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Hochwasserschutz
Von der Gottesstrafe zum technischen Problem

Hochwasser: Für die einen eine Gottesstrafe, für die anderen ein Übel, das sich technisch eingrenzen lässt. Über solche "Hochwasserkonflikte im Spannungsfeld von Naturwissenschaften, Technik und Sozialökonomie" dreht sich ein gleichnamiges Projekt an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Von Cajo Kutzbach | 19.03.2015
    Die Übersicht zeigt am 15.06.2013 die überflutete Ortschaft Fischbeck (Sachsen-Anhalt). Mit einer außergewöhnlichen Sprengaktion soll ein Loch in einem Elbdeich in Sachsen-Anhalt gestopft werden.
    Versunken in der Elbe: Die Ortschaft Fischbeck (Sachsen-Anhalt) (picture alliance / dpa / Foto: Bundeswehr)
    Hochwasser ist nur eine Katastrophe, wenn es dem Menschen in die Quere kommt. Auch deshalb führt Hochwasser heute zu mehr Betroffenen und größeren Schäden, als zu Zeiten der Römer: Es leben eben mehr Menschen an Gewässern und haben auch mehr Besitz, der beschädigt werden kann. Seit 1950 haben weltweit - außer in Australien - die Schäden durch Hochwasser stark zugenommen.
    Ist das nun eine Folge des Klimawandels, oder hat der Mensch etwas falsch gemacht? Am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg ist Prof. Thomas Meier dieser Frage nachgegangen: "Das ist sicherlich immer eine Mischung. Also das Klima verändert sich und für Hochwasser braucht's Regen, sonst gibt's kein Hochwasser. Das heißt: Die Niederschlagsmenge spielt eine große Rolle. Aber es spielt auch eine große Rolle, ob der ganze Regen direkt in den Fluss geht und sofort abfließt oder ob er irgendwo im Boden versickert, im Wald hängen bleibt und dergleichen mehr, das heißt also: Wie der Mensch mit der Landschaft umgeht, spielt auch eine enorme Rolle. Die nächste Frage ist allerdings, ob den Menschen das Hochwasser stört, ob er nahe genug am Fluss drin sitzt, dass ihm sein Haus unter Wasser steht, oder, ob er so weit weg wohnt, oder ob es schlimm ist, wenn das Haus unter Wasser steht, das ist ja auch nicht unbedingt zwingend."
    Es gibt viele Siedlungen, wie Köln, die immer wieder überschwemmt wurden, und dennoch zogen die Menschen nicht fort. Dabei kann der Glaube eine Rolle spielen, erklärt der Historiker Thomas Haas: "Wenn man sieht, Gott schickt ein Hochwasser, weil ich Sünden begangen habe, dann habe ich eine andere Strategie. Im Extremfall bedeutet das: Ich kann mir überall siedeln wo ich will im größten hochwasser-gefährdeten Gebiet, aber ich muss frei von Sünde sein, dann schützt mich Gott, ich brauche keinen Deich, ich brauche keine Sandsäcke. Das würde, wenn man diesem Konzept rein folgt, würde das völlig genügen."
    Gottesstrafe Sündflut
    Sorgte man dafür, dass in Keller und Erdgeschoss nichts Wertvolles lagerte, war der Schaden zwangsläufig gering, zumal man im Mittelalter viel weniger Hausrat hatte als heute. Damals wurden aber viele Städte gegründet, man baute Brücken und Anleger, die den Lauf des Flusses behinderten und an denen sich bei Hochwasser Treibgut oder Eisschollen aufstauen konnten. Kam es zu besonders schwerem Hochwasser, wie der Magdalenenflut 1342, dann brauchte man eine Erklärung. Prof. Ulrich Kronauer vom Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe: "Die Leute waren einfach diesen Elementen hilflos ausgeliefert und das erklärt mir auch, weshalb dann immer noch die Vorstellung durchaus stark war - die natürlich auch von Theologen geschürt wurde - dass Gott die Menschen für ihre Sünden straft."
    Das scheint auch dazu geführt zu haben, dass man im Binnenland den Nachbargemeinden in der Not viel weniger half, als an der Küste, denn wer durfte es wagen, sich gegen Gottes gerechte Strafe zu stellen? Es war verlockend aus der 'Sintflut', was so viel wie lange dauernde Flut bedeutet, eine 'Sündflut' zu machen, also eine Strafe Gottes. Das geschieht heute noch, wie eine Suche im Internet ergab: "Die erste Informationen war, dass der Metropolit von Montenegro Conchita Wurst für eine große Überschwemmung auf dem Balkan verantwortlich gemacht hat."
    Aufklärung und technischer Fortschritt förderten eine andere Weltsicht. Thomas Haas: "Dann gibt es eine ganz starke Fraktion auch heute noch von - ich nenn das mal - Technikgläubigkeit, oder Technik-Optimismus, wo man glaubt man könnte alles mit der Technik irgendwie hinkriegen. Und wenn man's heute noch nicht schafft, dann muss man die Technik noch weiter entwickeln und dann schafft man's irgendwann. Und das heißt natürlich auch, dass Sicherheit wirklich erreichbar ist, also absolute Sicherheit."
    Die Rheinbegradigung unter Tulla galt aber nicht dieser Sicherheit, sondern man wollte Land gewinnen und die Staatsgrenze zwischen Baden und Frankreich festlegen, die sich in der Flussmitte befand und nach jedem Hochwasser anders verlief. Der Rheinpegel Maxau zeigt, dass die Hochwasser seit 1880 zugenommen haben. Anfangs dauerten sie vier Tage und der Pegel stieg um 5,28 Meter. Heute sind es eher nur drei Tage, in denen der Pegel aber um 9,53 Meter ansteigt.
    Beteiligung der Bürger
    Die Rheinbegradigung war da fast fertig, ist also dafür weniger verantwortlich. Ab 1930 wurden aber systematisch Buhnen in den Rhein gebaut, damit bei Niedrigwasser in der Mitte immer noch eine schiffbare Rinne bliebe, und ab 1932 bis 1977 zehn Stauwehre. Heute fällt es schwer, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Prof. Rainer Helmig, Leiter des Instituts für Wasser- und Umweltsystemmodellierung der Universität Stuttgart: "Ich glaube, dass sich die Gesellschaft erheblich geändert hat, gerade die europäische Gesellschaft, das sieht man an Stuttgart 21 und vielen anderen Bereichen. Und ich glaube, was dringend erforderlich ist, dass die Gesellschaft, die sich gegen Wasserprojekte und andere Projekte auflehnt, auch ein Verständnis dafür haben muss, wie die Prozesse sind.
    Und ich glaube man kann aus der Geschichte lernen zu verstehen, wie etwas entstanden ist, wie etwas verhindert werden kann und wie es positiv gestaltet werden kann. Und ich glaube da muss vielmehr zusammenwachsen, damit wir voneinander lernen, damit wir nicht immer aneinander vorbei reden. Ich halte das für extrem wichtig."
    Thomas Haas nennt ein bei solche Gesprächen weitverbreitetes Problem: "Man hört sehr, sehr oft den Satz: 'Die leisten dort Widerstand, weil wir nicht gut genug kommuniziert haben.' Was steckt denn da drin in dieser Aussage? Da steckt drin: Wir wissen die richtige Lösung und konnten's denen nicht gut genug vermitteln. Und wenn man einem Bürger sagt, er darf kommunizieren oder darf an der Kommunikation teilhaben, dann versteht er darunter: Naja, er darf da mitreden und gegebenenfalls auch ein bisschen steuern. Und das sind einfach zwei völlig verschiedene Welten und grundsätzlich verschiedene Auffassungen von diesem Begriff 'Kommunikation'."
    Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Menschen schon immer auf verschiedene Arten mit Hochwasser umgingen. Hochwasserschutz heute muss genau so vielseitig sein und die Bedürfnisse aller Beteiligten ernst nehmen. Dabei lernten die Wasserbauer, dass Bürger teilweise sehr gute Ideen haben. Also entwickelte man Verfahren, bei denen sie an vielen Beispielen, deren Bedeutung bewerten. So lassen sich die Interessen der Bürger klarer erfassen und Streitpunkte benennen. Ein erheblicher Aufwand, aber manchmal führt das zu gegenseitigem Vertrauen und besseren Lösungen.