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Hochzeit mit dem Heiligen Antonius

Mit Straßenumzügen, Musik, Tanz und reichlich Bowle und Bier feiert Lissabon den Heiligen Antonius. Als Höhepunkt heiraten mehr als ein Dutzend Paare in der Kathedrale Sé. Und weil Antonius auch der Schutzpatron der Liebenden ist, bezahlt die Stadt den Vermählten die Hochzeitsfeier.

Von Lottemi Doormann | 08.06.2008
    Am Abend vor dem Feiertag des Heiligen Antonius scheint die ganze Stadt
    auf den Beinen zu sein. Die Straßen sind mit bunten Girlanden und Laternen geschmückt. Längs der Avenida da Liberdade, der 90 Meter breiten platanengesäumten Prachtstraße, drängen sich die Menschen zu Tausenden auf Tribünen, die eigens für diesen Abend errichtet wurden.

    Punkt neun beginnen mit ohrenbetäubendem Trommelwirbel die "Marchas Populares", eine Parade fantasievoll kostümierter Tanzgruppen aus allen Stadtteilen Lissabons, die an den jubelnden Zuschauern vorbeiziehen. Es ist der Höhepunkt des alljährlichen Santo-Antonio-Festes und ein bisschen wie Karneval in einer Stadt, die keinen Karneval kennt.

    Monatelang haben sich die Gruppen in den 20 Stadtbezirken auf ihren Auftritt vorbereitet, haben Kostüme geschneidert, Lieder verfasst und Tänze arrangiert - unter strikter Geheimhaltung. Denn die Marchas sind auch ein Wettbewerb der Stadtteile um die spektakulärste Darstellung.

    Alle Lieder handeln von den Traditionen in Lissabon, erzählt Carmo Botelho. Die Gruppen haben ihre Cafés und Clubs, und in der Nachbarschaft wird Geld für sie gesammelt.

    An bizarren Einfällen mangelt es nicht. Da sind Tänzerinnen als Spielkarten und Tänzer als Dominosteine verkleidet. Junge Frauen in kniekurzen weiten Röcken mit roten Herzen spielen ausgelassen auf Pappmaschee-Mandolinen, zu der Musik einer Kapelle, deren Musiker in Nussknackeruniformen stecken.

    In orangefarbenen Dirndlkleidern tanzen Marktfrauen, die auf dem Kopf rote Kannen, Blumenkörbe und Früchteschalen balancieren und in wechselnden Formationen flatternde Bänder schwenken. Andere Tänzerinnen punkten mit eng taillierten, königlichen Festgewändern, begleitet von Männern in schmucken Uniformen, die kleine Kirchen vor sich her tragen.

    Und während die Zuschauer immer lauter klatschen und mitsingen, sitzen etwas abseits auf den Ehrenplätzen der Tribüne die Juroren. Nach Mitternacht werden sie verkünden, welche Gruppe für ihren Stadtteil den Sieg geholt hat. Viermal in Folge war es die Alfama, das älteste und traditionsreichste Viertel der Stadt. Auf die Gewinner wartet eine hübsche Belohnung: eine Flugreise nach Brasilien.

    Kein Heiliger wird in Lissabon so geliebt wie Antonius, geboren 1195 im Alfama-Viertel und gestorben am 13. Juni 1231 bei Padua in Italien. Er ist nicht nur der Schutzpatron der portugiesischen Hauptstadt, sondern auch der Beschützer der Liebenden und Eheleute, der Helfer der Armen und Vergesslichen. Deshalb beginnen die Feierlichkeiten zum Antonius-Tag schon am Mittag mit einer großen Hochzeitszeremonie in der Kathedrale Sé.

    Jedes Jahr, am 12. Juni, richtet die Stadt Lissabon zwölf bis 16 Brautpaaren ihre Hochzeit aus. Diese sogenannten Bräute des Heiligen Antonius sind im Rathaus bei einem Wettbewerb ausgewählt worden, berichtet flüsternd Jorge Silva in der Kathedrale. Beide Partner müssen aus Lissabon stammen und in Lissabon leben, sagt er, aber die Auswahlkriterien kenne er nicht. Das Rathaus halte sie geheim. Nach der Trauung werden die Hochzeiter mit großem Tamtam und Konfetti-Regen vor der Kathedrale erwartet.

    Eines der glücklichen Brautpaare, die von der Stadt die Hochzeitskleidung, Ringe, Frisuren, Blumenschmuck, Festessen und einen Benimmkurs für den großen Auftritt spendiert bekommen, sind die 29-jährige Angestellte Denise und der 28-jährige Feuerwehrmann Joao. Was haben sie getan, um beim Wettbewerb gewählt zu werden? Ich glaube, es ist Vertrauen, sagt Denise. Wir hatten Vertrauen, gewählt zu werden. Wir beide lieben den Heiligen Antonius, weil er schon unser ganzes Leben bei uns ist.

    Als die Idee 1958 entstanden sei, erklärt Carmo Botelho, habe man armen Leuten helfen wollen, sich zu verheiraten. Damals hätten die Bräute noch ihre Jungfräulichkeit in einem ärztlichen Test unter Beweis stellen müssen. Das sei heute vorbei.

    Abends laufen die Frischvermählten außer Konkurrenz bei den Marchas Populares mit und ernten stürmischen Beifall. Wenn nach Mitternacht die Scheinwerfer auf der Avenida da Liberdade ausgehen, haben die Feste in der Altstadt längst begonnen.

    Dann strömt das Publikum der Marchas in das Bairro Alto, Lissabons Oberstadt mit ihren Bars und Cafés, durch die labyrinthischen Gassen des Mouraria-Viertels und der Alfama am Fuße des Castelo Sao Jorge, wo an jeder Ecke improvisierte Schänken zu Bowle, Bier und gegrillten Sardinen einladen. Und so groß ist der Ansturm, das Gedränge auf den Altstadttreppen, dass bald kein Durchkommen mehr ist. Alle wollen in der Nacht der Nächte dabei sein und alle sind in Hochstimmung, als hätte Lissabon gerade die Fußballweltmeisterschaft gewonnen.

    Am nächsten Morgen versammelt sich eine Menschenmenge vor der kleinen Barockkirche unterhalb der Kathedrale, die dem Heiligen Antonius gewidmet ist. An dieser Stelle soll sein Geburtshaus gestanden haben. Der Feiertag des 13. Juni ist den religiösen Ritualen vorbehalten. An Ständen werden Kerzen, Blumen und Medaillen verkauft, die man in der Kirche Santo Antonio da Sé segnen lassen kann. Alle warten auf die Antonius-Statue. Sie steht auf dem Hochaltar der Kirche, doch an diesem Tag wird sie durch die Straßen von Lissabon getragen.

    Bei strahlendem Sonnenschein nach der durchfeierten Nacht geht die Prozession mit Gesängen durch die Altstadt, vorbei an anderen Kirchen, aus denen Heiligen-Statuen getragen werden, und überall in der Stadt blühen Jacaranda-Bäume in einem himmlischen Lila.