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Hochbegabtenförderung
Kein einheitliches Konzept für die Berliner Schulen

Von Susanne Arlt | 27.09.2014
    "Wie groß ist denn die Welt?"
    Kathrin Bach schaut ihre 14 Schülerinnen und Schüler aufmunternd an. Wie groß die Welt ist? Keine einfache Frage. Selbst für Erwachsene nicht. Trotzdem muss die Lehrerin von der Anna-Lindh-Grundschule im Berliner Wedding nicht lange warten, bis sie die ersten Antworten auf ihre Frage bekommt.
    "Die Welt ist schon groß, aber wenn du dir das Universum anschaust, dann ist die Welt nur ein Punkt. Wenn man von der Welt spricht, sieht man ja immer nur die Erde, aber es gibt ja noch viel mehr Welten, auch wenn sie unbewohnt sind. Und wer sagt, dass das Universum, in dem wir leben das einzige ist?"
    Die meisten der Dritt– bis Fünftklässler, die an diesem Nachmittag ganz ungezwungen in einem Kreis zusammen sitzen, sind geübt im Assoziieren, im Kreieren von Metaphern. Gedankensammeln, nennt es ihre Lehrerin. Offiziell heißt das zweistündige Angebot "Philosophieren mit Kindern". Die Sieben- bis Elfjährigen sitzen freiwillig hier, manche von ihnen sind hochbegabt, aber nicht alle, betont Kathrin Bach.
    "Inklusive Begabtenförderung bedeutet ja, dass Kinder mit ganz unterschiedlichen Stärken und ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenkommen. Ich persönlich schließe niemanden aus, der hier Interesse hat, sondern die Inklusivität dieses Kurses soll wirklich gegeben sein."
    Meinungsverschiedenheiten sind in dieser Doppelstunde erwünscht. Falsche oder richtige Antworten gibt es hier nicht. Es gehe um die Gesprächskultur, sagt Kathrin Bach. Um das gegenseitige Zuhören und Ausreden lassen. Und vor allem um Akzeptanz. Das alles fördert die Denkfreiheit der lernstarken, aber auch der lernschwachen Kinder.
    "Das ist eben der Irrtum, dass man denkt, starke Schüler, die können alleine arbeiten und da muss ich mich nun überhaupt nicht drum kümmern, das ist ein ganz großer Irrtum."
    Meint Maria Best, Konrektorin der Anna-Lindh-Grundschule. Anders als in den meisten anderen Berliner Grundschulen werden seit zehn Jahren begabte und hochbegabte Kinder nach einem bestimmten Konzept gefördert. Die damalige Direktorin rückte schnell von der Idee ab, diese Schüler in einer einzelnen Klasse unterzubringen. Schließlich will man keine gesellschaftlichen Außenseiter erziehen. In zwölf speziellen Klassen lernen sie gemeinsam mit normal talentierten Zöglingen.
    "Diese Kinder sollen nicht Klassen überspringen, weil sie damit emotional, sozial oft überfordert sind, sondern sie werden gemeinsam unterrichtet und man schafft Gelegenheiten in diesem gemeinsamen Arbeiten, dass jeder seinen Begabungen gemäß arbeiten kann."
    Die leistungsstarken Kinder bekommen im Unterricht öfter Sonderaufgaben und in der Woche zusätzliche Förderstunden. Neben dem Philosophieren machen sie naturwissenschaftliche Experimente, knobeln an schwierigen Rechenaufgaben oder bauen und programmieren Roboter. In der Berliner Schullandschaft hat sich die einzigartige Begabtenförderung an der Anna-Lindh-Schule längst herumgesprochen, doch nur eine Handvoll Grundschulen und Gymnasien machen es ihr nach.
    Warum das so ist, konnte oder wollte die Senatsverwaltung nicht erklären. Stattdessen hieß es dort lapidar: Es gibt unterschiedliche Förderkonzepte, am besten rufen sie in zwei, drei Schulen an. Dort lautete oft das Argument, die Verwaltung stelle für Hochbegabte keine extra Stunden bereit. Zusätzliche Ressourcen investiere man lieber erst einmal in die leistungsschwächeren Schüler. Lehrerin Kathrin Bach bedauert das.
    "Da werden Kinder allein gelassen, sie werden nicht wahrgenommen. Es ist leider auch schon vorgekommen, dass wirklich hochbegabte Kinder auf den früheren Hauptschulen gelandet sind, weil sie als behindert dargestellt worden sind. Da muss noch ganz, ganz viel Aufklärung betrieben werden, nicht nur in der Gesellschaft, auch im Lehrkörper. Und vor allem muss auch investiert werden in Aufklärung und Fortbildung in diesem Thema."