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Hoch gelehrt und raffiniert unterhaltsam

Umberto Eco ist nicht nur Professor für Semiologie und Literaturwissenschaftler, sondern als Verfasser internationaler Bestseller auch ein in zahlreiche Sprachen übersetzter Romancier und Essayist, der auch selbst als Übersetzer aus dem Französischen ins Italienische hervorgetreten ist. Auf der Basis dieser vielseitigen Erfahrungen ist er wie kaum ein zweiter dazu prädestiniert, alte und neue Probleme des Übersetzens in den Blick zu nehmen.

Von Klaus Modick | 05.01.2007
    Schriften zu Theorie, Philosophie und Praxis des Übersetzens sind in den vergangenen Jahren in großer Menge erschienen, wofür es mehrere Gründe gibt. Erstens erfordern die Phänomene der Globalisierung immer engere Kontaktaufnahmen zwischen den Sprachen der Welt; zweitens bekommt wegen der Internationalisierung der Wissenschaften der Übersetzungsbegriff wachsende Bedeutung für die Semiotik; und drittens erfordert die Expansion der Informatik immer mehr Modelle für computergenerierte Übersetzungen.

    Ecos umfangreiches Buch, das aus verschiedenen Vorträgen und Aufsätzen komponiert ist, gleichwohl eine weitgehend geschlossene Argumentation liefert, berücksichtigt solche aktuellen Diskussionen durchaus, legt sein Hauptaugenmerk allerdings aufs Übersetzen literarischer Werke. Und das aus gutem Grund. Denn Übersetzungen entfalten literarische Werke, und zwar sowohl geschichtlich, wenn es sich um Texte aus früheren Epochen handelt - Übersetzungen können dann zu Aktualisierungen werden -, als auch in ihrem gegenwärtigen Konnotationspotential. Jede Übersetzung eines literarischen Werks in eine andere Sprache erweitert dessen ästhetische Schwingungsbreite, weil jede Übersetzung dem Werk etwas gibt, was es ohne die Übersetzung nicht kannte, zugleich aber auch etwas nimmt - das letztlich Unübersetzbare nämlich, das zugleich an den Kern der Literatur rührt. Der amerikanische Lyriker Robert Frost hat deshalb apodiktisch gesagt: Poetry is what gets lost in translation - Dichtung sei das, was in Übersetzungen verloren gehe. Andererseits können bestimmte Bedeutungen des Originals überhaupt erst in seinen Übersetzungen entstehen, Bedeutungen, über die sich der Autor gar nicht klar sein konnte, über die der Übersetzer sich aber Klarheit verschaffen muss.

    Literarisches Übersetzen ist somit eine kommentierende und synthetisierende, interkulturelle Kombinationsleistung, die an die Bedeutungsstrukturen derjenigen Sprache gebunden ist, in die übersetzt wird, und die durch die kulturellen Traditionen vermittelt ist, denen diese Sprache entspringt. Eco definiert diesen Zusammenhang folgendermaßen: Übersetzungen müssten auf semantischer, syntaktischer, stilistischer, metrischer und lautlicher Ebene und in den Gefühlsregungen beim Leser ähnliche Wirkungen erzeugen wie der Originaltext. Eco sieht natürlich die von Frost bezeichnete Unmöglichkeit des Übersetzens und arbeitet deswegen mit der Prämisse, "dass Übersetzen auf einer Reihe von Verhandlungsprozessen beruht - ist doch Verhandlung genau ein Prozess, bei dem man um etwas zu erreichen, auf etwas anderes verzichtet, und aus dem die Parteien am Ende mit einem Gefühl von vernünftiger, wechselseitiger Befriedigung herauskommen sollten, geleitet vom goldenen Prinzip, dass man nicht alles haben kann." In diesem Prozess gibt es viele Parteien, nämlich den Ausgangstext mit seinem Autor, die Kultur und Zeit, in denen der Text entsteht, andererseits den Zieltext mit dem Übersetzer und dessen kultureller Gebundenheit, aber auch die Leser und die Verlagsindustrie mit ihren Interessen. Deswegen sei auch die vielbeschworene Treue kein Kriterium, das zu einer akzeptablen Übersetzung führe. Treue, so Eco, "ist eher die Neigung zu glauben, dass eine Übersetzung immer möglich ist, wenn man den Text mit passionierter Komplizenschaft interpretiert hat, sie ist die engagierte Suche nach dem, was für uns der tiefere Sinn des Textes ist, und die Fähigkeit, in jedem Augenblick über die Lösung zu verhandeln, die uns als die beste erscheint."

    Diesen passionierten Verhandlungsprozess demonstriert Eco an zahlreichen Beispielen aus der Weltliteratur, hoch gelehrt und zugleich auch raffiniert unterhaltsam, doch muss, wer dies Buch goutieren will, sich durchaus für die Grundproblematik des Übersetzens interessieren. Am Ende weiß man dann, dass gelungenes, literarisches Übersetzen keine Planerfüllung theoretischer Maßstäbe sein kann, sondern stets das Ergebnis lebendiger Erfahrung, geistiger Neugierde und interkultureller Toleranz.