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Historische Aufnahmen
André Navarra - Prague Recordings

André Navarra gehörte zu den einflussreichsten Mitbegründern der französischen Violoncello-Schule im 20. Jahrhundert. Auf dem tschechischen Label Supraphon sind nun sämtliche Aufnahmen wiedererschienen, die der Cellist zwischen 1953 und 1966 in Prag einspielte.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 03.10.2017
    Die bei Supraphon 2017 erschienene CD-Box "André Navarra- Prague Recordings"
    Die jetzt bei Supraphon erschienene CD-Box "André Navarra - Prague Recordings" (Norbert Hornig)
    Noch heute ist der Name André Navarra ein fester Begriff. Viele renommierte Cellisten haben bei ihm studiert oder wurden nachhaltig von ihm beeinflusst, wie zum Beispiel Heinrich Schiff und Christophe Coin. Navarra gehörte mit Pierre Fournier, Paul Tortelier und Maurice Gendron zur ersten Riege der französischen Cellisten des 20. Jahrhunderts.
    Das tschechischen Label Supraphon würdigt ihn nun mit einer umfangreichen Edition, die sämtliche Aufnahmen zusammenfasst, die er zwischen 1953 und 1966 in Prag eingespielte. Einige davon sind CD-Erstveröffentlichungen, andere legendäre Klassiker. Zu diesen gehört u.a. die Aufnahme des Konzertes für Violine, Violoncello und Orchester von Johannes Brahms mit dem Geiger Josef Suk und der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Karel Ančerl, die 1963 im Prager Rudolfinum entstand.
    Musik: Johannes Brahms, aus: Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102, 2.Satz (Ausschnitt)
    Karrierestart nach dem Zweiten Weltkrieg
    André Navarra wurde 1911 im südfranzösischen Biarritz geboren. Im Alter von neun Jahren begann er am Konservatorium von Toulouse mit dem Cellounterricht und wechselte nach vier Jahren ans Pariser Konservatorium, das er mit dem "Premier Prix" abschloss. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich eine Zeit lang als Cellist in einem kleinen Stummfilmtheater und profilierte sich bald als Kammermusiker im Krettly Quartett, wo er seinen um einige Jahre älteren Kollegen Pierre Fournier am Cellopult ablöste.

    1937 gewann Navarra den ersten Preis beim Internationalen Cellowettbewerb in Wien, ein Erfolg, der den Weg in die Solokarriere ebnete. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges rettete er sich als Solocellist ins Orchester der Pariser Opéra Comique, aber der Militärdienst an der vordersten Front gleich zu Kriegsbeginn blieb ihm nicht erspart. Nach Kriegsende nahm seine Karriere wieder an Fahrt auf und es folgten bald Konzertreisen in alle Welt.

    1951 debütierte Navarra beim Festival "Prager Frühling" mit dem Cellokonzert von Antonín Dvořák. Bis in die 1980er Jahre hinein konzertierte er immer wieder in der Stadt an der Moldau und spielte nebenbei auch Schallplatten für Supraphon ein. Zu den ersten Aufnahmen gehörte 1953 Édouard Lalos d-Moll-Cellokonzert mit der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Constantin Silvestri. Hier kommt Navarras schwerelose Virtuosität, die immer mit bezwingendem musikalischem Ausdruck verbunden ist, in besonderer Weise zur Geltung:
    Musik: Edouard Lalo, aus: Konzert für Violoncello und Orchester d-Moll, 2. Satz (Intermezzo)
    Immer offen für neues Repertoire
    André Navarras Repertoire war sehr umfangreich, was die Supraphon-Edition zwar nicht komplett, aber doch in einigen wesentlichen Teilen widerspiegelt. Es umfasste Werke vom Barock bis zur Moderne, selbstverständlich alle Repertoirekonzerte, aber auch weniger bekannte Stücke wie das "Adagio con variazioni" für Violoncello und Orchester von Ottorino Respighi oder das Concertino für Cello, Bläser, Klavier und Schlagzeug von Bohuslav Martinů, beide Werke sind in der Edition enthalten. Navarra war mit bedeutenden französischen Komponisten befreundet, unter ihnen Darius Milhaud und Artur Honegger. Einige fühlten sich durch sein Spiel inspiriert für das Violoncello zu komponieren, z.B. Florent Schmitt und André Jolivet, die ihm Cellokonzerte in die Finger schrieben.
    Zu den Raritäten in der Supraphon-Edition gehört auch die Aufnahme des Konzertes für Violoncello und Blasinstrumente von Jacques Ibert.
    Musik: Jacques Ibert, aus: Konzert für Cello und Blasinstrumente, 3. Satz (Ausschnitt)
    André Navarra war nicht nur der grandios auftrumpfende Solist in den großen romantischen Cellokonzerten, sondern auch ein Meister der romantischen Miniatur und des brillanten Virtuosenstückes, wie beispielsweise von Granados, Fauré, Cassadó oder Massenet, die er gern als Zugabe spielte. Auch im fortgeschrittenen Alter hatte er noch Spaß daran. In der Edition von Supraphon findet man als CD-Erstveröffentlichung "Pièce en forme de Habanera" von Maurice Ravel.
    Musik: Maurice Ravel, Pièce en forme de Habanera
    Pädagoge aus Leidenschaft
    Gleichzeitig mit seinen solistischen Aktivitäten profilierte sich André Navarra als ambitionierter Pädagoge. Von 1949 an leitete er, in der Nachfolge von Pierre Fournier, eine Celloklasse am Pariser Konservatorium. Außerdem unterrichtete er an der Musikhochschule in Detmold und am Royal College of Music in London, in Wien, in Skopje/ Jugoslawien und in seiner Heimatstadt Biarritz. Bis zu seinem Tod 1988 gab er regelmäßig Meisterkurse in Siena. Für seine Schüler war er eine Vaterfigur, gewissermaßen das Oberhaupt einer großen Cellistenfamilie. Eitle Selbstdarstellung war nicht seine Sache, ihm ging es darum, den Respekt vor der Musik und eine hohe Moral dem Musikerberuf gegenüber zu vermitteln. Navarra beeindruckte auch mit seiner Fähigkeit, das gesamte Solorepertoire im Unterricht auswendig und konzertreif vorzuspielen.

    Angeregt durch das Spiel des berühmten Violinpädagogen Carl Flesch entwickelte Navarra eine eigene Art der Bogenführung, die es ihm ermöglichte eine energische und hoch intensive Tongebung mit größter Weichheit und Flexibilität zu verbinden. Auch für die Technik der linken Hand übernahm er Prinzipien der Violinschule von Flesch.
    Virtuose Brillanz und betörende Tonschönheit
    All das machte André Navarra zu einem Virtuosen höchsten Grades, sein Ton glühte und strahlte bei intensivstem Bogenkontakt und einem relativ eng schwingenden Vibrato, er war das Medium einer urwüchsig-temperamentvollen, aber immer auch geschmackvollen und kultivierten Musikalität. Navarras Ideal war der "unendlich singende Bogen" und ein Klang, der sich klar gegenüber einem großen Orchester durchsetzen konnte.

    Zu den CD-Erstveröffentlichungen der Supraphon-Edition gehören die Aufnahmen der beiden Cellosonaten von Johannes Brahms von 1953 mit dem Pianisten Alfred Holeček, André Navarra weiß sie kantabel und klangschön auszukosten.
    Musik: Johannes Brahms, aus: Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1, 3. Satz (Finale)
    André Navarra - Prague Recordings
    (The Complete Supraphon Recordings 1953-1966)
    Supraphon/Note 1 5 CDs SU 4229-2