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Hochschulen
Es muss über Studiengebühren diskutiert werden

An Hochschulen wird die Betreuung der Studenten immer schlechter, eine einzelne wissenschaftliche Kraft muss sich um immer mehr Studierende kümmern. Angesichts der Finanzlage in den öffentlichen Haushalten müsse wieder über Studiengebühren gesprochen werden, sagte der Bildungsökonom Dieter Dohmen im DLF.

Der Bildungsökonom Dieter Dohmen im Gespräch mit Benedikt Schulz | 17.12.2014
    Studenten gehen am 14.10.2014 auf dem Campus Westend der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main (Hessen) durch die glasumfasste Rotunde, die auch als Cafe dient.
    Studierende der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. (picture alliance/dpa - Frank Rumpenhorst)
    Benedikt Schulz: "Die Zahl der Studierenden in Deutschland …", wer einen Satz so anfängt, der hat in der Regel nur eine neue Rekordmeldung im Gepäck. Aber die Fakten sprechen halt für sich! Noch nie haben so viele Menschen in Deutschland studiert, 2,7 Millionen. Und die Betroffenen sind oft genervt.
    O-Ton Studierende: Es gibt viel zu viele Vorlesungen oder Seminare, wo Studierende nicht rein können, weil die Plätze einfach zu begrenzt sind.
    Ich hatte wirklich eine Vorlesung, wo man in einem Raum für 200 Leute, der für 200 Leute ausgelegt war und 400 Leute drin waren, weil alle halt dahin wollten.
    Und ja, die Räume, das ist natürlich schon irgendwo eine Sache, die sind zu klein für diesen großen Ansturm an Menschen. Das Problem ist aber auch einfach, dass der Studiengang immer größer wird.
    Schulz: Aber um die Massen zu bewältigen, hat man in der Vergangenheit den Hochschulpakt aus der Taufe gehoben. Bund und Länder haben sich zusammengetan, haben zusammen viel Geld bereitgestellt und ja jetzt vor Kurzem erst beschlossen, dass sie das auch weiterhin machen wollen. Bis 2020 sollen so insgesamt rund 760.000 Studienplätze finanziert werden, mit insgesamt rund 13 Milliarden Euro. Stolze Zahlen. Aber anscheinend immer noch nicht genug. Denn die Betreuungsrelationen werden schlechter. Das heißt, eine wissenschaftliche Kraft muss sich um immer mehr Studierende kümmern trotz der ganzen Milliarden, die ins System gepumpt wurden. Sagt eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Sie erscheint heute und der Direktor des Instituts ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Dieter Dohmen!
    Ein Einheitspreis für Studienanfänger
    Dieter Dohmen: Guten Tag nach Köln!
    Schulz: Ihre Studie hat gezeigt, die Betreuungsrelationen werden teils deutlich schlechter, aber - und das ist ja das eigentlich Überraschende - eben nicht überall, sondern vor allem in den MINT-Fächern, also den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Bei den Ingenieuren hat sich die Betreuungsrelation zwischen 2003 und 2012 um fast 50 Prozent verschlechtert. Woran liegt das?
    Dohmen: Woran es genau liegt, das können wir nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Das, was aber durchaus wahrscheinlich ist - und dafür sprechen die Ergebnisse -, dass es Verbesserungen in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften auf der einen Seite und auch den Geistes- und Kulturwissenschaften gibt, hier sind die Betreuungsrelationen zum Teil deutlich besser geworden. Wohingegen, wie Sie das schon erwähnt haben, in den Ingenieurwissenschaften und in Mathematik und Naturwissenschaften wird es teilweise deutlich schlechter beziehungsweise fast durchgängig deutlich schlechter. Dramatisch ist es an den Ingenieurwissenschaften an den Universitäten, hier müssen die Wissenschaftler jetzt 19 Studierende statt vor zehn Jahren noch elf Studierende betreuen, und das könnte tatsächlich darauf zurückzuführen sein, dass es einen Einheitspreis sozusagen für zusätzliche Studienanfänger gibt, nämlich 26.000 Euro. Dafür kann man problemlos Kapazitäten in den günstigeren Fächern, also Geistes- und Sozialwissenschaften schaffen, aber eben nicht in den teuren MINT-Fächern.
    Schulz: Sie haben auch gerade angesprochen, dass es sich besonders bei den Universitäten teils dramatisch verschlechtert hat, auf jeden Fall sehr viel schlechter als an den Fachhochschulen. Sind denn die Universitäten, ich nenne es mal: die Verlierer der Akademisierung?
    Ingenieurswissenschaften besonders betroffen
    Dohmen: So weit würde ich im Zweifel nicht gehen. Das eine ist, wir haben gerade über die Ingenieurwissenschaften gesprochen, da ist es sicherlich ein Stück so, dass offenkundig nicht in dem Maße ausgebaut worden ist, wie das eigentlich notwendig gewesen wäre. Geht man über alle Fächer an den Universitäten, gibt es vergleichsweise wenig Veränderungen, wenn aber auch in der Tendenz tatsächlich in die ungünstigere Richtung. Anders hingegen an den Fachhochschulen, im Durchschnitt, muss man sagen, ist die Betreuungsrelation an den Fachhochschulen etwas besser. Aber auch hier, das gilt nicht für die Ingenieurwissenschaften, sondern das gilt halt insbesondere auch für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Das heißt, es kommt in beiden Hochschultypen quasi zu erheblichen Veränderungen.
    Schulz: Wo sehen Sie die Lösung?
    Dohmen: Die Lösung muss, glaube ich, mehrere Punkte beinhalten. Das eine ist durchaus, also, es muss diskutiert werden, ob der Hochschulpakt in der vorliegenden Form wirklich geeignet ist, die Studienbedingungen zumindest auf dem Stand zu halten, auf dem sie vorher waren. Und wenn die Studienkosten in den MINT-Fächern teurer sind als in den Rechts- und Geisteswissenschaften und in den Sozialwissenschaften, dann sollte man überlegen, ob man tatsächlich hier differenziert. Das heißt, es gibt mehr Geld je Studienanfänger in den MINT-Fächern und weniger in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Das Zweite ist, wir brauchen eigentlich eine langfristige Strategie, die den Hochschulen ermöglicht, auch tatsächlich nachhaltig Kapazitäten zu schaffen, der Hochschulpakt ist immer wieder temporär angelegt, das heißt, die Hochschulen haben zwar eine temporäre Sicherheit, aber keine langfristige Sicherheit. Professoren können Sie aber nicht nach vier oder zehn Jahren mal eben wieder entlassen, sondern die müssen einfach auf Dauer gehalten werden. Insofern ist es meines Erachtens nötig, dass wir von dieser temporären Anreizpolitik, die durchaus ihren Sinn hat mit Blick auf die Vergangenheit und Positives bewirkt hat, aber ob wir da nicht zu einer Langfriststrategie kommen, die den Hochschulen tatsächlich ermöglicht, bestimmte Dinge mittelfristig oder langfristig und dann strategisch anzugehen.
    Schulz: Jetzt steht uns ja die Lockerung des Kooperationsverbots bevor. Am Freitag ist die Bundesratssitzung, die das entsprechend beschließen wird, voraussichtlich. Glauben Sie denn, dass sich das gerade in dieser Langfristigkeit etwas dadurch verbessern wird?
    Kooperationsverbot war ein Riesenfehler
    Dohmen: Zum einen ist die Aufhebung oder Lockerung des Kooperationsverbots ein wichtiger Schritt. Der vorhergehende Schritt, nämlich das Kooperationsverbot einzuführen, war ein Riesenfehler. Gegen den Rat von allen Experten haben hier politische Animositäten zwischen einigen wenigen Protagonisten dazu geführt. Gleichwohl ist es nicht automatisch eine Lösung, auch der Bund hat nicht Milliarden mehr im Gepäck, die er locker mal an die Hochschulen oder an die Schulen oder in anderen Bildungsbereichen ausgeben kann. Und auch die Länder - und das zeigen ja auch die Entwicklungen im Kontext der Umschichtung des BAföG, das jetzt durch den Bund finanziert wird: Viele Länder können gar nicht mehr Geld in die Hochschulen geben, obwohl das unbedingt nötig ist, der Bund wird in dem Umfang, in dem er finanzieren müsste, es auch nicht können. Das heißt, die Lockerung des Kooperationsverbots ist ein richtiger Schritt, sie muss aber begleitet werden durch nachhaltige Ansätze, wie mehr Geld in die Hochschulen kommen kann.
    Schulz: Und dann die anschließende Frage: Woher soll das Geld kommen?
    Dohmen: Ich sehe die öffentlichen Haushalte nicht, das heißt, wir werden über kurz oder lang zwangsläufig, und so leid es mir für die Studierenden tut, wieder in die Diskussion über Studiengebühren einsteigen müssen. Und das andere ist, wir werden darüber hinaus weitere private Mittel für die Hochschulen gewinnen müssen, wir diskutieren hier im FIBS einen Education Investment Fund, der aus privaten Quellen als Fonds finanziert wird und sich anschließend über die fiskalischen Erträge - also, Hochschulabsolventen arbeiten in einem deutlich größeren Umfang, sind weniger arbeitslos, haben im Schnitt immer noch höhere Gehälter –, aus diesen Mitteln könnte man einen Teil an diesen Fonds sozusagen aneignen oder abtreten, sodass es für beide Seiten ein lohnendes Investment ist. Die öffentliche Hand hat immer noch 15 oder 20 Prozent Rendite und der Fonds könnte fünf Prozent auch haben.
    Schulz: Sagt Dieter Dohmen, Bildungsökonom und Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.