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Historische Verbindlichkeiten nicht mehr vermittelbar

Rund 460 Millionen Euro zahlt der Staat jährlich an die Kirchen. Damit werden die Religionsgemeinschaften für Enteignungen während der Säkularisation entschädigt. Das Grundgesetz fordert dazu auf, die Staatsleistungen abzulösen. Die Parteien stehen unterschiedlich zu dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe.

Von Burkhard Schäfers | 12.09.2013
    Kerzen, Weihrauch und ein neues Kirchendach, das monatliche Bischofsgehalt, Kosten für Mesner und Reinigungskräfte, die Gotteshäuser in Ordnung halten. Solche und ähnliche Posten finden sich in den Haushalten der Länder – Abschnitt "Staatsleistungen an die Kirchen". Zusammengerechnet kommt ein Betrag von jährlich rund 460 Millionen Euro zusammen, manche Experten sprechen sogar von 480 Millionen. Die Staatsleistungen sind ein Thema, das auch die Politiker im Bundestag beschäftigt, insbesondere die kirchenkritischen. Raju Sharma, religionspolitischer Sprecher der Linksfraktion, meint:

    "Dass es nicht einzusehen ist, dass die Länderhaushalte unter Schuldenbremsen und anderen Belastungen ächzen, und die Länder nicht wissen, wie sie verfassungskonforme Haushalte vorlegen können, und auf der anderen Seite mittlerweile 480 Millionen Euro die Länder an die Kirchen zahlen, für die diese Summe bei ihrem Gesamtbudget eigentlich nur ein Bruchteil ausmacht. Was wir deutlich machen wollen: Es muss ein Ende in Sicht sein, diese Staatsleistungen können nicht ewig gezahlt werden."

    Die Staatsleistungen gehen zurück auf Verträge, die Kirche und Staat vor rund 200 Jahren, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, geschlossen haben. Damit sollten die Kirchen für Enteignungen während der Säkularisation entschädigt werden. An die Stelle des Geldes, das die Kirchen mittels ihrer Ländereien und Abteien hätten erwirtschaften können, traten staatliche Zuwendungen. Aber schon seit 1919, also seit fast 100 Jahren, gibt es einen verfassungsrechtlichen Auftrag.

    Er lautet: Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden abgelöst. Vor einigen Monaten brachte Die Linke einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament ein. Zustimmung hätte es aber wohl nur von der nicht im Bundestag vertretenen Piratenpartei gegeben, die für die strikte Trennung von Staat und Kirche eintritt. Alle anderen Fraktionen lehnten den Vorschlag der Linken ab. Da Linken-Politiker Raju Sharma von seiner Partei nicht mehr für die Bundestagswahl aufgestellt wurde, wird er dem nächsten Parlament nicht mehr angehören. Auf den Vorstoß seiner Partei ist er gleichwohl ein wenig stolz:

    "Nach 94 Jahren waren wir die erste Fraktion, die es überhaupt in ein deutsches Parlament gebracht hat. Ich habe nicht erwartet, dass die anderen Fraktionen gleich Hurra schreien und diesem Gesetzentwurf zustimmen. Wir werden bestimmt in der nächsten Wahlperiode das Thema wieder auf der Tagesordnung haben. Und ich bin guter Hoffnung, dass wir dann irgendwann, vielleicht im Jahr 2019, nachdem der Verfassungsauftrag 100 Jahre alt ist, dazu kommen, dass wir eine Ablösung der Staatsleistungen in Sicht haben."

    Im Gespräch ist eine Einmalzahlung in Höhe des bis zu 25-fachen der jährlichen Zahlungen – das wären rund zwölf Milliarden Euro, um alle staatlichen Verpflichtungen abzugelten. Allerdings können die dafür zuständigen Länder dies nicht allein entscheiden, schließlich haben sie geltende Verträge mit den Kirchen. Deshalb verhandeln Landesregierungen und Kirchenvertreter seit geraumer Zeit über die Frage der Ablösung, sagt Prälat Karl Jüsten vom Katholischen Büro in Berlin.

    "Wir sind durchaus Gesprächen gegenüber offen, diese Staatsleistungen abzulösen, was übrigens in einzelnen Regionen des Landes auch geschieht. Das Problem ist in der Tat, dass es so hohe Summen sind, dass die Länder die in einem Rutsch nicht bezahlen können. Da muss man einen Modus Vivendi finden, wie man das macht. In einzelnen Bereichen ist das auch schon gelungen, übrigens oftmals auch unter Verzicht der Kirchen."

    Union und SPD haben das Thema Ablösung von Staatsleistungen nicht in ihren Wahlprogrammen. Da ohnehin Gespräche zwischen Staat und Kirche stattfinden, halten sich beide Parteien bedeckt. Einig sind sich CDU/CSU und SPD darin, dass die Ablösung nur im Konsens mit den Kirchen möglich ist. Bleibt die Frage, woher die oftmals klammen Länder das Geld für eine Einmalzahlung nehmen sollen. Aus diesem Grund unternimmt auch die FDP vor der Wahl keinen Vorstoß, die Staatsleistungen abzulösen, sagt der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke:

    "Es ist nicht so einfach. Ich weiß, dass der Grundgedanke bei vielen ist: Lass uns das ablösen, dann ziehen wir einen Schlussstrich und dann ist auch klar, dass der Kirche, was der Kirche ist, und dem Staat, was dem Staat ist. Ich glaube, dass der Staat dabei eher ein Minusgeschäft macht und am Ende die Kirchen eigentlich besser stünden, weil sie dann sagen würden: Das ist unsere Aufgabe, und das, lieber Staat, ist dann deine Aufgabe."

    Zwar machen die Staatsleistungen im Gesamthaushalt der Kirchen nur rund zwei Prozent aus. Dennoch könnte das dann fehlende Geld durchaus Folgen für die Gesellschaft haben, fürchtet Fricke, der auch Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche ist.

    "Dadurch, dass durch diese Verträge die Bezahlung von Kirchenprofessionellen über das Steuersäckel erfolgt, ich natürlich auch sehen muss: Mache ich das nicht mehr, wird Kirche sich an anderer Stelle aus der Finanzierung herausziehen und sagen, ich muss mich jetzt auf diesen Bereich konzentrieren. Die eine Priesterstelle, die ich dann auf einmal bezahlen muss, ist im Zweifel dann die fehlende Unterstützung für ein Altenheim, das ich mit kirchlichen Finanzmitteln subventioniere."

    Dennoch räumen Vertreter aller Parteien ein, die historisch entstandenen Staatsleistungen seien einem wachsenden Teil der Bevölkerung inzwischen nicht mehr vermittelbar. Die Grünen wollen deshalb auf Bund-Länder-Ebene einen Prozess anstoßen, der Grundsätze aufstellt für eine Ablösung, wie sie die Verfassung fordert. Josef Philip Winkler, kirchenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken konkretisiert:

    "Vielleicht wäre es sinnvoll einen runden Tisch zu Staatsleistungen zu machen mit den Kirchen. In der letzten Wahlperiode hat man sich ja auch darauf geeinigt, die Heimkinder zu entschädigen. Da waren alle Länder beteiligt, die beiden großen Kirchen und der Bund. Und warum soll das nicht auch bei den Staatsleistungen funktionieren, dass man alle an einen Tisch holt und versucht, ne vernünftige Lösung zu finden, die den Ländern die Taschen nicht leer macht und die Kirchen nicht verarmen lässt."