Hörspiel des Monats

Blatnýs Kopf oder: Gott, der Linguist, lehrt uns atmen

Der Schauspieler Werner Rehm bei den Aufnahmen zum Hörspiel "Blatnýs Kopf oder: Gott, der Linguist, lehrt uns atmen"
Werner Rehm im Hörspielstudio © rbb/Oliver Ziebe
Hörspiel von Christine Nagel · 02.06.2018
Der tschechische Lyriker Ivan Blatný (1919 - 1990) galt viele Jahre als verschollen. Eine Lesereise nach England nutzte er 1948 zur Flucht aus der Tschechoslowakei und wurde daraufhin zur persona non grata erklärt.
Die Begründung der Jury:

„Der aus Brünn stammende Lyriker Ivan Blatný (1919-1990) galt viele Jahre als verschollen. Eine Lesereise nach England nutzte er 1948 zur Flucht aus der Tschechoslowakei und wurde daraufhin zur Persona non grata erklärt. Von diesem Zeitpunkt an war Blatný staaten- und mittellos. Er fand sein Exil in der Psychiatrie und erlebte im Eingesperrtsein eine größere Schaffensfreiheit als in der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei.
Mit 280.000 Versen auf 5.500 Notizbuchseiten, notiert auf Tschechisch, Französisch, Englisch und Deutsch, erfüllte er sich seinen Lebenswunsch: im Schreiben existieren zu können - in der Sprache zu leben, die ihm Lust und Vergnügen war. In ihrem Hörspiel "Blatnýs Kopf oder: Gott der Linguist lehrt uns atmen" nähert sich die Regisseurin und Autorin Christine Nagel vielsprachig Blatnýs Gedanken- und Gefühlswelt an, wirft Schlaglichter auf sein unkonventionelles Verständnis von Begriffen wie "Freiheit" und "freiem Denken".
In verdichtender Montage entsteht das Portrait eines Schreibers, der nicht schreiben wollte, was ihm die Politik vorschrieb, sondern stattdessen seiner Fantasie freien Lauf ließ - auf entwendetem Toilettenpapier, abseits der Öffentlichkeit. Diese Möglichkeit, sich im Kopf eines der ungewöhnlichsten Denkers und Dichters des 20. Jahrhunderts zu befinden, durch seine Ohren, seine Augen, seine Gedichte die Welt wahrzunehmen, zumindest vierundvierzig Minuten lang, ist eine beglückende und verwirrende Erfahrung.
Unter Verzicht auf filigrane Erklärung von Zusammenhängen, mit einem feinen Gespür für die Musikalität der Gesamtkomposition, lässt Nagel zusammen mit dem Komponisten Peter Ehwald und den hervorragenden Sprecher*innen, unter denen auch die authentische Stimme Ivan Blatnýs zu hören ist, einen assoziativen Hörraum entstehen, in dem Sprachgrenzen fließend werden und durch Blatnýs (Sprach-) "Musik der Bedeutungen" außergewöhnliche Bilder entstehen."

Übersetzung aus dem Tschechischen: Jan Faktor und Anette Simon
Regie: Christine Nagel
Komposition: Peter Ehwald

Mit Lisa Hrdina, Werner Rehm, Jennipher Antoni, Sebastian Rudolph, Jan Faktor, Tobias Christel, Miroslav Kovárik, Katrin Knappe
Produktion: rbb/Dlf 2017
Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main zeichnet jeden Monat ein Hörspiel aus den Produktionen der ARD-Anstalten aus. Die Entscheidung über das HÖRSPIEL DES MONATS trifft eine Jury, die jeweils für ein Jahr unter der Schirmherrschaft einer ARD-Anstalt arbeitet. Am Ende des Jahres wählt die Jury aus den 12 Hörspielen des Monats das HÖRSPIEL DES JAHRES.

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