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"Hochschulen sind nicht Fertigungsstätten"

Welche messbaren Ergebnisse hat die Bologna-Nachfolgekonferenz Ende der vergangenen Woche in Budapest und Wien tatsächlich gebracht? Ein Bilanz-Gespräch mit Jan-Hendrik Olbertz,

Jan-Hendrik Olbertz im Gespräch mit Jörg Biesler | 15.03.2010
    Kultusminister Sachsen-Anhalts und deutscher Bologna-Länder-Vertreter.

    Jörg Biesler: Die europäischen Bildungsminister haben sich Ende letzter Woche getroffen zum zehnten Jahrestag des Bologna-Beschlusses zur Einführung der Studienreform. An denen gibt es viel Kritik, und die Minister haben sich vorgenommen, den Kritikern in Zukunft besser zuzuhören. Einer der Minister ist Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt und Vertreter der deutschen Bundesländer. Guten Tag, Herr Olbertz!

    Jan-Hendrik Olbertz: Ja, guten Tag, ich grüße Sie!

    Biesler: Wie groß wird denn Ihr Ohr sein im Vergleich zur Vergangenheit, wesentlich größer?

    Olbertz: Na ja, so lang, wie es jedenfalls uns gezogen worden ist von den Studierenden durchaus mit Berechtigung, denn viele der Kritikpunkte, die die Studenten vorgetragen haben, treffen ja zu, auch wenn sie nicht immer ursächlich mit dem Bolognaprozess zusammenhängen.

    Biesler: Es gibt ja Verhärtungen sozusagen auf beiden Seiten. Es gibt den Eindruck, dass in den Ministerien, in den Hochschulen unter Umständen nicht genug getan wird, um die Bolognareform auch zu einem Erfolg zu führen, also das neue System sozusagen durchgedrückt wird, was immer es kostet, und viele Studierende auf der anderen Seite haben auch sehr pauschale Kritik daran geübt und sind zum Teil auch gar nicht bereit, an der Umsetzung jetzt mitzuwirken. Das liegt ja wohl daran, dass in dieser Reform sozusagen auch insgesamt ein gesellschaftlicher Wandel vermutet wird, der sich da abbildet, also dass es darum geht, die Hochschulen von der Bildungseinrichtung zur Ausbildungseinrichtung umzubauen. Ist das für Sie nachvollziehbar?

    Olbertz: Ja, das ist für mich absolut nachvollziehbar, denn die Hochschulen sind tatsächlich nicht Fertigungsstätten für die Befriedigung von Bedarfslagen der Wirtschaft. Umgekehrt können sie ihre Angebote auch nicht jenseits gesellschaftlicher Entwicklungsbedürfnisse platzieren, sondern müssen mit diesem Bildungsgedanken, der immer auch Ausbildung impliziert, aber sich nicht darauf beschränken lässt, solchen Erwartungen aus Wirtschaft und Gesellschaft auch stellen. Hier wird man einen klugen Mittelweg wählen müssen, denn das System ist öffentlich finanziert ganz überwiegend, und deswegen muss es sich auch öffentlichen Interessen gegenüber aufschließen.

    Biesler: So richtig selbstkritisch war das jedenfalls noch nicht, was öffentlich von den Bildungsministern dann nach außen gekommen ist. Gab es untereinander, also im Kreis der Minister, deutlichere Worte, was da alles falsch läuft unter Umständen?

    Olbertz: Na ja, das gab es schon, und auch aus dem Kommunique ist es ersichtlich, dass wir es erstens mit einem Kommunikations- und auch einem Transparenzproblem zu tun haben, dass also sehr viele Ansprüche des Bolognaprozesses in Bezug auf ihre Zielqualität gar nicht so bekannt sind, dass man deswegen auch schwer zu Urteilen kommt, ob das, was sich jetzt verändert, wirklich zielführend ist. Der zweite wichtige Punkt ist der der Studierbarkeit oder des Student-centered Learning, also des an dem Studenten entlang entwickelten Lehrlerngeschehens an der Hochschule oder an einer Universität. Das fordern die Studierenden ja zu Recht, dass man sich in ihre Lage versetzt und dass man auch die Ansprüche und Bedürfnisse der Studenten auch als allgemeine Orientierung und allgemeine Bildung nicht gering schätzt. Das sind alles schon ernste Probleme, die da zur Sprache kommen. Und im Übrigen sind es keineswegs nur Probleme des deutschen Systems oder der Umstellung in Deutschland, in Österreich ist es sehr, sehr ähnlich und in vielen anderen Ländern auch.

    Biesler: Die Verbindung ist sehr schlecht, deswegen nur noch eine letzte Frage: Es wird wahrscheinlich - zehn Jahre sind ins Land gegangen seit des Bolognabeschlusses - es wird wahrscheinlich noch mal zehn Jahre dauern, bis das System vernünftig funktioniert?

    Olbertz: Na ja, es wird schon deswegen länger dauern, weil sich inzwischen mehr als doppelt so viele Staaten zusammengefunden haben, diesen europäischen Hochschulraum zu bilden, als es anfangs gewesen sind. Deswegen finde ich das nicht weiter dramatisch. Ich finde viel wichtiger, dass man die kritischen Anhaltspunkte wirklich ernst nimmt, da haben wir uns drüber verständigt. Das ist ja auch das erste Kommunique, wo die wirklich genannt werden, also wo es einen Hinweis auf die studentischen Proteste gibt, dass es also keineswegs nur ein Eiapopeia ist und ein Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-Klopfen.

    Biesler: Jan-Hendrik Olbertz, der Kultusminister Sachsen-Anhalts und Vertreter der deutschen Bundesländer bei der Bolognakonferenz in Wien und Budapest vom Ende vergangener Woche zu den Beschlüssen und zu dem, was in Zukunft passieren müsste an den Hochschulen, um den Bolognaprozess letztlich zu einem Erfolg zu führen. Die schlechte Leitungsqualität bitten wir zu entschuldigen. Vielen Dank, Herr Olbertz!

    Olbertz: Ja, ich danke Ihnen auch, auf Wiederhören!