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Hoffen und Bangen

Im Südsudan beginnt am Sonntag ein Referendum über die Abspaltung vom islamisch-arabisch geprägten Norden des Landes. Der Volksentscheid war mit dem Friedensvertrag 2005 vereinbart worden, der einen 20-jährigen Bürgerkrieg beendete. Ob das Referendum überall friedlich verläuft, ist unsicher.

Von Esther Saoub | 08.01.2011
    Der Nifasha-Markt mitten in Khartoum ist benannt nach dem Friedensabkommen zwischen Nord- und Südsudan. Damals, im äthiopischen Nifasha, beendeten die beiden Kriegsparteien 20 Jahre Bürgerkrieg, und beschlossen, dass der Süden fünf Jahre später abstimmen darf, ob er weiter zum Norden gehören will, oder nicht. Noch sitzen im Markt die Händler aus allen Landesteilen beieinander, doch ihre Meinungen sind bereits geteilt:

    "Dieser Markt hieß mal Markt der Europäer, heute sind hier die Südsudanesen, er symbolisiert die Einheit des Sudans. Ich bleibe hier, wo soll ich auch hin? Ich bin aus dem Süden aber meine Frau ist aus dem Norden."

    Einheit ist besser als Teilung, sagt ein nordsudanesischer Händler. Wir gehen, sagt dagegen sein Standnachbar. Im Süden werde ich säen, ein Haus bauen. Auch der Verkäufer in einem kleinen Uhrengeschäft ist entschieden: Nächste Woche werde ich in meine Heimat gehen. Ich komme nicht wieder, bestimmt nicht. Ein Mann mischt sich ein: Er trägt die typische Kleidung der Nordsudanesen, ein weißes Gewand mit passender Häkelmütze. Der Sudan sei ein Land, es könne nur die Einheit geben.

    Dies ist mein Freund, mein Bruder, ruft er, und deutet auf einen hochgewachsenen Südsudanesen neben sich. Nein, nein widerspricht der. Er sei für die Teilung, Schwarze und Araber, das gehe nicht zusammen, man sei zu verschieden.

    Die Stimmung ist gespannt. Im Nifasha-Markt genauso wie unter den Politikern des Landes. Die Regierung des muslimischen Nordens wirft dem Süden Unregelmäßigkeiten bei der Registrierung vor und droht damit, ein gefälschtes Ergebnis nicht anzuerkennen. Der Süden wiederum beschuldigt den Norden, das Referendum zu torpedieren. Mehrere Luftangriffe der nordsudanesischen Armee auf Ziele im Süden haben die Stimmung zusätzlich angeheizt, auch wenn keine Todesopfer zu beklagen waren. Die Zeichen stehen auf Teilung. Manche Beobachter befürchten sogar, dass der alte Zwist des Bürgerkrieges wieder aufbrechen könnte: der Streit um Öl und Bodenschätze, Unstimmigkeiten zwischen dem muslimischen Norden und dem christlich-animistischen Süden des Landes, Grenzkonflikte zwischen Bauern im Süden und Nomaden aus dem Norden.

    Ein Lautsprecherwagen fährt am Markt vorbei: Er verbreitet die Propaganda der nordsudanesischen Regierungspartei NCP. Registriert euch hier im Norden und stimmt für die Einheit, dröhnt es durch die Straßen. Doch diesem Aufruf sind bislang nur einige Zehntausend Südsudanesen gefolgt, während sich drei Millionen im Süden registrieren ließen, sagt Anna Nimriano Nunu von der pro-südlichen Zeitung Khartoum Monitor:

    "Die Regierung des Südsudans erlaubt den Flüchtlingen im Norden nicht, sich hier registrieren zu lassen. Viele haben daher durch ihre lokalen Stammesführer eine Wiedereinbürgerung in den Süden beantragt."

    In der All Saints Cathedral im Stadtteil Amarat bleiben schon die meisten Bänke leer, die Gläubigen sind in den Süden abgereist. Denn viele Südsudanesen befürchten, dass jeder im Norden abgegebene Stimmzettel für die Einheit gezählt wird, egal was draufsteht. Und sie hoffen auf mehr Rechte in einem unabhängigen, südsudanesischen Staat. "Wenn ihr die Reise antretet, verlasst euch auf Gott", sagt der Prediger Majok Michael. Nach dem Gottesdienst erklärt er, warum so viele die Koffer packen:

    "Die Regierung im Norden hat das Volk aufgeteilt, seit sie an der Macht ist: hier die Muslime, dort die nicht Muslime. Und sie verlässt sich auf die Muslime. Wenn du kein Muslim bist, kannst du nicht an die Macht kommen. Du hast weder eine ordentliche medizinische Versorgung, noch eine gute Erziehung, ja noch nicht mal einen Job."

    Boomtown Khartoum hieß die Hauptstadt des Sudans noch vor ein paar Jahren, eine Zukunft als zweites Dubai am Nil wurde ihr vorausgesagt. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Wolkenkratzer wachsen nur noch langsam, öffentliche Ausgaben wurden auf die Hälfte gekürzt, und Experten munkeln, der Staat sei pleite. Zwar sprudelt das Öl in der sudanesischen Wüste, doch die Fördermenge beträgt noch nicht einmal eine halbe Million Barrel am Tag - Saudi-Arabien zum Beispiel fördert über zwanzigmal soviel. Und: Der Hauptkunde, China, bezahlt das Öl nicht mit Geld, sondern mit Waffen. Umgekehrt entlohnen die Sudanesen ihre Geschäftspartner inzwischen mit Staatsanleihen. Nachhaltig kann man diese Wirtschaftspolitik nicht nennen. Wer die Villen der Reichen hinter sich lässt, sieht schnell, wer die Rechnung zahlt: die Ärmsten der Armen. Seit Jahrzehnten investiert die Regierung in die Hauptstadt, in die Provinzen fließt dagegen kaum etwas, also ziehen deren Bewohner in die Stadt. Hunderttausende von intern Vertriebenen leben inzwischen in einem Gürtel aus informellen Siedlungen rund um Khartoum. In den letzten Monaten ist es hier allerdings leerer geworden, denn die Südsudanesen, die sich vor 20 Jahren eine Existenz im Norden aufgebaut haben, ziehen nun wieder weg, zurück in ihre einstige Heimat, den Süden. Sie werden noch einmal alles hinter sich lassen, wieder von vorne anfangen. Aber diesmal fliehen sie nicht vor einem Bürgerkrieg, sie kehren freiwillig zurück. Überall in Khartoum kann man sie dieser Tage aufbrechen sehen.

    Auf einem großen, staubigen Platz hinter den Marktständen stehen riesige Lastwagen mit offenen Ladeflächen. Daneben sitzen Familien. Ihren Hausrat haben sie zu kleinen Burgen aufgebaut, Kommoden, Kisten, ein Kühlschrank, Betten, Bündel mit Bettzeug. In der Mitte köchelt der Tee auf einem Gaskocher. Hier warten Südsudanesen auf die Heimreise. Jedes Gouvernorat des Südsudan stellt Laster zur Verfügung, die die Leute in ihre Heimatregion bringen sollen.

    Manche Familien warten hier seit über drei Wochen, erzählt einer der Männer. Sie wollen nach Hause, fragen nach Lastern, aber es gibt keine. Hunderttausende Südsudanesen, während des Bürgerkrieges in den Norden geflohen, sind in den vergangenen Monaten in den Süden zurückgekehrt. So wünscht es die dortige Regierung, und sie verbreitet diesen Wunsch durch den Rat der lokalen Stammesführer, der sich um die Belange der Südsudanesen im Norden kümmert. Majestätisch sitzt der Ratsvorsitzende, Chief Deng Macham Garang hinter seinem Schreibtisch in Khartoum. Über sich ein Bild des südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir.

    "Der Süden wird sich abspalten. Alle Südsudanesen gehen zurück in den Süden. Es werden Autos für sie bereitgestellt, die sie hinbringen. Auch unser Büro wird in die Hauptstadt des Südsudan umziehen, nach Juba."

    Ich begleite Emmanuel aus Bantiu. Er geht zu dem Markt in Khartoum, wo die Laster abfahren sollen. In den nächsten Tagen will er seine Sachen packen und mit der Familie aufbrechen, um rechtzeitig zum Referendum dort zu sein, wo er sich hat registrieren lassen. In Bantiu, das er vor über 20 Jahren auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg verlassen hat.

    Du musst dich auf die Warteliste setzen lassen, sagen die Wartenden auf dem Markt. Aber im Moment gebe es keine Lastwagen, es sei denn, man bezahlt privat. Dann schicken sie ihn weiter, zu ein paar Männern, die unter einem Zeltdach sitzen. Emmanuel spendiert Tee. Man setzt sich. In der Nähe zimmert einer an seinem Unterstand.

    Es gibt schon Autos, sagt einer der Männer schließlich. "Wir müssen uns nur auf einen Preis einigen. Ich kenne Leute, die dich nach Bantiu bringen. Aber das kostet 7000 Pfund."

    Zweitausend Euro, für einen Transport auf dem offenen Lastwagen, quer durchs Land, über so holprige Pisten, dass vermutlich ein Teil der Möbel zu Bruch geht. Das sind die Preise dieser Tage. Andere Heimreisende nehmen die Route über den Nil.

    In der Hafenstadt Kosti, 300 Kilometer südlich von Khartoum, warten sie auf einen Lastkahn. Immerhin versorgt sie hier das UNHCR, erzählt Theresa. Sie hat zwei Wochen gewartet und dann umgerechnet gut tausend Euro bezahlt für einen Monat Schiffsreise bis nach Juba, in die Hauptstadt des Südsudan. Hier sitzt sie nun im Hafen. Unter riesigen Mangobäumen, auf dem staubtrockenen Boden hat sie um die Familie herum eine Art Schutzwall aus ihren Möbeln aufgebaut. Komm, sagt Theresa, ich zeig dir das Schiff.

    Es ist ein flacher Lastkahn, am Heck ein kleines Führerhaus. Die Passagiere saßen einfach auf der Abdeckung der Ladung, einem halbrund gewölbten Wellblech.

    Einen Monat haben wir hier gesessen. Hier unten, an der Gangway haben wir gekocht. Die Möbel waren da oben auf dem Dach. Wir waren acht Familien hier. Theresa will jetzt weiter nach Torit, eine Tagesreise östlich des Nil. Wenn sie einen Laster findet. In der Zwischenzeit sitzt sie am Hafen fest. Hier ist kein UNHCR.

    Doch weiter draußen, am Fuß eines malerischen Berges haben UNHCR und die deutsche GTZ ein Durchgangslager aufgebaut. Hier ist alles ordentlich: geräumige Ziegelhäuser mit Wellblechdach, ein sauber gekehrter Sandhof, Küche, Wasserstelle, Toiletten.

    Die Holztür knarrt in den Angeln, das Innere des lang gezogenen Schlafhauses ist fast leer, aber immerhin schattig und sauber. Kinder spielen mit Kieselsteinen, werfen sie hoch und fangen sie auf dem Handrücken wieder auf. Eine Frau hat einen Teekessel in der Hand. Gamila heißt sie, eine Witwe mit fünf Kindern. Auch sie ist mit dem Schiff gekommen, im Regen hat sie auf den Möbeln gesessen, sie seien alle krank angekommen, erzählt sie.

    Gamilas Heimatdorf ist Basi, an der Grenze zu Uganda. Dort will sie hin, um am 9. Januar ihre Stimme fürs Referendum abzugeben. Drei ihrer Kinder hat sie mit dem Bus vorausgeschickt, jetzt wartet sie auf einen Lastwagen der Regierung, der ihre Möbel hinterher transportiert. Draußen auf der Bank sitzen die Männer. James wurde 1963 in Khartoum geboren. Seine Eltern waren aus dem Süden dorthin geflohen. Nur einmal war James selbst im Süden, ausgerechnet als Soldat der nordsudanesischen Armee. Obwohl er die Heimat seiner Eltern nicht kennt, ist für ihn die Frage des Referendums klar.

    "Wir wollen die Teilung des Landes und wir wollen uns selbst regieren. Seit ich geboren wurde, habe ich nie einen Präsidenten aus dem Süden gesehen. Wir wollen unsere Freiheit, wir wollen das Recht, unseren Präsidenten zu wählen."

    James ist Schreiner und hat auch als Maurer gearbeitet. In sein Dorf will er nicht zurück. Dort gibt es nur Arbeit in der Landwirtschaft, sagt er. Als Handwerker bleibt er lieber in der Hauptstadt Juba. Auch hier gibt es kaum befestigte Straßen. Die meisten Menschen wohnen in Lehmhütten ohne Strom und fließend Wasser.

    "Ich habe im Norden ein Haus verlassen, bin nur mit 20 Kilo Gepäck hier angekommen. Es ging mir gut dort, ich hatte Arbeit, aber das hier ist mein Land! Es ist wie mein Zimmer: Wenn ich es nicht streiche und sauber mache, macht es niemand sonst. Ich fange wieder bei null an. Aber wenn ich einen Stein hinlege, dann kommt ein anderer und setzt einen drauf. Und in 50 oder 100 Jahren wird es hier im Süden ganz anders sein, vielleicht viel besser als im Norden."

    Noch allerdings dröhnt das dumpfe Brummen der Generatoren durch die unbefestigten Straßen von Juba. Die Kommune liefert nur stunden weise Strom, in viele Viertel gar nicht, ebenso wenig wie Wasser. Vor einer Lehmhütte mit Wellblechdach, nicht weit vom träge dahin fließenden weißen Nil, sitzen zwei Männer im Schatten. Ob dies sein Zuhause sei, frage ich den einen: Ja, antwortet er. Er habe sein Haus 1982 gebaut. Hier sei alles schlecht, seit 50 Jahren ändere sich nichts. Er ist müde. Arbeit findet er höchstens gelegentlich.

    Seine Frau steht in der Nähe. Sie füllt Wasser von einem Eimer in kleine Flaschen. Nilwasser, das mit einer Chemikalie versetzt angeblich trinkbar ist. Sie verkauft das Wasser. So verdient sie ein bisschen Geld, ungefähr drei Euro am Tag.

    Ein Gang über den Markt zeigt, dass man mit drei Euro nicht weit kommt hier. Denn die Waren in den kleinen Garagenläden oder auf den Holzständen stammen - vom Toilettenpapier bis zur Kekspackung fast ausnahmslos aus den Nachbarstaaten. Noch nicht einmal Obst und Gemüse gibt es aus lokaler Produktion; abgesehen von den Mangos, die buchstäblich von den Bäumen fallen. Die Bauern des Südsudan trauen sich erst allmählich wieder auf die Felder, zu frisch ist die Erinnerung daran, dass hier mal jeder eine Waffe trug und auch benutzte. Steinhäuser mit schützenden Mauern können sich in Juba nur ausländische Hilfsorganisationen leisten, und die Regierung natürlich. Denn auch das Baumaterial kommt aus dem Ausland. Ebenso wie die meisten Arbeitskräfte. Den Südsudanesen selbst fehlt es an Qualifikationen. Umso wichtiger ist daher die Rolle der Rückkehrer:

    "Es gibt keinen besseren Ort als deine Heimat. Ich habe im Norden gelebt. Aber wir haben immer darauf gewartet, dass der Krieg aufhört, damit alle Flüchtlinge zurückkehren können. Ich kam nach Juba, um meine Familie zu besuchen. Da habe ich gemerkt, dass es an Facharbeitern fehlt. Es gibt keine Schreiner, Elektriker oder Bauarbeiter. Sie sind alle während des Krieges gegangen, es wurde ja nichts aufgebaut. Normalerweise gibt der Meister sein Wissen an den Lehrling weiter. Aber der Krieg hat das unterbrochen. Also habe ich ein Berufsausbildungszentrum aufgebaut. Die Leute sollen lernen, dass sie sich nicht auf die Entwicklungshilfe verlassen können. Wer soll denn unser Land aufbauen? Das müssen wir alleine machen."

    Stanislaus Dariu hat in Kairo Geografie studiert. Später unterrichtete er Flüchtlinge in Khartoum. 2007 ist er mit seiner Frau und drei kleinen Kindern nach Juba gekommen. Die Wohnung im Norden hat er vermietet, die Möbel irgendwo in einem Container gelagert. Er hat sein verhältnismäßig bequemes Leben im Norden eingetauscht gegen ein Abenteuer: Als seine Frau das dritte Kind bekam, spürten sie das marode Gesundheitssystem am eigenen Leib. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen bezeichnet die medizinische Versorgung im Süden als "humanitäre Krise". An kaum einem Ort der Welt ist die Müttersterblichkeit so hoch wie hier. Chronische Mangelernährung gehört zum Alltag. Stanislaus hat sich ein Lehmhaus gebaut, in einem ärmlichen Viertel am Stadtrand. In drei Jahren ist der Garten so zugewachsen, dass man den Eindruck hat, die Bananen, Papayas, Mangos und Guaven stünden schon immer da. Er ist angekommen und hat nicht vor, wieder zu gehen.

    "Es gibt hier in Juba inzwischen sehr gute Schulen, die der katholischen Kirche zum Beispiel. Ich beschwöre daher die Leute, ihre Kinder nicht ins Internat zu bringen, nach Uganda, Kenia oder Südafrika. Doch die meisten Regierungsbeamten schicken ihre Kinder ins Ausland."

    Erica Gore beweist, dass alle Kinder in Juba etwas lernen können, selbst wenn ihre Eltern kaum Geld haben. Sie unterrichtet in der Grundschule eines Flüchtlingslagers. Jedes Kind bringt morgens einen Plastikstuhl mit, dann sitzen sie unter einem Baum und lernen. Auch Erica gehört zu den Rückkehrern. Sie wurde in Khartoum geboren und hat dort Mathematik und Arabisch studiert. An der Universität lernte sie ihren künftigen Mann kennen und folgte ihm nach Juba, in ihre fremde Heimat:

    "Am Anfang war es schwierig, das Leben ist hier ganz anders als im Norden. Aber ich habe mich angepasst. Nur die Verkehrsmittel sind gewöhnungsbedürftig: In Khartoum bin ich auch kurze Strecken mit dem Rikscha-Taxi gefahren. Hier muss ich weite Strecken laufen. Und das Leben ist teuer hier, sehr viel teurer als in Khartoum."

    Im Norden wurde Erica manchmal als "Sklavin" beschimpft, so nennen die Nordsudanesen die Schwarzen. Hier im Süden nennt man sie "Jalaba", Araberin. Denn sie spricht die Sprache der ehemaligen Besatzer. Rückkehrer aus ostafrikanischen Ländern dagegen bringen immer mehr Englisch in den Südsudan. Arabischlehrerinnen wie Erica werden nicht gebraucht:

    "Ich habe 2005 mein Studium abgeschlossen und bis vor Kurzem keine Arbeit gefunden. Es gibt kein Geld, hieß es, oder wir haben keinen Platz. Hier in der Grundschule verdiene ich sehr wenig. Aber alles ist besser, als zuhause zu sitzen. Das ist doch, als hättest du nie studiert. Es geht nur noch ums Kochen, Putzen, Einkaufen. Du vergisst alles. Und du weißt auch nicht mehr, was im Land passiert. Wer zuhause sitzt, kriegt nichts mit."

    Der Baum, unter dem Erica unterrichtet, steht auf dem Gelände der St Vincent de Paul Gesellschaft. Eine katholische Hilfsorganisation, die Stanislaus Dariu 2007 aus dem muslimischen Nordsudan in den Süden geholt hat. Die Organisation betreibt inzwischen ein Berufsausbildungszentrum und die Grundschule mit minimalem Budget und einfachsten Mitteln. Mitglieder der Regierung lassen sich hier selten blicken. Nicht weit von Stanislaus' Lehmhaus stehen ihre Villen, gut behütet durch hohe Mauern mit Stacheldraht. Die einstigen Kämpfer der Befreiungsarmee SPLA haben sich im Alltag eingerichtet - doch das Land, für das sie jahrelang ihr Leben riskiert haben, findet nur sehr langsam in diesen Alltag, sagt Stanislaus Dariu:

    "Die Mitglieder jeder revolutionären Bewegung, denken, wenn sie endlich den Frieden erreicht haben, erstmal an ihren eigenen Vorteil. Die SPLA beherrscht jetzt alle Ministerien und Organisationen. Doch das wird zu Problemen führen. Ich wünsche mir, dass alle Parteien an der Macht beteiligt werden. Sonst gibt es einen neuen Krieg oder Stammeskonflikte. Außerdem muss die Regierung hier die Gesetze anwenden. Es muss klar sein, was erlaubt ist, und was verboten. Das ist ganz wichtig. Wer das Recht nicht durchsetzt, lebt nach dem Gesetz des Dschungels."

    Auf einer zentralen Straßenkreuzung in Juba steht eine digitale Uhr, sie zählt die Stunden, Minuten und Sekunden bis zum Referendum. Oder besser: zählte. Mitte Dezember ist sie nämlich stehen geblieben. Seither zeigt sie nur noch Nullen an. Das ganze Land hält den Atem an, bis zum großen Tag. Doch die Entscheidung Einheit oder Teilung ist nur ein erster Schritt. Viel schwieriger wird es sein, das selbstherrliche Regime ehemaliger Freiheitskämpfer in einen neuen Südsudan zu verwandeln, in die jüngste Demokratie Afrikas.
    Zivilisten in der Stadt Tali im Südsudan laden Wahlutensilien für das Unabhängigkeitsreferendum aus einem Helikopter der UNMIS (United Nations Mission in Sudan)
    Zivilisten in der Stadt Tali im Südsudan laden Wahlutensilien für das Unabhängigkeitsreferendum aus einem Helikopter der UNMIS (United Nations Mission in Sudan) (AP)