Freitag, 19. April 2024

Archiv

Hitler-Attentat
"Wir brauchen keine Helden, die ihr Leben opfern"

Das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 sei in seiner Dramatik mit nichts zu vergleichen, sagte Klaus von Dohnanyi, Sohn des Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi, im Deutschlandfunk. Unsere heutige Gesellschaft brauche mehr Menschen mit Zivilcourage, die mit Mut ihre eigene Meinung sagten.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.07.2014
    Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg (SPD), aufgenommen am 19.02.2012 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner Spezial" zum Thema: "Wulffs Rücktritt - wer traut sich jetzt noch Präsident?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg und Sohn des Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Seine Eltern seien bereits früh, schon in den 1920er-Jahren, gegen nationalsozialistische Tendenzen gewesen, sagte Klaus von Dohnanyi, der Sohn des Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi, im Deutschlandfunk. Ab 1933 habe sein Vater, der einen Monat vor Kriegsende hingerichtet wurde, dann begonnen, die Naziverbrechen aufzulisten und Juden zu helfen. Das sei vor allem eine Frage seines Charakters, seiner bürgerlichen Erziehung gewesen.
    Die Prozesse gegen die Attentäter vom 20. Juli seien damals sehr dramatisch und öffentlich gewesen, erklärte der frühere Hamburger Bürgermeister mit Blick auf den 70. Jahrestag des Attentats auf Hitler. Dabei seien diejenigen aus dem Widerstand in den Hintergrund gerückt, die wie sein Vater schon viel früher gehandelt hätten und auch früher verhaftet worden seien. Aber das Dramatische des Attentats habe sich in die Geschichte eingebrannt.
    Als Vorbild für die heutige Gesellschaft in Deutschland sei das aber wenig geeignet. Heute gehe es um ganz andere Dinge. Unsere Gesellschaft brauche mehr Menschen mit Zivilcourage, die mit Mut ihre eigene Meinung sagten, so von Dohnanyi. "Wir brauchen keine Helden, die ihr Leben opfern." Zivilcourage müsse auch in der Schule gelehrt werden. Es müssten die gelobt werden, die widersprächen, forderte Dohnanyi. Unsere Gesellschaft brauche Menschen, die etwa in der Partei oder in der Gewerkschaft offen ihre Meinung sagten, auch wenn das der Karriere oder dem eigenen Einkommen schade. Wenn es das nicht gebe, dann sei "es schlecht um unser Land bestellt".

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Roland Freislers Gebrüll haben viele Menschen noch in den Ohren. Wir haben heute Früh bewusst darauf verzichtet, den Präsidenten des sogenannten Volksgerichtshofs zu hören. Ein Mann, der, ähnlich wie Teile der DDR-Justiz, ausschließlich politische Urteile fällte. Freisler beleidigte auch öffentlich Widerstandskämpfer, die am 20. Juli 1944 versuchten, Hitler zu töten. Übermorgen vor 70 Jahren war das.
    Am 20. Juli saß der Jurist Hans von Dohnanyi schon seit mehr als einem Jahr in Haft, offiziell wegen Devisenvergehens. Seine Gegnerschaft zum Regime war den Nazis allerdings nicht verborgen geblieben. Das war wohl der eigentliche Grund. Nach dem 20. Juli 1944 fand die Gestapo Dokumente, die den Widerstandskämpfer belasteten. Auf Hitlers persönlichen Befehl hin wurde Hans von Dohnanyi einen Monat vor Kriegsende hingerichtet.
    Wir haben vor dieser Sendung mit seinem Sohn gesprochen. Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi war Bundesminister, später Erster Bürgermeister von Hamburg. Ich habe ihn zunächst gefragt, wann und warum sich sein Vater zum Widerstand gegen die Nazis entschied.
    Klaus von Dohnanyi: Mein Vater hat sehr früh schon, in den 20er-Jahren, diese Haltung gehabt. Ich erinnere mich an einen Brief, den meine Mutter an meinen Vater im Zusammenhang mit dem Rathenau-Mord aus Heidelberg geschickt hat. Sie studierte damals in Heidelberg, mein Vater war in Berlin, im Auswärtigen Amt damals als ganz, ganz junger Mann tätig in einer Hilfsposition. Und da schrieb sie ihm, das waren sicher diese schrecklichen Hakenkreuzler. Das im Jahre '22. Und mit Beginn des Jahres 1933, also mit der Übernahme der Macht durch die Nazis, hat mein Vater begonnen, Dinge zu sammeln, Leuten zu helfen und so weiter, also festzustellen, wo die Nazis Verbrechen begangen haben und so weiter. Da ist eine ganz lange Akte in dem Zusammenhang entstanden.
    Heinemann: Und darüber wurde in der Familie offen gesprochen?
    Von Dohnanyi: Nein. Uns war klar, dass wir keine Nazis waren, aber über den Widerstand und das, was mein Vater gemacht hat, hätte er mit uns kein Wort gewechselt. Meine Mutter war, ich glaube, die einzige der Frauen in dem Widerstand, oder fast die einzige, die wirklich über jeden einzelnen Schritt informiert war, auch über den Attentatsversuch 1943.
    Adenauer-Regierung hatte Widerstandskämpfer in ihren Kreisen
    Heinemann: Wie wurden Sie als Sohn eines Regimegegners in der Nazi-Zeit behandelt?
    Von Dohnanyi: Die Leute wussten das ja nicht. Wir haben eben keine offene Nazi-Gegnerschaft gehabt bis 1943, bis mein Vater verhaftet wurde. Und dann hat sich das auch mehr im Umkreis unseres Wohnortes herumgesprochen als in der Schule. Ich habe das nicht bemerkt, sage ich mal, als eine Diskriminierung mir gegenüber. Es war eher nach dem Sieg der Alliierten und der Niederlage der Nazis und der Besatzung, dass es natürlich auch kritische Stimmen gegenüber denjenigen gab, die mit Widerstandsleuten verwandt waren, oder selber im Widerstand gewesen waren. Meine Mutter hat das auch gespürt.
    Heinemann: Als Ihr Vater verhaftet wurde, da war diese Sippenhaft, die den Nazis ja immer ganz wichtig war, atmosphärisch für Sie nicht zu spüren?
    Von Dohnanyi: Nein. Das war ja auch 1943. Damals haben die Nazis von solchen Dingen relativ wenig Aufhebens gemacht. Sie wollten das ja auch sozusagen unter dem Deckel halten.
    Heinemann: Ab wann hat man Ihnen nach dem Krieg zugehört, wenn Sie Ihre Familiengeschichte erzählt haben?
    Von Dohnanyi: Eigentlich sehr bald. Ich bin ja auch im Kreise von Studenten dann in München gewesen und bei den Studenten gab es natürlich dann eine Reihe von Leuten, die aus der Gefangenschaft zurückgekommen waren. Das waren ja ältere als ich und da waren natürlich welche, die auch kritisch am Widerstand waren. Aber im Ganzen habe ich auch damals sehr offen über die Fragen reden können und selber davon nichts gespürt und schon gar nicht natürlich in den USA.
    Heinemann: Aber in Deutschland hat es doch eine ganze Weile gedauert, bis die „Verräter“ zu Vorbildern wurden?
    Von Dohnanyi: Ja, das ist sicher richtig. Obwohl: Ja und nein. Es gab natürlich auch Gruppen in Deutschland, die sehr früh diese Position der Ehre des Widerstandes geteilt haben. Die erste Adenauer-Regierung hatte ja Widerstandskämpfer in ihren Kreisen, im Kabinett. Gerstenmaier zum Beispiel gehörte dazu und so weiter, auch andere. Insofern sage ich mal, es war nicht so, dass man sagen konnte, dass die Gesellschaft im Ganzen von Verrätern sprach. Aber es gab Leute, die so gedacht haben. Es gab Leute, die aus dem Krieg zurückgekommen waren und gemeint hatten, wenn das nicht passiert wäre, hätten wir vielleicht den Krieg gewonnen und solchen Unsinn. Aber es ist nicht so gewesen, dass ich, sage ich mal, das Gefühl hatte, wir werden, oder die Familie wird deswegen diskriminiert. Im Gegenteil: Es gab natürlich auch Freunde, wie zum Beispiel den sogenannten Ochsensepp, den Gründer der CSU, der mit meinem Vater ja zusammengearbeitet hat, der Josef Müller, und diese Leute natürlich haben auch meiner Mutter sehr viel geholfen.
    Auch die ehren, die nicht auf der linken Seite waren
    Heinemann: Die DDR heroisierte den kommunistischen Widerstand. Im Westen standen der Kreisauer Kreis im Mittelpunkt, die Goerdeler-Gruppe oder die Weiße Rose. Wie haben Sie diese geschichtspolitische Betrachtung, oder man könnte auch sagen Ideologisierung des Widerstandes erlebt?
    Von Dohnanyi: Mich hat das immer sehr geärgert. In dem Hof der Humboldt-Universität in Berlin steht eine Stele, auf der mit Ausnahme Dietrich Bonhoeffers nur linke Studenten, ehemalige Studenten oder Professoren der Universität genannt werden, die von den Nazis umgebracht wurden. Ich habe vor vielen Jahren – ich glaube, es war im Jahr 2006, als mein Onkel Dietrich Bonhoeffer seinen 100. Geburtstag gehabt hätte – dort gesprochen bei dieser Gelegenheit und habe die Universität darauf hingewiesen, dass man eine zweite Stele dort hinstellen sollte und all die Studenten und all die Professoren auch ehren sollte, die nicht auf der linken Seite waren. Das ist nie geschehen, das ärgert mich bis heute, und ich finde das auch feige irgendwie, dass die Universität das nicht fertig bringt, da eine zweite Stele hinzustellen und auch diejenigen zu ehren, die nicht als Kommunisten geehrt werden müssen. Aber im Westen war es so, dass ich etwas Auseinandersetzungen mit Helmut Kohl hatte, weil er in der Gedenkstätte 20. Juli und der dortigen Ausstellung deutscher Widerstand wiederum einige Kommunisten nicht haben wollte, und da habe ich gesagt, das geht nicht, denn damals war das alles eine Front, auch wenn die Kommunisten in Deutschland damals, sage ich mal, später zum Teil auf die Seite einer Diktatur übergegangen sind.
    Heinemann: Wie hat Kohl reagiert?
    Von Dohnanyi: Wir haben am Ende uns durchgesetzt. Ich habe das mit Professor Steinbach, der damals der Vorsitzende dort war, durchgekämpft und am Ende hat Kohl nachgegeben.
    Manche Leute kamen relativ spät zum Widerstand
    Heinemann: Herr von Dohnanyi, von Stauffenberg war ja nicht unbedingt ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie. Ändert das für Sie etwas an der historischen Beurteilung dieses Widerstandskämpfers?
    Von Dohnanyi: Nein. Das ist eher so, dass natürlich manche Leute - dazu gehört auch Stauffenberg - relativ spät zum Widerstand gekommen sind. Man weiß ja, dass Stauffenberg '38 ganz bestimmt noch nicht für einen Staatsstreich gewesen wäre. Das ändert für mich gar nichts. Nein, das sind alles ehrenwerte Leute, jeder aus einer unterschiedlichen Tradition, aus einer unterschiedlichen Berufsgruppe, und dass mein Vater als Jurist so früh sich entschieden hat, Juden zu helfen und die Nazi-Verbrechen aufzuzählen oder aufzulisten, das ist eine Sache gewesen, die mit seinem Charakter zusammenhing und mit seiner auch eher bürgerlichen Erziehung, wie auch bei meiner Mutter und bei Dietrich Bonhoeffer und so weiter, die nicht in die Versuchung gekommen waren, aus militärischen Gründen zum Beispiel auf der anderen Seite zu stehen.
    Heinemann: Die Namen Stauffenberg, Treskow, Goerdeler, Beck verbinden die meisten Menschen mit dem 20. Juli. Anders im Fall von etwa Friedrich Karl Klausing, Erich Fellgiebel oder Georg Schulze-Büttger. Wieso sind so viele der Frauen und Männer des 20. Juli unbekannt geblieben?
    Von Dohnanyi: Na ja, weil der 20. Juli ja eine hoch dramatische und öffentliche Folge gehabt hat. Der 20. Juli führte ja zu den Prozessen und in diesen Prozessen vor dem Volksgerichtshof unter Kreisler konnte ja sozusagen das Ganze noch mal öffentlich werden. Diejenigen, die schon vorher verhaftet waren, oder nicht in diese Prozesse einbezogen waren, nicht so dramatisch in die Prozesse einbezogen waren, wie zum Beispiel meine beiden Onkel Klaus Bonhoeffer, der Bruder von Dietrich, und dann Rüdiger Schleicher, der die Schwester meiner Mutter geheiratet hatte, die waren erst später in diesen Prozess einbezogen, und dadurch war das dann auch nicht so öffentlich und dramatisch. Aber der Unterschied liegt eben darin, dass die einen sehr viel früher gehandelt haben, auch schon früher zum Teil verhaftet waren, und die anderen eben am 20. Juli diesen dramatischen öffentlichen Prozess mit den Auftritten unter anderem zum Beispiel von Moltke und so weiter hatten, was natürlich sich in die Geschichte tiefer eingeprägt hat.
    Heinemann: Herr von Dohnanyi, Ihr Vater wusste, dass die Nazis ihn umbringen würden, sobald sie Kenntnisse von seinen Plänen bekommen hätten. Was würden Sie jungen Menschen sagen? Wofür lohnt es sich heute, sein Leben aufs Spiel zu setzen oder sogar bewusst zu opfern?
    Zivilcourage muss erfahren werden
    Von Dohnanyi: Die Leute müssen ja ihr Leben heute nicht aufs Spiel setzen. Die Leute müssen nur den Mut haben, wenn eine Parteiveranstaltung stattfindet und sie wollen gerne gewählt werden, trotzdem ihre Meinung zu vertreten. Die Leute müssen ja nur den Mut haben, auf einem Gewerkschaftskongress die alte Position der Gewerkschaften zu vertreten und zu sagen, ich bin gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Wir brauchen heute keine Helden, die bereit sind, ihr Leben zu opfern. Das kann passieren, wenn ein Feuerwehrmann bereit ist, in ein brennendes Haus zu gehen, um fünf Kinder zu retten. Aber in Wirklichkeit: Was die Leute heute brauchen, ist Zivilcourage, aufstehen, wenn man anderer Meinung ist, in der Schule aufstehen, wenn der Lehrer den Freund, den kleinen Max benachteiligt hat, zu sagen, Herr Lehrer, das war nicht gerecht. Das muss sein. Zivilcourage muss unterrichtet werden. Zivilcourage muss erfahren werden. Die Leute müssen nicht ihr Leben einsetzen. Der 20. Juli und der deutsche Widerstand in der Beziehung ist heute mit nichts zu vergleichen, weil die Leute ja alle nicht in Lebensgefahr stehen. Aber Courage, selbständiges Handeln, Mut zu haben, das ist eigentlich die Aufgabe, und davon wird nach meiner Meinung viel zu wenig geübt, ausgeübt und auch zu wenig darüber geredet, und das ist für unsere Gesellschaft viel wichtiger, als sich vorzustellen, ob man ein Held sein kann.
    Heinemann: Wie fördert man Courage?
    Von Dohnanyi: Indem man als Lehrer die Leute lobt, die einem widersprechen, indem man den Leuten zeigt, dass es sich lohnt, gerade aufzustehen. Das müssen Parteien lernen und machen und das muss im Parlament geschehen. Ich meine, mein Vorgänger hier in Hamburg, Klose, der hat ja damals - ich glaube, es war die Sache des Irak-Krieges - für die Alliierten, also gegen seine Partei gestimmt. Das ist Courage und deswegen meine ich, die Vorbilder sind die, die mutig sind, ihre eigene Meinung öffentlich zu vertreten, auch dann, wenn sie wissen, meiner Karriere oder meinem Einkommen oder was könnte es schaden. Wenn man das nicht lernt, dass man das machen kann und machen muss, dann ist es allerdings nicht gut um unser Land bestellt.
    Heinemann: Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, früherer Erster Bürgermeister von Hamburg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.