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Hoeness-Prozess
Gefängnis, Bewährung oder Freispruch

Am Montag beginnt der Prozess gegen den Steuersünder Uli Hoeneß. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Präsidenten des FC Bayern München vor, insgesamt 3,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen zu haben. Die Selbstanzeige von Hoeneß betrachtet sie als unwirksam - und geht damit ein hohes Risiko ein.

Von Michael Watzke | 09.03.2014
    Das Büro des Münchner Staatsanwalts Ken Heidenreich ist so schlicht und kahl wie das Besprechungszimmer einer Amtsstube. Es liegt in der Bahnhofs-Gegend der bayerischen Landeshauptstadt, zwischen einer Dönerbude und einem Spielsalon. Hier, in diesem schmucklosen Gebäude, entstand die Anklage gegen Deutschlands mächtigsten Fußball-Boss: Ulrich - von allen Uli genannt - Hoeneß, Präsident des FC Bayern München. Heidenreich liest daraus vor:
    "Die Staatsanwaltschaft München 2 hat gegen Ulrich Hoeneß Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben. Der Anklage-Vorwurf richtet sich auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung. Dem Angeklagten wird hier vorgeworfen, Einkommensteuer hinterzogen zu haben."
    Und zwar in der Höhe von 3,5 Millionen Euro. Das ist mehr als noch vor einigen Wochen angenommen. Die Münchner Staatsanwaltschaft fährt in der Anklage volles Risiko: Sie betrachtet die Selbstanzeige, die Uli Hoeneß am 17. Januar 2013 beim Finanzamt Rosenheim abgegeben hat, als unwirksam – weil sie unvollständig sein soll. Geht es nach dem Willen der Ankläger soll diese Selbstanzeige nicht als strafmildernd oder strafbefreiend anerkannt werden. Das ist von großer Bedeutung, denn – so führt Heidenreich aus:
    "Der Bundesgerichtshof hat in Fällen der Steuerhinterziehung mehrfach ausgeführt, dass bei einem Hinterziehungsbetrag in Millionenhöhe eine zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe in Betracht kommt."
    Fällt die Selbstanzeige als Milderungsgrund aus, muss Hoeneß mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Gefängnis. Ohne Bewährung. Genau das fordert die Staatsanwaltschaft im morgen beginnenden Prozess. Doch dieses Detail eines späteren Plädoyers verrät Heidenreich natürlich nicht. Normalerweise wird die Anklageschrift den Pressevertretern vor dem Prozess zugestellt. Nicht so im Fall Hoeneß: "Einzelheiten zum Anklagevorwurf können aufgrund der besonderen Geheimhaltungspflicht vor der Verlesung des Anklagesatzes in öffentlicher Sitzung nicht mitgeteilt werden."
    Staatsanwaltschaft spielt "direktes Pressing"
    Die Staatsanwaltschaft will in der Causa "Ulrich H." auf keinen Fall in den Verdacht der Indiskretion geraten. Es gab schon zu viel Gerede über undichte Stellen, Stichwort Verletzung des Steuergeheimnisses. Denn Hoeneß' Selbstanzeige und später Details der Anklageschrift sind irgendwann und irgendwie bei den Journalisten gelandet. Als man im Nachklapp der Selbstanzeige die am Tegernsee stehende Villa des FC Bayern-Präsidenten durchsuchte, wurde der Steuerfall Hoeneß öffentlich.
    Eines scheint klar zu sein: Die Staatsanwaltschaft spielt – um es in der Fußballsprache zu sagen – direktes Pressing. Sie griff Hoeneß von der ersten Spielminute an, um möglichst schnell einen Treffer zu erzielen. Gelingt ihr das nicht, steigen Hoeneß’ Chancen. Denn die Taktik geht nur auf, wenn sie sich in allen Punkten durchsetzt. Fußballer würden sagen: mit der Brechstange. Hans Leyendecker, Investigativ-Journalist der Süddeutschen Zeitung, nennt es "sicherlich eine enge Partie".
    Im Bild ist links ein Steuererklärungsformular und darüber liegend rechts ein weißes Blatt mit dem Titel "Selbstanzeige" zu sehen.
    Die Selbstanzeige steht in der Diskussion (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Hans Leyendeckers Büro im 23. Stock des Münchner Hochhauses der Süddeutschen Zeitung ist komplett in den schwarz-gelben Farben von Borussia Dortmund dekoriert. Der BVB-Fan erklärt die Taktik, die das Verteidiger-Team von Uli Hoeneß vor dem Landgericht München II voraussichtlich wählen wird: "Er wird sicher in den Prozess reingehen und versuchen, die Selbstanzeige für wirksam erklären zu lassen. Das wäre das einfachste, dann würde alles eingestellt werden. Wenn das nicht gelingt, wird die zweite Stufe gezündet werden. Man wird versuchen, das alles runterzurechnen, die Steuerschuld. Das wird aber auch nicht so viel bringen. Und dann wird die entscheidende Frage sein: Was ist mit einer verunglückten Selbstanzeige? Kann die demjenigen wirklich so vorgehalten werden wie im Falle einer CD? Wenn jemand auf einer CD erwischt wird, hat er nie den Versuch gemacht, den Vorgang zu klären. Reinen Tisch zu machen. Herr Hoeneß hat das versucht. Und das wird eine Rolle spielen."
    Selbstanzeige im Mittelpunkt
    Aber welche? Wird Richter Rupert Heindl - der der für Wirtschaftsdelikte verantwortlichen 5. Strafkammer am Landgericht München II vorsitzt – wird er Uli Hoeneß glauben? Der Richter wird als knallhart beschrieben; als einer, bei dem es keine Deals gibt. Wird Heindl dem Bayern-Boss abnehmen, dass er sein geheimes Schweizer Konto eigentlich schon viel länger beichten wollte? Dass aber immer etwas dazwischen kam? Das geplatzte Steuerabkommen mit der Schweiz? Die Weihnachtstage? Der Urlaub seines Bankberaters? Im Saal 134 des Justizgebäudes München dreht sich ab Montag vier Tage lang alles um die Selbstanzeige. Jenen ominösen, leicht chaotischen Papierstapel, den Hoeneß mit seinen Helfern in nur einer Nacht zusammenstellte. In der Nacht des 16. Januar 2013:
    "Es war, glaube ich, für alle Beteiligten eine aufregende Nacht. Hoeneß hatte das Gefühl, ein Stern-Reporter sei auf dem Weg sein Konto aufzudecken. Er hatte seinen Steuerberater zurückgerufen aus Zürich. Ein anderer Anwalt war gekommen. Sein Sohn war gekommen. Ein Steuerfahnder in Alters-Teilzeit war gekommen. Man überlegte, wie man die Selbstanzeige hinbekommt. Man bekam spät in der Nacht Unterlagen aus Zürich. Zwischen 0 und 2 Uhr. Dann macht man die Selbstanzeige. Dann fährt man nach Rosenheim und gibt um 8.15 Uhr die Selbstanzeige ab. Eine dramatische Nacht.
    Warum hatte es Hoeneß plötzlich so eilig? Das Konto Nr. 4028BEA bei der Schweizer Vontobel-Bank besteht seit mehr als zehn Jahren. Hoeneß hat dort zeitweise Devisen-Spekulationen in dreistelliger Millionenhöhe abgewickelt. Und nun wollte er in nur einer Nacht eine höchst komplizierte Selbstanzeige erstellen? Die Antwort findet sich wohl beim Magazin "Stern". Dessen Reporter hatte sich bei der Schweizer Vontobel-Bank nach dem Konto des Managers eines deutschen Fußballklubs erkundigt. Wer dieser anonyme Manager war, wusste der Stern nicht. Die Konto-Nummer, die dem Magazin gesteckt worden war, ähnelt dem Hoeneß-Konto, ist aber wohl nicht komplett identisch. Trotzdem rief ein Angestellter der Schweizer Vontobel-Bank bei Hoeneß an: Da schnüffele jemand herum.
    Der FC-Bayern-Boss, der sonst Nerven wie Drahtseile hat, geriet in Panik, glaubt Investigativ-Reporter Leyendecker: "Die Stern-Geschichte ist ja hochinteressant, weil sie schreckt Hoeneß auf. Hoeneß glaubt, man ist ihm auf der Spur. Es gibt diesen alten Journalistensatz: 'Eingebrochen, aber nichts geklaut!' Ich glaube, die haben die Geschichte nicht richtig gesehen, wie sie war. Der Stern hat jedenfalls gewusst, wo der Schlüssel reinpassen könnte, hat sich nur in der Tür geirrt."
    Mitte Januar 2013 veröffentlichte das Magazin eine kryptische Geschichte über ein angebliches Fußball-Konto in der Schweiz, auf dem fast eine halbe Milliarde Euro liegen soll. Es handelte sich wohl nicht um das Hoeneß-Konto. Wenn der aber dachte, dass es um sein Konto geht? Wenn er in Panik war und seine Selbstanzeige unbedingt noch vor der Veröffentlichung des Stern-Artikels abgeben will? Dann hätte Hoeneß dem Finanzamt seine Steuerhinterziehung nicht aus Unrechtsbewusstsein offenbart, meint Leyendecker. "Sein Unrechtsbewusstsein muss ja in der ganzen Zeit recht gering ausgeprägt gewesen sein, weil: Er hat eine Amnestie verstreichen lassen, er hat diese große Zeit der CDs, die 2008 begann und er immer fürchten musste, auch Vontobel ist da dabei; warum sollte Vontobel nicht dabei sein? - das konnte er nicht ahnen, dass es keine Vontobel-CD geben würde, - und da hat er so lange durchgehalten. Das zeigt ein enormes Beharrungsvermögen."
    Beharrungsvermögen zeigte Uli Hoeneß auch, nachdem seine Steuerhinterziehung öffentlich bekannt geworden war. Reue oder gar Buße sind nicht seine Stärke. Wenn sich der Präsident des aktuell erfolgreichsten Fußballklubs der Welt zu seiner Steuermoral äußert, klingt das eher so, als sei da ein missverstandener Gutmensch in seiner Ehre gekränkt worden – gekränkt durch Finanzamt und Staatsanwaltschaft.
    Die Stimmung grenzte an Heiligenverehrung
    Auf der letzten Jahreshauptversammlung des FC Bayern hörte sich das so an: "Ich möchte ein paar Fakten sagen: Ich habe keine Hunderte von Millionen ins Ausland geschafft, ich habe Kapitalerträge im Ausland nicht deklariert. Ich habe keinen Euro unversteuertes Geld von Deutschland in die Schweiz gebracht. Ich habe seit vielen Jahren zig Millionen Euro an persönlicher Steuer in unserem Land bezahlt. Ich habe in den letzten fünf Jahren über fünf Millionen Euro gespendet, indem ich für Vorträge keine Honorare genommen habe. Indem ich alle Werbe-Einnahmen für soziale Einrichtungen gespendet habe."
    Die 5.000 anwesenden Fans des FC Bayern lauschten ihrem Präsidenten andächtig. Als Hoeneß später auf dem Podium dann auch noch zu weinen begann, grenzte die Stimmung im Publikum an Heiligenverehrung. 1976 hatte der Fußballprofi im Finale der Europa-Meisterschaft einen entscheidenden Elfmeter verschossen. 37 Jahre später trat der Nürnberger Rostbratwurst-Fabrikant zum entscheidenden Elfmeter ans Rednerpult:
    "Ich habe mich entschlossen, nach dem Prozess meine Kollegen Rudi Schels und Karl Hopfner zu bitten, eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, in der ich Ihnen die Vertrauensfrage stelle. Ich möchte Ihnen das Recht geben, zu sagen und zu entscheiden, ob ich noch der richtige Präsident für diesen Verein bin." (Applaus)
    Die Fans des FC Bayern sprangen auf und applaudierten stehend. Uli Hoeneß schien diesen Augenblick zu genießen: Er legt seine Zukunft als Präsident in die Hände der Bayern-Fans; deren Entscheidung er schon kennt. Und das zu einem Zeitpunkt als Hoeneß seinen Steuer-Strafprozess noch vor sich hatte. Für Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung ein Fehler.
    "Ich habe gedacht, das ist töricht. Denn eigentlich legt man sein Schicksal in die Hände des Richters. Es ist nie gut, vor einer Verhandlung zu erklären, dass später die Mitglieder eines Vereins darüber richten werden, was da war. Ich hätte an seiner Stelle auch den Aufsichtsrat eine Weile niedergelegt, bis zum Prozess. Um dem Gericht zu zeigen, was ihm da auch zugefügt wird. Sie müssen da was in die Waagschale werfen, wenn es um die Frage gehen soll: Bewährung oder nicht?"
    Der Vorsitzende Richter hat für den Prozess genau vier Zeugen geladen. Drei Steuerfahnder aus München, einen aus Baden-Württemberg. Die Beamten werden unter anderem zu der Durchsuchung von Hoeneß’ Villa am Tegernsee und seines Büros beim FC Bayern berichten. Nicht geladen sind der Bankberater der Vontobel-Bank und der Stern-Reporter. Was darauf hindeutet, dass Richter Heindl sowieso davon ausgeht, dass Hoeneß’ Selbstanzeige zu spät kam. Geladen ist auch jener ehemalige Steuerfahnder, der bei der missglückten Selbstanzeige half*. Dieser bayerische Beamte muss sich inzwischen selbst vor Gericht verantworten.
    Ein Buch mit sieben Siegeln
    "Der hat jetzt ein Disziplinar-Verfahren, weil er eine Hilfeleistung gemacht hat. Der war in Altersteilzeit. Ein Beamter, der in Altersteilzeit ist, geht nicht mehr ins Büro. Vom Gefühl her ist der ausgeschieden. Die Realität ist anders. Solange der noch nicht die Urkunde hat, ist er noch drin. Und das hat er in dem Augenblick, glaube ich, nicht beachtet."
    Uli Hoeneß wird sich mittlerweile ärgern, dass er den befreundeten Ex-Steuerfahnder überhaupt um Hilfe gebeten hat. Denn die Selbstanzeige, die er mithilfe mehrerer Fachleute erstellte, war nicht das Papier wert, auf das sie gedruckt ist. Das deutet Professor Rudolf Mellinghoff an, der Präsident des Bundesfinanzhofs in München. Mellinghoff sagt, das Verfassen von Selbstanzeigen sei ein Buch mit sieben Siegeln.
    "Und der Fall Hoeneß ist ja das ganz typische Beispiel: Da ist er hingegangen zu einem ehemaligen Steuerfahnder, der ihn unterstützt hat. Selbst der scheint ja nicht in der Lage gewesen zu sein, eine wirklich fehlerfreie Selbstanzeige zu machen. Und wenn selbst ein ehemaliger Finanzbeamter nicht dazu in der Lage ist, der ja eigentlich damit befasst ist, dann zeigt das, wie schwierig es ist, eine Selbstanzeige zu erstatten, die keinerlei Fehler enthält. Aber der Teufel liegt oft im Detail."
    Heute würde Uli Hoeneß seine damaligen Steuerberater wahrscheinlich gerne zum Teufel schicken. Zu spät. Aber eines hat sein Steuerfall auf jeden Fall bewirkt: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Selbstanzeigen in Deutschland geradezu explodiert. Auf 25.000.
    "Spätestens mit dem Fall Hoeneß weiß jeder Bürger im Staat: Es ist strafbar, Steuern zu hinterziehen. Und deswegen will ich nicht sagen, dass sich die Steuermoral geändert hat. Aber das Bewusstsein dafür, dass Steuerhinterziehung ein kriminelles Delikt ist, das den Staat schädigt, das ist nun wirklich im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen."
    Und auch in der Politik. Seit der Fall Hoeneß publik ist, wird viel diskutiert über strengere Vorgaben für strafbefreiende Selbstanzeigen von Steuerbetrügern. Ob Zufall oder nicht, wenige Tage vor Prozessbeginn haben sich die Finanzstaatssekretäre von Bund und Ländern im Grundsatz darauf geeinigt, die Verjährungsfrist zu verlängern und den Strafzuschlag bei schwerer Steuerhinterziehung zu erhöhen. Auch in Bayern wird diskutiert und zwar über mehr Personal in den Finanzämtern und in der Steuerfahndung. Bislang ohne Ergebnis.
    Politik wusste früh Bescheid
    Dabei hatte zumindest Bayerns Finanzminister Markus Söder viel Zeit, darüber nachzudenken. Der CSU-Politiker wusste viel früher als die Öffentlichkeit vom Steuerfall Hoeneß. "Solche Sachen unterliegen dem Steuergeheimnis, aber das Ministerium ist kurze Zeit nach der Selbstanzeige informiert gewesen. Allerdings unterliegt – wie gesagt – alles dem Steuergeheimnis und geht dann nach kurzer Zeit an die Staatsanwaltschaft weiter, weil die federführende Behörde ist."
    Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer wusste Bescheid. Durfte er es wissen? Bei der Staatsanwaltschaft München heißt es, eigentlich hätte nur die damalige Justizministerin Beate Merk in Kenntnis gesetzt werden dürfen – als Dienstherrin der ermittelnden Staatsanwälte. So sieht das auch Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung: "Es gibt zum Fall Edathy große Parallelen: dass die Politik sehr früh drin war und dass dieser Ablauf für so ein Verfahren nicht gut war. Auch nicht für die Frage: Wo kommt denn die Information her? Was wäre, wenn jemand in der Politik ein Interesse daran gehabt hätte, vor der Landtagswahl das Thema hochzuziehen? Ausschließen können sie das nicht."
    Vor allem deshalb nicht, weil Ilse Aigner, die Vorsitzende der CSU in Oberbayern, dem parteilosen Uli Hoeneß noch Anfang 2013 einen Wahlkreis für die Landtagswahlen im Herbst angeboten hatte. Wäre der Steuer-Fall Hoeneß erst kurz vor dieser Wahl öffentlich geworden – er hätte für die CSU zum Desaster werden können. Professor Rudolf Mellinghoff, der Präsident des Bundesfinanzhofs in München, sieht hier zwar keinen Rechtsbruch. Aber "darin liegt natürlich eine Gefahr, weil: Je mehr Personen mit diesen Informationen betraut sind, desto schwieriger ist die Geheimhaltung dieser Informationen. Und man sollte gelegentlich darüber nachdenken, ob das wirklich richtig ist: dass in so prominenten Fällen bis hin zum Minister alle diese Informationen weitergegeben werden. Weil man damit die Gefahr erhöht, dass das Steuergeheimnis gebrochen wird."
    Das gebrochene Steuergeheimnis – darüber klagt Uli Hoeneß bis heute. Wer hat seine Selbstanzeige verraten? Die Staatsanwaltschaft München ließ sogar Büros in der bayerischen Finanzverwaltung durchsuchen, um ein mögliches Datenleck zu finden. Peter Gauweiler, prominenter CSU-Politiker, vor allem aber prozesserprobter Rechtsanwalt, hat Mitleid mit Hoeneß. "Der Uli Hoeneß hat mehr zahlen müssen als jeder andere, der Steuerprobleme hat. Den öffentlichen Pranger, den der und seine Leute haben mitmachen müssen, da beneidet ihn ja niemand drum. Der ist ja schon bestraft worden, bevor er überhaupt verurteilt worden ist."
    Fußball-Fans in München gespalten
    Tatsächlich? Ist Uli Hoeneß in der Öffentlichkeit wirklich ungerecht behandelt worden? Früher galt er als moralische Instanz, heute als Zocker und Steuerhinterzieher. In München liegen gerade einmal 900 Meter Luftlinie zwischen Pranger und Wagenburg. 900 Meter ist das Trainingsgelände des Fußballvereins 1860 München von der Zentrale des FC Bayern in der Säbener Straße entfernt. Die Fans der beiden konkurrierenden Mannschaften mögen sich nicht. Da verwundet es nicht, dass man bei 1860 in zornige Gesichter blickt:
    "Der kleine Mann, dem wird’s gleich abgezogen. Und der zahlt seine Steuern ehrlich. Und da, wo man wirklich was verdienen könnte, vom Finanzamt her gesehen, die schaffen’s weg!" "Die Großen lässt man meistens laufen!" "Wir zahlen alle unsere Steuern! Das sollte Hoeneß auch tun!"
    Geht man allerdings nur fünf Minuten Richtung Süden und fragt FC-Bayern-Fans nach Uli Hoeneß, fühlt man sich in einem anderen Universum: "Ich bin der Meinung, er hat das nicht mit Absicht gemacht. Er hatte seine Berater dafür. Und er hat seine Strafe beglichen." "Er ist ein Mensch. Und das ist seine Privatsache. Ich steh’ nach wie vor hinter Uli Hoeneß nach wie vor." "Das war nicht richtig. Aber man soll die Kirche im Dorf lassen!"
    Interessanterweise nehmen die Fans ihrem Präsidenten nicht einmal übel, dass er sich die 20 Millionen D-Mark, mit denen er in der Schweiz spekulierte, von Robert Louis Dreyfuss schenken ließ. Dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Adidas. Das Geschenk fiel ausgerechnet in jene Phase, in der der FC Bayern mit dem fränkischen Sportartikel-Hersteller einen neuen Ausrüster-Vertrag verhandelte. Obendrein bot der amerikanische Sport-Konzern Nike dem FC Bayern damals mehr Geld als Adidas. Doch Hoeneß blieb bei den Franken. Herbert Hainer, der zu der Zeit stellvertretender Adidas-Chef war, will von dem Hoeneß-Dreyfuss-Konto nichts gewusst haben. Hätte ich’s gewusst, sagt er, "dann hätte ich zumindest mal unseren Compliance Officer angerufen und ihn gefragt, wie das aussieht".
    Möglicherweise hätte der Compliance Officer dasselbe gesagt wie SZ-Journalist Hans Leyendecker. "Diese Geschichte mit Dreyfuss ist so eine Geschichte, die man eigentlich nicht glaubt, wenn man sie hört. Auch wenn sich Leute gerne mögen: Hoeneß sagt ja, da war die Internet-Blase, er war ein bisschen klamm und wollte zocken. Und Dreyfuss leiht ihm fünf Millionen und gibt für weitere 15 Millionen Mark noch eine Bürgschaft. Das ist auch unter Freunden sehr ungewöhnlich. Auch wenn Herr Dreyfuss reich ist – normalerweise macht man so was nicht, wenn nicht irgendwas damit verbunden ist. Hoeneß sagt, damit war nie etwas verbunden, es geht nur um unsere Freundschaft. Das muss man so akzeptieren. Die Staatsanwaltschaft hat in dem Bereich nicht ermittelt, weil es halt keine Anknüpfungstat gibt. Das wäre verjährt, falls es in einem anderen Zusammenhang stehen sollte – in einem korruptiven Zusammenhang, das wäre verjährt. Wir haben versucht zu recherchieren, ob da was ist, und haben nichts gefunden. Also gilt die Darstellung von Herrn Hoeneß."
    Denn der Mann, der darüber berichten könnte – der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfuss – verstarb im Jahr 2009 in Zürich. In jener Stadt, in der auch das geheime Vontobel-Konto der beiden Männer versteckt war. Das Konto Nummer 4028BEA. Es könnte Hoeneß jetzt hinter Gitter bringen.
    * Korrektur des Autors: In einer früheren Fassung hieß es, dieser Zeuge sei nicht geladen.