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Historischer Moment für die amerikanische Frauenbewegung

Zwei Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in den USA wurde am 21. November 1922 Rebecca Ann Latimer Felton als erste Senatorin im US-Kongress vereidigt. Die Bedeutung dieses Moments war der Demokratin aus Georgia bewusst: "Soweit ich sehe, können Frauen nun alles erreichen, was sie wollen."

Von Kerstin Zilm | 21.11.2012
    Rebecca Felton: "I have been here since that time and I have seen the march of progress all the way. At that time we had only stage coaches …"

    Es ist das Jahr 1929. Ein kleiner Film der Universität von South Carolina zeigt Rebecca Latimer Felton auf den Stufen einer Veranda sitzend. Eine zierliche Frau, ganz in Schwarz, weißes Haar umrandet ihr Gesicht. 94 Jahre ist sie da alt. Sieben Jahre zuvor - am 21. November 1922 - wurde die Frauenrechtlerin aus dem Bundesstaat Georgia als erste Senatorin im US-Kongress vereidigt.

    Rebecca Felton: "Ich war in Washington - zum ersten Mal vor mehr als 50 Jahren. Ich habe dort viel gelernt. Ich habe die Menschen dort gesehen und Präsidenten getroffen. Ich war Delegierte und habe Georgia bei einem Parteitag in Chicago vertreten. Ich denke, für eine Frau meiner Statue und meines Alters war das eine gute Ausbildung."

    Nur 24 Stunden währte ihre Zeit als erste US-Senatorin. Aber in der Geschichte der USA war es ein historischer Moment: Ihr Vorgänger war zwei Monate zuvor gestorben. In solchen Fällen bestimmt der Gouverneur des jeweiligen Staates, wer die verbleibende Amtszeit des Verstorbenen im US-Senat übernimmt. Georgias Gouverneur, Thomas Hardwick, wollte selbst US-Senator werden. Für die Übergangszeit suchte er eine Person, die ihn bei Frauen beliebt machen würde. Seit zwei Jahren hatten US-Frauen das Recht zu wählen. Der Republikaner hatte sich vehement gegen den Verfassungszusatz ausgesprochen und musste nun die neuen Wählerinnen für sich gewinnen. Am 3. Oktober 1922 ernannte Hardwick die Demokratin Latimer Felton in ihrem Heimatort Cartersville zur Interim-Senatorin. Die Zeitschrift "Georgia Review" beschrieb in einem Artikel das Ereignis:

    "Der Kammergerichtssaal war voller Licht und Leute. Sie waren gekommen, um die alte Dame, die mit strahlenden Augen hinter dem Richterpodium saß, zu ehren."

    Latimer Felton würdigte mit einer Rede die Bedeutung des Moments für die amerikanische Frauenbewegung:

    "Das Wichtigste an dieser Ernennung ist die Anerkennung von Frauen innerhalb der Regierung unseres Landes. Soweit ich sehe, können Frauen nun alles erreichen, was sie wollen. Sie können in jedes Amt gewählt und zu jedem Amt ernannt werden."

    Latimer Felton, 1835 als Tochter eines Plantagenbesitzers geboren, engagierte sich früh in der Politik. Sie arbeitete als enge Beraterin und Sekretärin ihres Mannes, der Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus und Regierungsmitglied von Georgia war. Als Autorin und Journalistin veröffentlichte sie Artikel über Bildung für Frauen und trat für Alkoholabstinenz ein. Aber sie verteidigte auch die Rassentrennung. Mit einer Rede über die angebliche Bedrohung weißer Landfrauen durch schwarze Vergewaltiger machte sie 1897 landesweit Schlagzeilen:

    "Wenn Lynchmord notwendig ist, um den wichtigsten Besitz einer Frau gegenüber gierigen menschlichen Bestien zu verteidigen, dann sage ich: lyncht! Tausend Mal pro Woche, wenn es sein muss."

    Der Kämpferin für Frauenrechte fiel es schwer hinzunehmen, dass schwarze Männer vor ihr das Wahlrecht bekamen. Umso größer war der Triumph, als erste US-Senatorin vereidigt zu werden. Der Gouverneur von Georgia war bei der Wahl für das Senatsamt von dem Demokraten Walter George besiegt worden. George ließ Rebecca Latimer Felton am 21. November 1922 in Washington den Eid schwören und übernahm 24 Stunden später das Amt. Die Demokratin hielt eine kämpferische Rede vor dem Kongress:

    "Ich verspreche Ihnen, Herr Präsident: die Frauen des Landes, die hier mit Ihnen sitzen werden - auch wenn es zunächst nur wenige sind - werden durch ihr großes Talent, durch Integrität, Entschlossenheit und Patriotismus ihre Nützlichkeit beweisen."

    Heute gibt es 17 Senatorinnen im US-Kongress. Den Weg dafür hat unter anderen Rebecca Latimer Felton geebnet, mit ihrem scharfen Verstand und ihrem Humor, den sie auch in schwierigen Lebenslagen immer wieder bewies.

    "Ich hatte einen sehr schweren Unfall, bin aber auf dem Weg der Besserung, interessiere mich wie früher für Menschen und Politik. Es heißt: einen guten Mann bringt nichts um. Ich glaube, der Spruch schließt mein Geschlecht ein, und ich habe noch eine Chance."

    Die Frauenrechtlerin täuschte sich. Sie erholte sich nicht mehr und starb am 24. Januar 1930 in Atlanta.