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Rem Koolhaas ist, wie gewohnt, allen voraus: Es ist nicht lange her, als das monumentale Theorie-Kult-Bilderbuch SMLXL unter Architekturfreaks als Nonplusultra gehandelt wurde. Kurz danach mußte man sich noch an die beiden gewichtigen Bände Project on the City gewöhnen. Und nun dies: Der unermüdliche Jet-Set-Architekt, der gleichzeitig mindestens ein Dutzend Projekte zwischen Essen, Peking und Seattle leitet, hat das neueste Machwerk aus dem Experimentallabor des Rotterdamer Office of Metropolitan Architecture auf den Markt geworfen. Content heißt das unkonventionelle Produkt und verbreitet den Charme eines stupiden Warenhauskatalogs.

Von Klaus Englert | 23.06.2004
    Auch das Cover vermittelt nicht gerade den Anschein akademischer Gelehrsamkeit: George W. Bush mit French-Fried-Narrenkappe und Kruzifix, Saddam Hussein als waffenstrotzender Rambo, Kim Jong Il als cooler Mafiagangster und Joschka Fischer als kleiner grüner Flaschengeist finden sich zu einem karnevalesken Quartett vereinigt. Und alle werden überragt von einem kuriosen, schleifenförmigen Gebäude. Was es damit auf sich hat, wird erst beim Durchblättern der letzten hundert des 544 Seiten dicken Schmöckers deutlich. Es handelt sich um China Central Television - die 200m hohe Chinesische Fernsehanstalt, die Koolhaas anläßlich der Olympischen Spiele in Peking bauen wird. Aber warum ausgerechnet China?

    Wir vereinigen sämtliche Bereiche des Fernsehens in einem einzigen Gebäude – Sendeanstalten, Studios, Verwaltung und Redaktionen. (...) In Europa und Amerika hätte man alle diese Bereiche voneinander getrennt, damit sie sich wirtschaftlich rentieren. Hinsichtlich der programmatischen Planung macht dies aber keinen Sinn. In der politischen Kultur, in der letztlich das Geld ausschlaggebend bleibt, tragen wir Architekten zur Aufteilung in diese Bereiche bei.

    Rem Koolhaas stellt große Teile seines Buches unter das Motto "Go East". Dafür spricht – ganz im Gegensatz zu Europa - das enorme asiatische Wirtschaftspotential und ein explosiver demographischer Anstieg von 41% in den nächsten 50 Jahren. In Chinas Pearl River Delta und der künftigen Olympiastadt Peking sieht er das Eldorado für Architekten. Ein wichtiger Faktor kommt für Koolhaas hinzu: Nur hier könne man ohne das Profitstreben der Investoren vernünftig planen. Nur hier braucht man nicht befürchten, daß die eigene Architektur sofort banalisiert werde. Nur hier kann alles noch schneller und noch größer gebaut werden:

    Deswegen war es für uns so interessant, in China zu arbeiten. Die Vorherrschaft eines starken Staates erlaubt es uns, von ökonomischen Interessen abzusehen und alle Teilbereiche im selben Geschäftsviertel zusammenzufassen. Das macht sicherlich keinen ökonomischen, dafür aber einen klaren konzeptionellen Sinn. Daß es nicht möglich ist, dieses Gebäude in Amerika oder in Europa zu errichten, verdeutlicht einmal mehr, wie beschränkt die Macht der Architekten ist.

    Anlass des Buches war eine Ausstellung, die Koolhaas in der Berliner Nationalgalerie organisierte. Hier breitete er seine waghalsigen Modelle für die futuristischen Cities in the Sky aus. Selbstverständlich sind sie ausschließlich für Asien geplant: Das verwegene Hyperbuilding in Bangkok, die Mikado-Türme von Togok Towers in Seoul und schließlich China Central Television in Peking. Und warum ist ausgerechnet Rem Koolhaas aus dem kapitalistischen Westen eingeladen worden? Der große japanische Architekt Toyo Ito vermutet:

    Es gibt etwas, was mich auf China neidisch macht: Obwohl der Auftraggeber und die Gesellschaft keinerlei Vorstellung davon haben, was symbolisiert werden soll, erwartet man doch von den Architekten, daß sie starke Symbole schaffen. Was dies auch immer sein mag - das ist der einzige Grund, warum sie Koolhaas und andere internationale Architekten nach China geholt haben.

    Es dürfte also kein Zufall sein, daß man in China renommierte westliche Architekten wie Staatsmänner hofiert. Nach der vertraglichen Absegnung des Pekinger Großauftrags gab es ein Gruppenbild wie nach einem internationalen Wirtschaftsgipfel. Danach stellte sich Koolhaas der öffentlichen Diskussion. Er erklärte vor Studenten der Pekinger Universität, daß für ihn Architektur, gleichgültig in welchem politischen System, eine ständige Herausforderung sei. In der Errichtung von Bauwerken wie der Central China Television sieht er eine riesige Chance für China.

    Wer sagt denn, daß wir keine neue Struktur erfinden dürfen? Wer sagt, daß die Schwerkraft, unter der wir im Kapitalismus und Kommunismus gemeinsam litten, sakrosankt ist? Und wer sagt, daß die Erfindung einer neuen Struktur nicht kreativ sein kann? Analysieren Sie doch die Begriffe, die angeblich belegen, daß diese Struktur nicht machbar ist. Sie ist machbar! Man muß sich ganz einfach für das Entstehen anderer architektonischer Formen einsetzen. Es geht nicht einfach um diese Gestalt, es geht nicht allein um dieses mit unglaublicher Anstrengung verwirklichte Projekt. Es geht auch um hunderte anderer Architekten, die endlich dahin gelangen, sich von der Schwerkraft zu befreien und dem Experimentieren zu öffnen.

    In Amerika und Europa sieht Koolhaas das gleiche Mißbehagen gegenüber der modernen Stadt, die gleiche Nostalgie gegenüber dem Alten, Bewährten. Die Euphorie angesichts eines Delirious New York – Koolhaas‘ Manifest von 1978 – ist längst passé, die Energien verbraucht. Als gelte es, in Peking ein zweites Manhattan entstehen zu lassen, schreibt er in Content:

    Manhattan, der erste Prototyp der modernen Metropole, wurde in ein Laboratorium verwandelt, um das Potential des modernen Lebens in einem radikalen, kollektiven Experiment zu testen. Ein freies Bündnis von Investoren, Visionären, Schriftstellern, Architekten und Journalisten traf sich mit der allgemeinen Erwartung, die Stadt zu einer extremen, berauschenden Maschine zu gestalten. (...) Der Genius New Yorks erschuf ein Universum, das sich der nüchternen und abstrakten europäischen Moderne entgegenstellte.

    Rem Koolhaas träumt davon, eine Metropole wie New York so weit zu verdichten, daß sie in ein einziges Gebäude paßt. Er möchte die Architektur am liebsten auflösen, damit alle städtischen Funktionen und Programme darin Platz haben. Eben City in the Sky. Koolhaas nennt dies in einem bemerkenswerten – kürzlich bei Prestel erschienenen - Aufsatz "Bigness". Was er damit meint, kann man gut an der Chinesischen Fernsehstation, oder auch den phänomenalen Togok-Towers studieren: Koolhaas will die Revolution des Wolkenkratzers. Deswegen baut er keine klassischen Turm-Solitäre, sondern eine gen Himmel wachsende Stadtlandschaft, aus mehreren – vertikalen und diagonalen – Elementen. Koolhaas fordert nicht nur die Erneuerung der Architektur. Er kämpft auch für ein neues Selbstverständnis seiner Disziplin:

    Meine kritische Haltung gegenüber der Tradition und den Werten der Architektur ist mir sehr wichtig. (...). Grundsätzlich zielt die Kritik darauf ab, die Aussagen einer Disziplin unter Druck zu setzen, sie muß gewährleisten, daß sich diese Aussagen ständig erneuern. (...) Wir müssen neue Wege erkunden, wie wir weltweit mit Architektur umgehen können. Wenn für mich dieses kritische Potential nicht so wichtig wäre, dann hätten wir es nicht geschafft, eine andere Sicht auf die Architektur zu entwickeln, die nicht nur auf ihre materielle Substanz zielt. Dabei wollen wir uns von dem Zwang befreien, die architektonischen Ideen unbedingt umsetzen zu müssen.

    Rem Koolhaas hat zusammen mit seinen Mitarbeitern ein Buch geschrieben, das die herrschenden Trends revolutionieren will. Und das ihnen mindestens einen Schritt voraus ist. Da Architektur langsam ist, sollte zumindest Content schnell konsumiert werden - so wie die french fried von George W. Bush. Mit den Worten von Koolhaas:

    Es kommt mir darauf an, den Beruf des Architekten zu erneuern, ein neues Verständnis für seine Profession und seinen Arbeitszusammenhangs zu entwickeln. In einem Wort: Eine neue architektonische Sprache.

    Rem Koolhaas / Brendan McGetrick
    Content
    Verlag Taschen, 544 S., EUR 9,99