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Hoffnung auf ein neues Rumänien (4/5)
Im Bezirk Teleorman gelten eigene Gesetze

Aus 800 Metern Straße soll hier ein Kilometer geworden sein, um mehr EU-Subventionen zu bekommen. Angeblich zugunsten einer Baufirma, an der der Chef der Sozialdemokraten Liviu Dragnea indirekt beteiligt sein soll. Viele Rumänen sind davon überzeugt - auch in Teleorman, einem der ärmsten Bezirke im Land.

Von Leila Knüppel und Manfred Götzke | 17.05.2018
    Nicu Birstesteanu erhielt sich und seine Familie lange durch Fischen. Seit die Halbinsel Belina im Besitz der Firma Tel Drum ist, geht das nicht mehr.
    Nicu Birstesteanu ernährte sich und seine Familie lange durch Fischen. Seit die Halbinsel Belina im Besitz der Firma Tel Drum ist, geht das nicht mehr. (Deutschlandradio / Knüppel/Götzke)
    Ja, das sei alles Tel-Drum-Land, es gehöre im Grunde Liviu Dragnea, sagt der Schäfer und zeigt über die grüne Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckt. Ein junges Zicklein streicht um seine Beine, kaut an seinen Schnürsenkeln.
    "Er ist immer mit dem Helikopter hierhergeflogen, bis vor ein paar Monaten – mir hat das gefallen, ich mag Flugzeuge und Hubschrauber. Er soll da hinten einen Landeplatz haben. Schade, dass er nicht mehr kommt".
    Tel Drum ist ein Bauunternehmen hier aus dem Teleorman-Bezirk. Aber nicht irgendeins: Jeder Schäfer, jeder Bauer, einfach jeder in Rumänien kennt diese Firma, sie wuchs und wuchs und wuchs – bis sie zu einem der größten Straßenbauunternehmen wurde. Hunderte Millionen Euro flossen aus dem Staatshaushalt und aus den Budgets des hiesigen Bezirks Teleorman zu Tel Drum.
    Wer steckt hinter Tel Drum? – Dragnea, wer sonst?, sagt der Schäfer. Der Chef der Regierungspartei PSD Liviu Dragnea ist zurzeit wohl der einflussreichste Politiker des Landes. Auch wenn das Unternehmen offiziell nicht ihm gehört. Das Dossier eines rumänischen Geheimdienstes belegt jedoch die Verbindung. Und wer kontrollierte früher das Budget im Teleorman-Bezirk? – Ebenfalls Dragnea.
    Nutzt Dragnea also Tel Drum, um sich und seiner Familie öffentliche Gelder zuzuschustern? Jedenfalls wird gegen ihn gerade wegen Korruption und Steuerhinterziehung ermittelt – und wegen Betrugs mit EU-Geldern. 20 Millionen Euro sind angeblich falsch abgerechnet worden..
    "Sie wollen, dass wir arm bleiben"
    "Ein Kilometer hat in Teleorman nur 800 Meter. Die Firma hat für jeden Kilometer, für den sie EU-Gelder bekommen hat, immer nur 800 Meter Straße gebaut! Das wurde nachgemessen!"
    Hier in Teleorman, wo Dragnea aufgewachsen ist, sind 800 Meter also ein Kilometer. Aber um solche Kleinigkeiten kann sich der Schäfer nicht kümmern.
    "Ich halte Tiere, ich habe mir da vorne einen Stall gebaut und einen Brunnen – das sind meine Kühe hier."
    Mehr Sorgen bereitet ihm, das eine seiner Ziegen eine Plastiktüte gefressen hat und daran gestorben ist. Auch die anderen hier im Dorf müssen schauen, dass sie ihr Feld bestellt bekommen, dass das Pferd gesund bleibt, das Schwein ordentlich Fett für den Winter ansetzt.
    "Wir sind die zweitärmste Region in Rumänien direkt nach Vaslui – und werden von der PSD regiert. Warum wir so arm sind? Sie wollen, dass wir arm bleiben, damit sie uns besser manipulieren können. Dann sagt der Bürgermeister: Wenn ihr uns nicht wählt, dann bekommt ihr keine Sozialhilfe mehr. Hier gibt’s so viele Leute, auch junge, die keine Arbeit haben. Hier im Dorf wird keiner was gegen die PSD und Dragnea sagen. Die wählen die ja – der Bürgermeister ist auch Sozialdemokrat."
    Weiter geht es, bis zum Ufer der Donau – dort liegt die Halbinsel Belina. Rund um die Insel haben früher viele Fischer aus dem Dorf ihre Netze ausgelegt. Damit ist es nun vorbei: "Fischen verboten!" Hier geht es mit dem Auto nicht mehr weiter. Ein riesiger Betonklotz versperrt den kleinen Feldweg, der auf die Halbinsel führt.
    Halbinsel Belina wurde der Firma überlassen
    Früher war Belina frei zugänglich. Dann wurde die Insel Tel Drum überlassen, angeblich zu ziemlich günstigen Konditionen. Mittlerweile hat die Antikorruptionsbehörde Anklage gegen die ehemalige Vizepremierministerin Sevil Shhaideh wegen Amtsmissbrauch erhoben. Eine Vertraute von Dragnea. Und die Behörde ermittelt gegen weitere Personen in der Affäre Belina.
    Da kein Verbotsschild zu sehen ist, geht es eben ohne Auto zu Fuß weiter. Ein Sandweg führt über Belina zu einem Gästehaus mit Gartenpavillon und Unterstand zum Fischen. Dragnea soll hier bisweilen zusammen mit Freunden angeln.
    Gerade scheint der Parteichef aber anderes zu tun zu haben. Nur ein kleiner, verwilderter Hund begrüßt die Eindringlinge schwanzwedelnd.
    Nicu Birstesteanu hat geschlafen. Jetzt, wo er nicht mehr vor Belina fischen darf, hat er ohnehin nichts mehr zu tun. Er zieht sich schnell ein präsentableres T-Shirt über, öffnet seinem Besuch dann die Gartenpforte. Einige Hunde und Katzen folgen ihm.
    Auch für Nicu Birstesteanus Haustiere gibt es keinen Fisch mehr
    Auch für Nicu Birstesteanus Haustiere gibt es keinen Fisch mehr (Deutschlandradio / Knüppel/Götzke)
    Hinten, auf der Terrasse stellt Birstesteanu Plastikstühle für die unerwarteten Besucher auf, wischt den Dreck ab.
    "Da sitzt ja sonst keiner drauf. Wer auch. Bin ja nur noch ich hier."
    Keine Arbeit. Die Kinder ausgezogen - die Frau ist seit einigen Monaten in Spanien, um Geld zu verdienen. Von irgendetwas müssen sie ja leben, jetzt, wo er nicht mehr ausreichend Fisch nach Hause bringt.
    "Ich hab da unten auf den Seen vor Belina gefischt, bei ihm, bei Dragnea. Da konnten wir immer fischen, bei jedem Wetter, wir haben viel gefangen, wir konnten davon leben. Wir hatten ein sicheres Einkommen."
    Plötzlich sollte der Fischfang dort verboten sein
    Der 53-Jährige wohnt in dem kleinen Dorf Seaca, nur wenige Kilometer von Belina entfernt. Viele hier haben – so wie er – von Fischfang gelebt. Bis Belina auf einmal Tel Drum gehörte.
    "Das war 2011, ich wollte wie jeden Tag zum Fischen raus fahren und dann waren unsere Netze zerschnitten und unsere Boote demoliert. So haben sie uns von da vertrieben. Die haben uns gesagt, dass wir da nicht mehr fischen dürfen, denn das hat jemand gekauft. Wer hat es gekauft? Der große Chef, wer ist der große Chef? Dragnea. Er und seine Freunde haben sich den gesamten Bezirk unter den Nagel gerissen. Dabei dürften sie uns das Fischen gar nicht verbieten, es ist ein offenes Gewässer, da fließt die Donau rein, da darf jeder fischen, der eine Lizenz hat."
    Sein Boot liegt nun 20 Kilometer entfernt, die Donau hinunter, an einem Platz, der sich zum Fischfang kaum eignet.
    "Wenn man keinen Motor hat so wie ich, ist es sehr schwer und gefährlich, da raus zu fahren. Manchmal fange ich ein paar Fische, manchmal gar keinen - und im Winter oder wenn es regnet, kommt man kaum an den Steg, da führt nur ein Feldweg hin, da braucht man einen Jeep, und den hab ich nicht. Nein, vom Fischen kann ich jetzt nicht mehr leben."
    Während Birstesteanu erzählt, streichen einige Katzen um ihn herum.
    "Wir haben uns auch mal beschwert, über das was passiert ist."
    "Aber da hatten Sie keinen Erfolg?"
    "Nein, da kam nie eine Antwort. Nichts. Ich versuche, nicht mehr darüber nachzudenken."
    Er holt eine Plastikschüssel, schüttet ein wenig Trockenfutter für die Katzen hinein, schaut ihnen zu, wie sie sich um das Schüsselchen drängen. Seine Freunde. Die einzigen, mit denen er jetzt noch reden kann.
    "Nicht mal für die Katzen habe ich noch Fisch."