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Hochbegabt und tschüss!

Ein 15-Jähriger auf der Überholspur. Mit 14 hat Nikolaus Hildebrand Abi gemacht. Jetzt ist er an der Uni und studiert Physik und Chemie. Hochbegabtenklasse und Frühstudium, Angebote, auf die der Freistaat Bayern besonders stolz ist, hat er dabei nicht wahrgenommen.

Von Susanne Lettenbauer | 21.10.2010
    Ein Chemielabor an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Einen Kittel tragend und mit Schutzbrille steht Nikolaus Hildebrand an der Tür, albert mit seinen neuen Kommilitonen herum. Jeder der 203 Erstsemester hier weiß, dass der 15-Jährige Bayerns jüngster Student ist, dass er sich für ein Doppelstudium eingeschrieben hat – Chemie und Physik.

    "Das läuft wirklich darauf hinaus, dass man die Vorlesungen nur sporadisch besucht, den Stoff zu Hause durchnimmt, entsprechend selbstgesteuert, wie ich mir das immer vorgestellt habe, und dann schaue ich mal, ob ich das schaffe."

    Harvard, Amerikas Eliteuniversität ist sein Traumziel, da ist Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität mit ihren Kontakten in die USA nicht schlecht, meint er. Martin Biehl, Dekan der Fakultät für Chemie und Pharmazie in München konkurriert mit den größten Universitäten weltweit um die besten Köpfe. Gerade konnte er deutsche Topwissenschaftler aus den USA wieder zurück nach München locken.

    "Also zunächst freuen wir uns als Fakultät, dass wir offensichtlich attraktiv sind für solche jungen hochbegabten Leute und das ist für uns erstmal eine positive Nachricht."
    Selbstständig ist der 15-Jährige. Seit er als Sechsjähriger in der Grundschule simple Buchstaben ausmalen musste, erzählt Nikolaus Hildebrand, wollte er seine Schulzeit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Nikolaus büffelte den Stoff der höheren Klassen im Alleingang. Übersprang die erste, die siebte, dann die achte und die zehnte Klassenstufe am Gymnasium Tutzing, dessen Schulleiter ihm alle Optionen offen hielt. Der Junge wechselte einmal probeweise aus Neugier ans Münchner Maria-Theresia-Gymnasium, in eine Hochbegabtenklasse. Wohl aber fühlte er sich nicht.

    "Schlussendlich wird auch dort nach Noten ausgewählt, was schwierig ist. Da weht noch ein rauerer Wind. Ich glaube nicht, dass dort etwas für Hochbegabte gemacht wird, sondern einfach das Anforderungspotenzial höher ist, das gestellt wird."

    Acht dieser Hochbegabtenklassen finanziert der Freistaat Bayern. Der Schüler-Andrang ist enorm, weitere sind in der Planung. Die Förderung setzt bereits in der Grundschule an: Jüngst wurde ein Pilotprojekt mit 20 flexiblen Grundschulen gestartet, das hochintelligenten Schülern eine dreijährige Grundschulzeit ermöglichen sollen, so Bayerns Kultusstaatssekretär Marcel Huber:

    "Unser Credo ist, wir wollen den Kindern die Chance geben, aus sich das herauszuholen, was in ihnen steckt. Dadurch, dass wir ihnen in der Individualität möglichst nachgeben. Deshalb auch das differenzierte Schulsystem, deshalb die Bestrebungen, möglichst viele individuelle Angebote in allen Schularten zu machen."

    Nikolaus und seine Eltern entschieden sich gegen bayerische Förderangebote, er wollte an herkömmlichen Schulen bleiben, keine Ausnahme sein. Das Angebot Frühstudium, auf das der Freistaat besonders stolz ist, lehnte der selbstbewusste Junge ebenfalls ab:

    "Ich habe darüber nachgedacht. Es war auch einige Zeit mein Ziel. Schlussendlich habe ich mich dann entschieden, es so schnell wie möglich zu machen und nicht so viel wie möglich. Und natürlich hatte ich den Wunsch, ein sehr gutes Abitur zu schreiben, was nicht unbedingt mit der Kombination möglich gewesen wäre. Prinzipiell halte ich es für ein sehr gutes Angebot. Ich habe es mir ernsthaft überlegt und habe mich für die Alternative entschieden."

    Manfred Heuschmann war über Hildebrands Entscheidung erleichtert. Er empfiehlt grundsätzlich, lieber die Schule schnell abzuschließen und dann mit dem Studium zu beginnen. Der Studiendekan der Fakultät für Chemie und Pharmazie erinnert sich an frühere Versuche, Gymnasiasten an sein Institut zu holen. Sie scheiterten alle:

    "Ich habe das Gefühl, das ist der falsche Weg, jedenfalls für die Chemie, weil es organisatorische Schwierigkeiten gibt. Der Stundenplan mit dem Schulstundenplan ist ganz schwer zu koordinieren."

    Auch das Deutschlandstipendium für Hochbegabte kennen die Professoren an der LMU bislang nur aus den Medien. Natürlich kokettiert Bayerns jüngster Student Nikolaus Hildebrand mit dem Gedanken, sein Doppel-Studium der Chemie und Physik in kürzester Zeit zu absolvieren. Doch für Hochbegabte gelten dieselben Regeln wie für alle anderen Studierenden. Die Zeiten, als die Eltern von Nikolaus Hildebrand im Münchner Kultusministerium anriefen und Probleme recht unkonventionell von oben geregelt worden sind, sind vorbei. Diese Unterstützung erwartet der 15-Jährige an der Uni auch nicht mehr. Er will einfach nur ein normaler Student sein:

    "Ich hatte so die Idee, ja komm, ich mache das Studium jetzt auch in zwei Jahren, das krieg ich schon hin, aber das geht gar nicht. Und wenn dann nur mit vielen Sondergenehmigungen. Ich bin durchaus optimistisch, dass, wenn man die Leute anbetteln würde, dann würde ich es auch bekommen. Aber das wäre ein viel größerer Schlauch als ein spannendes Doppelstudium."

    Studiendekan Manfred Heuschmann wartet jetzt ab. Schulleistungen seien noch keine Hochschulleistungen ist er überzeugt. Falls ein Hochbegabter tatsächlich unterfordert ist im Chemiestudium, wäre sein Institut das letzte, das nicht eine Extralösung suchen würde:

    "Dann ermöglichen wir das solchen Leuten schneller durchs Studium zu kommen, wenn das organisatorisch möglich ist."

    Sollte Nikolaus Hildebrand sein Chemie- und Physik-Studium ähnlich schnell absolvieren wie seine Schulzeit, wartet auf ihn das institutseigene Fast-Track-Programm. Parallel zum Masterstudium könnte er sein Promotionsstudium beginnen und damit gut zwei Semester sparen. Einer Promotion mit 21 Jahren stünde dann nichts mehr im Wege. Und er wäre jung genug, um dann noch nach Harvard zu gehen.