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Hochleistungsofen gegen Chemiewaffen

Wenn bei der GEKA, der Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten, chemische Waffen vernichtet werden, dann kommt dabei häufig ein spezieller Sprengofen zum Einsatz. Entwickelt wurde dieser von Dynasafe Demil Systems.

Von Mirko Smiljanic | 08.11.2013
    Munster in der Lüneburger Heide. Auf dem weitläufigen Gelände der GEKA, der "Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten" herrscht tiefe Ruhe. Flugzeuge haben striktes Überflugverbot, Autos fahren konsequent Schritttempo, Menschen bewegen sich langsam. Jeder Fehler kann eine Katastrophe auslösen.

    "Wir haben die Granate, die draußen gefunden wurde, in einen Treibladungsträger verpackt,"

    sagt dieser Munitionsexperte, der in einem weißen Schutzanzug inklusive Gasmaske gemeinsam mit einem Kollegen ein etwa 70 Zentimeter langes Stahlrohr mit der Granate in die Halterung einer Röntgenanlage stellt:

    "Die wurde jetzt hier angeliefert, auf den Röntgentisch gelegt in einer 45-Grad-Schräglage, damit man anschließend, wenn Sie einen Flüssigkeitsspiegel haben, diesen besser erkennen kann","

    zeigt das Röntgenbild eine Flüssigkeit, enthält die Granate mit hoher Wahrscheinlichkeit chemische Kampfstoffe. Ob Lost, Sarin, Clark 1 oder Clark 2 weiß zu diesem Zeitpunkt niemand. Häufig kommt so etwas glücklicherweise nicht mehr vor, zurzeit warten in Munster elf Chemiewaffen auf ihre Entsorgung. Und die beginnt mit der sogenannten Delaborierung, bei der die Granate zunächst aufgesägt wird, um anschließend die Treibladung vom chemischen Kampfstoff zu trennen. Ist das geschehen, wandern die Einzelteile in Kisten verpackt zum Sprengofen.

    ""Wir sind hier jetzt in dem Kontrollraum vom Sprengofen, der Sprengofen hat einen eigenen Kontrollraum, das heißt, es läuft alles vollautomatisch ab, es werden nur noch Schrittketten initiiert,"

    sagt Niels Schneider, bei der GEKA zuständig für die Munitionsvernichtung:

    "Der Ofen hat ungefähr einen Durchmesser von zwei Metern und ist ungefähr zweieinhalb Meter hoch und hat zwei Mal 7,5 Zentimeter Stahlwandung, das ist die sogenannte detonationssichere Stahlwand, das heißt, der Ofen ist zugelassen für eine Explosivstoffmasse von 2,3 Kilogramm TNT-Äquivalent, wenn die dort in der Masse detonieren, passiert nichts."

    Konstruiert und gebaut hat den Sprengofen die Firma Dynasafe, die zur Dynasafe Gruppe gehört. Die Dynasafe Gruppe ist auf drei Geschäftsfeldern aktiv: Erstens beschäftigt sie sich mit der Suche und Räumung von Munition zu Land und im Wasser; zweitens mit dem Bau von Systemen, mit denen Bomben, Granaten und andere explosionsträchtige Objekte sicher transportiert werden können; und drittens mit der Konstruktion von Anlagen, die Munition vernichten – etwa Sprengöfen. Das dritte Geschäftsfeld – es wird unter dem Namen "Dynasafe-Demil-Systems" zusammengefasst, also "Demilitarisierungs-Systeme" – hat unter anderem einen Sitz in Mülheim an der Ruhr, das Hauptquartier befindet sich in Karlskoga, Schweden. Es gibt weitere Dependancen in den USA:

    "Und wir haben eine kleine Einheit, die sich in der Nähe von Winsen an der Aller befindet, die Dynasafe Sales & Operations, in diesem Bereich in Winsen an der Aller betreiben wir eine kleine Munitionsvernichtungsanlage,"

    sagt Thomas Stock, Geschäftsführender Direktor von Dynasafe Deutschland. Die Zahl der Mitarbeiter der gesamten Dynasafe Gruppe unterliegt starken Schwankungen, weil man

    "gerade im Bereich Räumung ein Saisongeschäft hat. Ich gehe mal davon aus, dass wir etwa von 350 bis 500 Mitarbeitern reden, Umsatz im letzten Jahr 55 bis 60 Millionen Euro für die gesamte Gruppe, wo alle drei Businesseinheiten sich darunter befinden."

    Die Dynasafe Demil Systems engagiert sich auf einem Arbeitsfeld mit weltweit großer Bedeutung, wobei aber nicht jeder Staat die gleichen Anstrengungen unternimmt, auf seinem Territorium Kriegshinterlassenschaften zu beseitigen. Immerhin gibt es bei der Vernichtung chemischer Waffen mittlerweile internationale Standards: Alle Unterzeichner des Chemiewaffenübereinkommens – kurz CWÜ – verpflichten sich, keine neuen Chemiewaffen herzustellen und alte Bestände zu vernichten. Weil chemische Waffen nicht außer Landes gebracht werden dürfen, müssen sie im Fundland zerstört werden. Da bis auf wenige Ausnahmen weltweit alle Staaten das Chemiewaffenübereinkommen unterzeichnet haben, sind für Thomas Stock aber die Tage dieser Kategorie von Massenvernichtungswaffen gezählt:

    "Wir haben mit dem internationalen Chemiewaffenvertrag eine Erfolgsstory, die seit 1997 implementiert in Kraft ist, wo wir heute sagen können, dass damit Geschichte geschrieben worden ist und wir davon ausgehen können, dass in relativ kurzer absehbarer Zeit, diese gesamte Klasse an Massenvernichtungswaffen nicht mehr existiert!"

    Mittlerweile stehen 15 Kisten mit konventionellen und chemischen Kampfstoffen auf einem Transportband vor dem Sprengofen der GEKA in Munster. Ruckelnd setzten sich die Kisten in Bewegung, ein stählerne Schleuse öffnet sich, durch die eine Kiste verschwindet. Über ein Aufzugsystem wird sie nach oben transportiert, fällt von dort in den Ofen und verbrennt bei 500 Grad Celsius. Übrig bleibt etwas Schrott und giftiger Rauch, der aber sofort gereinigt wird und erst dann über einen Schornstein in die Atmosphäre gelangt.

    Anfang Dezember bekommt die "Organisation für das Verbot chemischer Waffen" den Friedensnobelpreis. Ein kleines bisschen sind die GEKA in Munster und die Dynasafe Demil Systems daran beteiligt.