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Hödlmoser auf CD
Der steirische Roman als Hörbuch

"Aus dem Leben Hödlmosers", der steirische Roman von Reinhard P. Gruber, stammt aus den 1970er Jahren. Nun gibt es den Roman als Hörbuch, gelesen von Wolfram Berger. Unser Rezensent ist Florian Felix Weyh.

17.07.2014
    Gebildete Bürger meinen, in einem Staat zu leben; der einfache Mensch hingegen wirft einen unverstellten Blick auf seine Umgebung und sieht bloß Heimat: Von Kumpitz bis Fohnsdorf, von Fohnsdorf bis – maximal! – Judenburg. Heimat umfasst eben nur die Region – wer wüsste das nicht besser als die heimatliebenden Österreicher?
    "Die Steiermark ist ein Bestandteil Österreichs. Sollte der Fall eintreten, dass ein Teil Österreichs zerfällt, so ist damit – weil dieser Teil Bestandteil ist – notwendigerweise auch der Zerfall des Bestandes Österreichs gegeben."
    So weit, so klar. Doch warum sollte felix Austria zerfallen?
    "Die Steiermark zerfällt aus Zufälligkeit, Österreich aus Notwendigkeit. Die Resistenz der Teile ermöglicht die Labilität des Ganzen. Das Ganze existiert nur als labiles Ganzes. Steiermark – das ist die Resistenz. Österreich – das ist die Labilität."
    Literarisch könnte man jetzt folgern: Städtische Asphaltliteratur – das ist die Labilität, dörfliche Heimatromane – das ergibt die Resistenz! Allein schon aus physikalischen Gründen, denn Asphalt vermengt sich schlecht mit Blut, womit eine Grundvoraussetzung für Resistenz entfiele:
    "Exkurs 4 über Blut und Boden. (...) Die steirische Landschaft entsteht aus dem steirischen Boden, der steirische Mensch aus dem steirischen bodenverbundenen Menschen. Wenn die Landschaft aus Boden und der Mensch aus Blut besteht, und in der Steiermark eine menschliche Landschaftsidentifikation besteht, dann blutet der steirische Boden, wenn der steirische Mensch blutet. Und wenn sich die steirische Landschaft verletzt, verletzt sich der steirische Mensch. (...) Exkurs Ende."
    Der Hödlmoser Franz hat mit beidem Erfahrung, mit Blut und mit Boden. Er betreibt den ererbten Bauernhof in Kumpitz (Boden), und hat seinen Vater erstochen (Blut). Dafür saß er zehn Jahre im Gefängnis, aber das ist bei Feldsteirern, Waldsteirern, Fluss- und Bachsteirern kein Grund, von der Gemeinschaft verstoßen zu werden. Fehlt da eigentlich noch jemand in der Taxonomie?
    "Zu den spezifischen Unterarten gehören der Gebirgssteirer und der dann der ganz extreme Alpensteirer."
    Damit wären dann aber alle vollzählig, und es bleibt nur nachzutragen, dass dieser Menschenschlag – trotz seines Hangs zu Affekttaten – gleichsam die Krönung der Schöpfung darstellt:
    "Weil wir Steirer vor allem Bauern sind, sind wir natürliche Menschen. Wir sind so wie die Natur, die uns umgibt, unsere Landschaft. Und deswegen sind wir herrliche Menschen! Weil uns Steirern hat der Herrgott ein herrliches Land geschenkt!"
    Genug der Apodiktik, die die ersten 32 Minuten des herrlichen Hörbuchs „Aus dem Leben Hödlmosers" prägt. Bevor der steirische Autor Reinhard P. Gruber seinen Helden in typischen Szenen schildert – mit seiner Frau Fanny und dem Sohn Schurl, bei der Wilderei, beim Wallfahrten, im Wirtshaus oder auf dem Fußballplatz – liefert er den soziologisch-satirischen Überbau des steirischen Charakters. Das freilich ist kein neuer Text, sondern einer von 1973, damals im Gefolge der experimentellen Grazer Schule als Höhepunkt der Anti-Heimatliteratur erschienen; in konsequenter Kleinschreibung noch dazu. Doch was heißt hier „anti"? Der überzeichnete, blutige Hödlmoser avancierte über die Jahre zur beispiellosen Kultfigur! Wo bitteschön entstand je aus einem Roman eine reale Sportveranstaltung?
    "Als Schurl dreizehn Jahre alt wird, bekommt er von Hödlmoser ein neues Fahrrad „Puch Spezial" geschenkt. „Juhu, Vater!", sagt Schurl zu seinem neuen Fahrrad. „Hast du's endlich?", sagt Fanny. Aber Schurl steht schon nicht mehr vor ihr. Wie ein Teufel ist er aufs Fahrrad gesprungen und wild drauflosgefahren. „Schurl!", ruft ihm Hödlmoser nach. Aber Schurl ist schon im dunklen Waldweg nach Kumpitz verschwunden."
    Genau diesem Waldweg von Fohnsdorf nach Kumpitz folgt neuerdings ein realer „Volksduathlon" – Mountainbike und Crosslauf – und würdigt damit Schurls halsbrecherische Radfahrt. Während im Leben am Ende die „Hödlmoser-Trophy" verliehen wird – kein Witz, die literarische Figur ist längst so real eingemeindet wie ein echter Volksheld –, kommt in der Fiktion der Vater dem Sohne zu langsam hinterher und findet ihn nur noch mit zerschmettertem Schädel vor. Zuvor hat er sich freilich den eigenen Kopf zerbrochen:
    "„Hoffentlich wird diese Verzögerung nicht vom ABGB geahndet", denkt Hödlmoser im frischen Fahrtwind. Hödlmoser steigert die Geschwindigkeit, um einen aktenkundigen Unfall Schurls zu verhindern. Noch immer muss Hödlmoser befürchten, dass Schurl mit dem schnellen Fahrrad Kumpitz verlassen wird und eines Tages nach dem Vagabunden- und Landstreichergesetz abgeurteilt werden wird. Zum Glück fällt Hödlmoser aber auch das Unsch.Verurt.G. ein, denn er hält Schurl für unsch."
    Unschuldig fühlt sich auch Hödlmoser selbst bis zum blutigen Ende der Geschichte, bei dem er und seine gesamte Sippe umkommen. Und Wolfram Berger, der Sprecher dieses fulminanten Hörbuchs, trifft genau den mokanten Ton zwischen Selbstgefälligkeit und Überspitzung. Kult wurde Hödlmoser vor allem, weil er eben nicht als blutrünstiges Monster daherkommt, sondern als verirrter, tumber Heimattor – fast liebenswert in seiner Schlichtheit, die freilich immer wieder von pseudointellektuellen Reflexionen unterbrochen wird. Das parodistische Spiel mit verschiedenen Sprachebenen – vom Heimatroman über Psychojargon bis hin zum k.u.k-Amtsdeutsch – klingt auch nach vierzig Jahren keineswegs verstaubt, zumal Hödlmoser wie aller Natursteirer auch noch die Sprache der Vögel beherrscht:
    "Vaterunser als Lautmalerei – endet mit „Juhei!""

    Reinhard P. Gruber: "Aus dem Leben Hödlmosers"
    Gelesen von Wolfram Berger
    3 CDs, Residenz Verlag, ca. 185 Minuten
    ISBN: 9783701743407