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Högl: Verbot von Prostitution geht an der Realität vorbei

Ein Verbot der Prostitution würde diese nur in dunkle und nicht mehr kontrollierbare Ecken drängen, sagt Eva Högl, Frauenpolitikerin der SPD. Allerdings müssten die bestehenden Regelungen geändert werden, weil es bei den meisten Frauen keine freie Entscheidung sei, den Körper zu verkaufen.

Eva Högl im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.11.2013
    Christoph Heinemann: Alice Schwarzer zieht einmal mehr gegen Prostitution zu Felde. Die Herausgeberin der Zeitschrift "Emma" stellte gestern in Berlin ihr neues Buch vor, das die Kernaussage gleich im Titel trägt: "Prostitution – Ein deutscher Skandal". Am Telefon ist Eva Högl, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Arbeitsgruppe Frauen- und Familienpolitik bei den Koalitionsverhandlungen, und sie hat den Aufruf gegen Alice Schwarzers Verbotskampagne unterschrieben. Guten Morgen!

    Eva Högl: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Frau Högl, mal provozierend gefragt: Können sich Zuhälter und Freier auf die SPD verlassen?

    Högl: Nein, das können sie nicht. Wir trennen ganz sorgfältig zwischen Menschenhandel, Zwangsprostitution und der legalen Prostitution, die in Deutschland erlaubt ist, und das wollen wir auch erhalten. Menschenhändler werden wir bekämpfen und Prostitution besser kontrollieren, also gegen Zuhälter machen wir was.

    Heinemann: In Schweden, wissen Sie, werden Freier bestraft. Das heißt, jeder Junge, jeder Jugendliche, jeder junge Mann wächst auf mit der ganz klaren Ansage: Käufliche Liebe ist eine Straftat. In Deutschland ist es eine Dienstleistung. Welches von beiden Frauenbildern, das dahinter steht, entspricht Ihrem eher?

    Bestrafung von Freiern löst keine Probleme
    Högl: Meinem Frauenbild entspricht das der selbstbewussten, selbstständigen Prostituierten, die nicht dazu gezwungen ist, mit Prostitution ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber wenn sie es doch will, dann auf jeden Fall die Möglichkeit dazu hat. Ich denke, dass ein Verbot von Prostitution und eine generelle Bestrafung von Freiern überhaupt keine Probleme löst und an der Realität vorbeigeht.

    Heinemann: Noch mal: In Deutschland kann ein Junge neben einem Bordell aufwachsen, er sieht die Männer kommen und gehen; in Schweden erlebt ein gleichaltriger Junge, wie Freier von der Polizei festgenommen werden. Besteht da ein Unterschied?

    Högl: Da besteht selbstverständlich ein Unterschied. Prostitution gehört zu unserer Wirklichkeit und ich denke, es hilft auch nichts, wenn man das verbannt aus den Augen eines Jungen. In Berlin ist das zum Beispiel sichtbar, in der Kurfürstenstraße, in der Oranienburger Straße, das gehört zu unserem Leben. In Schweden ist es so, dass die Freier in die angrenzenden Länder, beispielsweise in die baltischen Länder reisen, und ich denke, es ist besser, die Prostitution zuzulassen, zu kontrollieren und offen damit umzugehen und darüber zu sprechen, als sie zu verbieten und das Problem in dunkle Ecken zu verlagern.

    Heinemann: Sie sprachen eben von Ihrem Bild der selbstbewussten oder selbstverantwortlichen Prostituierten. Schätzungen zufolge sind rund 80 Prozent der Prostituierten in Deutschland Migrantinnen, vorwiegend aus südeuropäischen Ländern. Glauben Sie, dass die hier herkommen, weil ihnen die Arbeit so viel Spaß macht?

    Högl: Nein, selbstverständlich nicht. Und deswegen sage ich ja auch, dagegen müssen wir etwas tun. Wir wissen, dass mein Leitbild der selbstbewussten, selbstständigen Prostituierten, das auch im Prostitutionsgesetz niedergelegt ist, dass das nicht der Realität entspricht. Die meisten Prostituierten arbeiten eben nicht so selbstbewusst und selbstständig, und deshalb wollen wir das Prostitutionsgesetz überarbeiten, mehr behördliche Kontrollen ermöglichen, und wir wollen vor allen Dingen – und das ist ganz wichtig, das jetzt endlich anzugehen – mehr tun gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, die Opfer besser schützen und vor allen Dingen auch die Täter wirksamer bestrafen. Aber wir müssen trennen zwischen Zwangsprostitution und Prostitution.

    Heinemann: Frau Högl, glauben Sie, Bezug auf diese Trennung, dass jemand etwas so Intimes wie einen Geschlechtsakt mit einem Fremden dauerhaft ohne psychische Schäden überstehen kann?

    Högl: Ja, das gibt es, und da kann man sich auch mit den Sexarbeiterinnen, die ja auftreten und sich öffentlich äußern, unterhalten. So etwas gibt es. Ich sage aber trotzdem, das ist nicht die Realität aller Prostituierten, und deshalb müssen wir all denjenigen helfen, die das nicht freiwillig machen, die unter Zwang sind, denen es nicht gut geht. Wir brauchen Beratungsstellen, wir brauchen Ausstiegshilfen und wir brauchen ein umfassendes Programm dafür, Frauen über Prostitution aufzuklären und sie vor allen Dingen zu informieren über ihre Rechte. Das gilt insbesondere für diejenigen, die aus anderen Ländern hier herkommen und gar nicht mal die deutsche Sprache sprechen.

    Heinemann: Kennen Sie eine einzige Prostituierte, die ihren Körper nicht aus wirtschaftlicher Not verkauft?

    Eva Högl, SPD-Obfrau im Neonazi-Untersuchungsausschusses des Bundestages, gibt eine Pressekonferenz in Berlin
    Högl: "Wir müssen trennen zwischen Zwangsprostitution und Prostitution." (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Keine freie Entscheidung
    Högl: Nicht aus wirtschaftlicher Not. Das machen ja die Prostituierten, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Und wenn sie sich entscheiden, …

    Heinemann: Das ist ja wirtschaftliche Not.

    Högl: Ja aber dann ist jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin in wirtschaftlicher Not.

    Heinemann: Nicht jeder verkauft seinen Körper, Frau Högl.

    Högl: Ja. Ich meine, wenn die Frauen sich dazu entscheiden, so ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, dann habe ich das nicht zu kritisieren.

    Heinemann: Ist das eine freie Entscheidung? Das ist doch die Frage.

    Högl: Ja! Das ist bei einigen sicherlich eine freie Entscheidung, aber nicht bei den meisten.

    Heinemann: Ist das nicht eine etwas naive Sicht der Dinge?

    Högl: Nennen Sie das naiv, ich nenne das eine Sicht der Dinge, die durchaus anknüpft an der Realität. Ich kenne diese Frauen. Die Frauen, die diesen Appell für Prostitution initiiert haben, sind selbstbewusste Frauen und die unterstütze ich gerne. Und Prostitution gibt es schon immer. Wenn wir es jetzt verbieten, wird es das weiter geben, aber dann so, dass wir es nicht kontrollieren können und dass wir den Frauen nicht helfen können, und das möchte ich gerne nicht.

    Heinemann: An die Stelle der Förderung der Prostitution im Strafrecht ist die Ausbeutung der Prostituierten getreten in dem Gesetz von 2002, also in dem rot-grünen Gesetz. Zuhälterei kann nur dann bestraft werden, wenn sie als ausbeuterisch nachgewiesen werden kann. Das heißt, wenn der Zuhälter zum Beispiel mehr als die Hälfte der Einnahmen kassiert. Das klappt natürlich in der Realität meistens nicht. War das wiederum etwas naiv?

    Högl: Das war naiv und wir haben ja auch eine Evaluation des Prostitutionsgesetzes. Die liegt seit 2007 vor. Die ist nie umgesetzt worden und nie zur Grundlage von gesetzlichen Reformen gemacht worden. Das möchte ich jetzt ändern. Wir haben zum Beispiel das eingeschränkte Weisungsrecht im Prostitutionsgesetz. Ich denke, daran müssen wir arbeiten, dass Prostituierte nicht Vorschriften bekommen von ihren Zuhältern. Diese ganze Frage der Abhängigkeit, daran will ich arbeiten und etwas verändern. Deswegen habe ich in den Koalitionsvertrag geschrieben "eine umfassende Reform des Prostitutionsgesetzes".

    Heinemann: Sollten Frauen, die aus dem Ausland hier herkommen und sich verkaufen müssen, ein Aufenthaltsrecht bekommen?

    Aufenthaltsrecht für Zwangsprostituierte
    Högl: Die Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind, müssen ein Aufenthaltsrecht bekommen, und zwar unabhängig davon, ob sie mitwirken im Strafverfahren und eine Aussage machen. Auch das haben wir in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass diese Frauen hier Schutz und Sicherheit bekommen, denn wir gehen davon aus, dass sie dann auch aussagen im Strafverfahren und dass sie dann auch wichtige und wertvolle Zeuginnen sind. Wichtig ist mir aber, diese Opfer besser zu schützen, und das passiert gegenwärtig leider nicht. Sie werden in ihre Heimatländer abgeschoben und unterliegen dann noch größeren Zwängen.

    Heinemann: Frau Högl, Fachleute wie zum Beispiel Axel Dreher – der ist Professor für internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg – sagen ganz klar: Wo Prostitution legal ist, gibt es mehr Menschenhandel. Das ist ein Ergebnis der rot-grünen Gesetzgebung.

    Högl: Diese Gleichsetzung von Prostitution und Menschenhandel, die sehe ich überhaupt nicht, und deshalb arbeite ich ja daran, das ganz sorgfältig zu trennen. Man kann nicht sagen, überall dort, wo Prostitution ist, gibt es ein kriminelles Umfeld und alle Prostituierte sind Zwangsprostituierte. Das ist so nicht und deswegen trenne ich dann sorgfältig. Was wir machen müssen ist: Menschenhandel wirksamer bekämpfen. Und in dem Moment, wo wir das immer alles gleichsetzen und nicht sorgfältig trennen, verstellen wir auch den Blick für das, was jetzt notwendig ist.

    Heinemann: Und die einfachste Art, das zu bekämpfen, wäre, Prostitution zu verbieten.

    Högl: Das ist die einfachste Art, aber sie löst keine Probleme.

    Heinemann: Inwiefern nicht?

    Högl: Weil sie dann Prostitution in dunkle Ecken verschiebt. Es wird sie weiter geben und wir können dann überhaupt nichts kontrollieren. Ich stelle mir vor, dass wir zum Beispiel Prostitutionsstätten wirksam kontrollieren können, dass wir eine Erlaubnispflicht einführen, dass Prostitutionsstätten angemeldet werden müssen, dass Behörden regelmäßig kontrollieren können, dass wir die Arbeitsbedingungen von Prostituierten überwachen können, und all diese Dinge sind dann nicht möglich, wenn Prostitution verboten ist. Ich will es lieber an die Oberfläche holen.

    Heinemann: Die SPD-Frauen- und Familienpolitikerin Eva Högl. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Högl: Auf Wiederhören! Herzlichen Dank.


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