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Hochkultur und Hochverrat

Was wir jetzt von Per Olof Enquist über Hamsun lesen können, ist nicht das Drehbuch zu Jan Troells Film von 1996, sondern eine Art Nacherzählung, die zugleich als Entwurf verstanden werden kann, ein literarischer Zwischenzustand. In kurzen nummerierten Abschnitten, die oft keine Seite füllen, entsteht sukzessive Hamsuns letztes Lebenskapitel, das in Norwegen wohl immer noch als nationale Schande gilt.

Per Olov Enquist über Knut Hamsun | 16.08.2005
    Filmdrehbücher liegen außerhalb des gewohnten Lesestoffs; anders als Theaterstücke rechnet man sie nicht zur schönen Literatur. Das hat einen sachlichen Grund. Der Film ist, wie der berühmte Kunstwissenschaftler Erwin Panofsky in einem kanonischen Aufsatz 1947 feststellte, kombinierter Ausdruck. Die Schauspieler, der Schnitt, die Musik, der Text verschmelzen im Kino so dicht miteinander, dass aus dem Text kein eigenständiges Buch zu machen ist.

    Was wir jetzt von Per Olof Enquist über Hamsun lesen können, ist nicht das Drehbuch zu Jan Troells Film von 1996. Sondern eine Art Nacherzählung, die zugleich als Entwurf verstanden werden kann, ein literarischer Zwischenzustand. In kurzen nummerierten Abschnitten, die oft keine Seite füllen, entsteht sukzessive Hamsuns letztes Lebenskapitel, das in Norwegen wohl immer noch als nationale Schande gilt.

    Der Nobelpreisträger von 1920 war eine Art literarischer Pater patriae, der mit seinen Romanen der Welt von Norwegen und Norwegen so eindrücklich von sich selbst erzählte, dass es ein klares Selbstbild gewann - die typische Aufgabe des Nationaldichters. Dieser Hamsun aber - dessen Romane, wie ich versichere, inzwischen nur ganz wenig Staub angesetzt haben -, dieser Hamsun erklärte sich in den dreißiger Jahren zu einem Anhänger Hitlers. Er vermeinte in dessen arischen Großreich ein neues Europa zu erkennen, in dem Norwegen als germanischem Bruderstaat ein ehrenvoller Platz zukäme. Hamsun begrüßte die Besetzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht, er sah darin eine Schutzmaßnahme gegen eine britische Invasion; überhaupt galt Großbritannien sein versammelter Hass. Hamsun unternahm Vortragsreisen ins Dritte Reich. Er besuchte Hitler und veröffentlichte nach dessen Niederlage und Selbstmord einen rühmenden Nachruf. Man machte ihm den Prozess, aus dem er mit einer hohen Geldstrafe herauskam, um 1952 mit 93 Jahren in Freiheit zu sterben.

    Der schwedische Romancier Per Olof Enquist, den deutschen Lesern mit vielen schönen Büchern vertraut, baut diese Geschichte durchaus filmisch auf. Die Erzählbausteine, in sich abgeschlossen, sollen auch die zweite Tragödie vergegenwärtigen, die von Marie Hamsun, 20 Jahre jünger, die mehrere Kinder aufzog und eine eigene kleine Autorenkarriere verfolgte. Wie Enquist die Geschichte entwickelt, fühlte sie sich am Ende ihrer Ehe wie ihrer Karriere, als die Naziutopie aufkam. Sie schien ihr neue, ausgreifende Möglichkeiten zu eröffnen. Sie kooperierte mit dem Ministerpräsidenten Quisling (dessen Name dann zum Inbegriff des Nazi-Kollaborateurs wurde). Sie unternahm Lesereisen (mit Hamsuns Werken) ins Dritte Reich. Am Ende konnten manche meinen, sie habe ihn manipuliert.

    Er gewiss nicht. Enquist gewinnt aus Hamsuns Stocktaubheit, die ihm einerseits viele Situationen erschloss, anderseits aber seinen immer noch lebhaften Intuitionen viel Raum schaffte - Enquist gewinnt daraus eindrucksvolle, oft komische Effekte. So bei Hamsuns Besuch auf dem Berghof, als Hitler den Dichter geradezu untertänig empfängt; sich dann aber anhören muss, wie Hamsun en passant den Antisemitismus als schädlich verurteilt, mit brüllender Stimme (stets brüllt er in seiner Taubheit).

    Die filmische Erzählweise, die elegante Montage kurzer, abgeschlossener Szenen erzeugt beim Lesen richtig Kinogefühle. Freilich muss man den Film selbständig imaginieren, aus dem Zustand der bloßen Nacherzählung respektive des bloßen Entwurfs gewissermaßen erlösen. Wie der Psychiater Langfeldt Hamsun bei der Vorbereitung des Hochverratsprozesses einer quälenden, aber zugleich zärtlichen Begutachtung unterwirft. Die mehrseitige Szene, wie Hamsun sein Schlussplädoyer hält, eine unentwirrbare Mischung aus Altersstarrsinn und imponierender Autonomie.

    Aber der Leser schafft es nur selten durchgehend, diesen imaginären Film zu erzeugen. Vor allem fehlen ihm die Schauspieler, die ja mit ihrem Körper die Erzählung einleuchtend, plausibel machen; gerade bei einer Ehetragödie sind diese Körper ganz unverzichtbar. Dankbar informiert sich der Leser anderswo, dass beispielsweise der grandiose Edgar Selge bei Jan Troell den eisigen Reichskommissar für Norwegen, Terboven, gibt, den kein Gnadengesuch davon abbringen kann, dass jugendliche Widerstandskämpfer zu erschießen sind. Ja, so etwas macht Edgar Selge brillant, den Reichskommissar Terboven. Und Knut Hamsun ist - der Hanser-Verlag verliert kein einziges Wort darüber -, Knut Hamsun ist Max von Sydow. Dann wird alles klar, denkt der Leser zufrieden.