    Maleike: Und möglicherweise kommen ja dann auch andere Universitäten noch dazu. Gibt es da vielleicht schon auch ein erstes Echo?

    Grossbölting: Bislang noch nicht.

    Maleike: Das kann sich vielleicht dann ab heute ändern. Danke schön, Professor Thomas Grossbölting von der Universität Münster!

    Grossbölting: Gerne!


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