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Historischer Vulkanausbruch
Die unbändige Kraft des Tambora

Es geschah am 10. April 1815. Der Ausbruch des Tambora auf der Insel Sumbawa in Indonesien kostete etwa 70.000 Menschen sofort das Leben. Deutlich mehr starben an den langwierigen Folgen. In seinem Buch "Vulkan-Winter 1816" erzählt Gillen D'Arcy Wood, was damals passierte. Dem Autor gelingt es, natur- und geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse unter einen Hut zu bringen.

Von Dagmar Röhrlich | 15.03.2015
    Am Abend des 10. Aprils 1815 brach der Tambora aus. 70.000 oder vielleicht 100.000 Menschen sollen während des Ausbruchs und in den ersten Tagen danach gestorben sein. Und das war erst der Anfang einer Katastrophe. Der Ausbruch warf das Klima aus der Bahn, brachte in den Jahren darauf selbst in Tausende von Kilometern entfernten Gebieten Millionen Menschen Hunger, Krankheit und Not.
    In seinem Buch "Vulkan-Winter 1816" erzählt Gillen D'Arcy Wood, was damals passierte. Der Historiker geht dabei weit hinaus über die bekannten Geschichten, wie etwa die, dass das "Weltuntergangswetter" Mary Shelley dazu inspirierte, "Frankenstein" zu schreiben und Lord Byron sein düsteres Gedicht "Darkness". Vielmehr gelingt es Wood mit "Vulkan-Winter 1816", natur- und geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse unter einen Hut zu bringen und sie anhand von zeitgenössischen Zeugnissen zu verdeutlichen - und zwar auch für Asien, das von den Geschehnissen damals besonders betroffen war. Für die Südhalbkugel fehlen Daten, daran arbeiten derzeit andere Gruppen.
    Der größte bekannte Vulkanausbruch der überlieferten Geschichte
    Was 1816 weder Shelley noch Byron noch sonst jemand auf der Welt ahnte: Hinter der Kälte und dem nicht enden wollenden Regen steckte der größte bekannte Vulkanausbruch der überlieferten Geschichte. Die sozialen Folgen waren gravierend. So erzählt Wood von den Bauern in der chinesischen Yunnan-Provinz, die ihre Kinder für eine Handvoll Reis verkauften oder töteten, um ihnen nicht beim langsamen Sterben zusehen zu müssen. Fassbar macht er die Not der Menschen durch Zitate des chinesischen Dichters Li Yuyang, der damals die "Schmerzen von Yunnan" beschrieb. In einem anderen Kapitel berichtet der Autor davon, wie in Indien erst der Monsun ausblieb und dann verheerende Regenfälle Jahrhunderthochwasser brachten. Durch die ökologischen Veränderungen konnte im Brackwasser des Ganges-Brahmaputra-Deltas ein Cholera-Bakterium mutieren: Ein neuer Stamm entstand, der sich zunächst rund um den Golf von Bengalen ausbreitete und von da aus über die ganze Welt. Er sollte im 19. Jahrhundert Millionen Menschen töten.
    Obwohl der Schwerpunkt seines Buches auf Asien liegt, analysiert der Autor auch das, was in Nordamerika passiert und in Europa, vor allem in Irland und dem Alpenraum. Und wieder sorgt er durch sehr gut gewählte zeitgenössische Beschreibungen dafür, dass der Leser versteht, welche Rolle politische und soziale Rahmenbedingungen dabei spielten, dass aus dem schlechten Wetter eine Katastrophe werden konnte. Schließlich fragt Gillen D'Arcy Wood: Wenn das Klimachaos durch den Tambora nur wenige Jahre gedauert und trotzdem so schreckliche Folgen hatte - was wird der menschengemachte Klimawandel bringen?
    "Vulkan-Winter 1816" ist ein spannendes, facettenreichen Buch. Wer einmal angefangen hat darin zu lesen, will es nicht aus der Hand legen, bis er auf der letzten Seite angekommen ist.
    Gillen D'Arcy Wood: "Vulkan-Winter 1816 - Die Welt im Schatten des Tambora"
    Übersetzung: Heike Rosbach und Hanne Henning
    Theiss-Verlag
    368 Seiten, 29.95 Euro
    ISBN-13: 978-3806230154