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Hoffnung auf das Higgs

Physik.- Vor etwa einem Monat wurde bekannt: Der Teilchenbeschleuniger LHC nahe Genf hat Hinweise auf die Existenz sogenannter Higgs-Teilchen geliefert. Doch nun verblasst die Spur darauf wieder ein wenig. Auch die Suche nach dem mysteriösen Susy-Teilchen bekam einen Dämpfer.

Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen im Gespräch mit Ralf Krauter | 23.08.2011
    Ralf Krauter: Die einen nennen sie Urknall-Maschine, die anderen das teuerste Spielzeug der Welt. Die Physiker wiederum nennen die riesige Teilchenschleuder bei Genf schlicht LHC - und sie verbinden große Hoffnungen damit. Bei dem Karacho, mit dem dort Atomkerne kollidieren, müssten auch allerhand exotische Teilchen entstehen. So zum Beispiel das mysteriöse Higgs-Teilchen, das laut Theorie allen anderen Partikeln im Universum ihre Masse verleiht, das aber dummerweise noch nie ein Mensch gesehen hat. Vor rund einem Monat hat der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen hier berichtet, die Daten des LHC lieferten erste Hinweise auf die Existenz des Higgs. Anlässlich einer Physikertagung im Mumbai, wo heute neue Ergebnisse präsentiert wurden, ist er uns jetzt aus Hamburg zugeschaltet. Herr Grotelüschen, haben sich die Hinweise denn verdichtet? Konnten die Physiker den Sack zuziehen und das Higgs-Teilchen dingfest machen?

    Frank Grotelüschen: Nein, noch nicht so richtig, muss man sagen. Also vor einem Monat sah es in der Tat so aus, als seien die Physiker dem Higgs dicht auf den Fersen. Der LHC beschleunigt ja Wasserstoffkerne und lässt sie dann frontal zusammenprallen. Und bei diesen Kollisionen können dann neue Teilchen entstehen - unter ihnen, eben die Hoffnung, auch das Higgs. Und beobachtet werden diese Kollisionen dann von zwei riesigen Nachweisinstrumenten - den Detektoren. Nun sind diese Messungen aber alles andere als einfach. Und zwar aus zwei gründen: Erstens: Die Detektoren können das Higgs - wenn es denn existiert - nicht einfach fotografieren, sondern nur seine Bruchstücke aufsammeln. Denn das Higgs hat die Dumme Eigenschaft, sofort nach seiner Erzeugung in lauter andere Teilchen zu zerfallen. Und die Physiker können mit ihren Detektoren nur diese Bruchstücke nachweisen und stehen dann vor der Aufgabe, das alles, bildlich gesprochen, zu einem Higgs zusammenzupuzzeln. Und der zweite Grund: Bei diesen Kollisionen entstehen immer Dutzende Teilchen gleichzeitig. Und alle zerplatzen gleich wieder. Und es ist eben alles andere als einfach, aus diesem Teilchenfeuerwerk jene spuren herauszufischen, die auf ein Higgs hindeuten. Vor einem Monat jedenfalls sah es so aus, als hätte man solche Spuren entdeckt. Aber seitdem sind eben mehr Messdaten dazugekommen. Und jetzt muss man sagen, dass sich die Indizien ein wenig abgeschwächt haben. Die Spuren sind also blasser und undeutlicher geworden. Und das freut die Physiker zwar nicht, aber das stürzt sich auch nicht gerade in Depressionen, denn es gibt noch genug Möglichkeiten sozusagen für das Higgs, in den Messdaten aufzutauchen.

    Krauter: Die Suche nach dem Higgs geht also weiter, obwohl es sich kurzfristig zu verdünnisiert haben scheint. Wie sieht es mit anderen exotischen Partikeln aus, die man sich vor den Crashs in Genf ja auch erhofft? Gibt's denn da wenigstens Positives zu vermelden?

    Grotelüschen: Also da hatten die Physiker vor allem gehofft, sogenannte Susy-Teilchen aufzuspüren. Susy steht für Supersymmetrie und bezeichnet eine noch hypothetische Theorie. Manche Experten sehen in ihr den nächsten großen Wurf in der Teilchenphysik. Und Susy würde auch deutlich über das hinausgehen, was an gesicherten Erkenntnissen heute vorhanden ist: das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik. Susy würde nämlich eine Schwäche dieses Standardmodells beseitigen - und zwar, dass zwei grundlegende Begriffe völlig zusammenhanglos bislang nebeneinander stehen: die Kräfte auf der einen Seite und die Materieteilchen auf der anderen Seite. Und die Supersymmetrie würde Kräfte und Materie erstmals unter einen Hut bringen. Nur: Wenn Susy stimmt, müsste es auch entsprechende Teilchen geben, sogenannte Susy-Teilchen. Und die Suche nach diesen Susy-Teilchen ist die zweite Hauptaufgabe des LHC, neben der Suche nach dem Higgs.

    Krauter: Und wie sieht es aus? Haben die Forscher das Gefühl, schonmal einen Blick auf eines dieser mysteriösen Susy-Teilchen erhascht zu haben möglicherweise?

    Grotelüschen: Tja, Fehlanzeige bislang. Noch haben sich in den LHC-Messdaten keinerlei Anzeichen für Susy-Teilchen gezeigt. Ganz im Gegenteil: Man kann schon nahezu ausschließen, dass es Susy-Teilchen unterhalb einer bestimmten Massengrenze gibt. Falls es also Susy-Teilchen gibt, müssen sie relativ schwer sein, so schwer, dass sie der LHC bislang noch nicht entdecken konnte. Und das ist für manchen Experten schon eine Enttäuschung. Denn die einfachsten Varianten der Susy-Theorie hatten vorausgesagt, dass es doch relativ leichte Susy-Teilchen geben sollte - gibt's aber nicht. Und damit scheinen die einfachen Theorievarianten jetzt gestorben zu sein. Also ein Dämpfer für Susy.

    Krauter: Durchbrüche klingen irgendwie anders, Herr Grotelüschen. Mit ganz schnellen Erfolgen scheint also nicht zu rechnen zu sein. Wie beeinflussen denn diese eher ernüchternden Neuigkeiten jetzt die weiteren Pläne der Physiker?

    Grotelüschen: Das Ganze könnte durchaus Auswirkungen haben auf die Zukunftspläne der Teilchenjäger. Sie planen schon eine neu Anlage, einen riesigen Linearbeschleuniger, der Elektronen aufeinanderballert und nicht Wasserstoffkerne. Damit könnte man nämlich präziser messen. Aber diese Maschine dürfte nicht ganz so diese hohen Kollisionsenergien erreichen wie der LHC. Und wenn jetzt so Teilchen wie Susy einfach nur durch sehr hohe Kollisionsenergien, durch sehr viel Kraft zu erzeugen sind, dann dürfte die Maschine schlicht und einfach zu teuer werden. Also zumindest ist jetzt ein Argument weggebrochen, diese Maschine tatsächlich zu bauen.