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Hoffnung auf eine Zukunft
Studium nach der Flucht

Deutschkenntnisse sind für Flüchtlinge die größte Hürde für ein Studium in Deutschland. Gefordert ist das sogenannte C1-Niveau, was fast schon dem eines Muttersprachlers entspricht. Schwer zu meistern ist oft auch die Finanzierung. Denn Flüchtlinge, die ein Studium beginnen, fallen aus allen Sozialleistungen raus.

Von Alexander Budde | 19.06.2015
    Ein mit Studierenden gefüllter Hörsaal der Universität Hamburg.
    Flüchtlinge werden mittlerweile auch als potenzielle Fachkräfte wahrgenommen. (imago / Lars Berg)
    "Mathe und Algebra, das finde ich superschön! Ich komme jede Tage zur Vorlesung - und die Leute sind ganz nett mit mir. Ich kann fragen und die antworten mir!"
    Iman Ziaudin lauscht einer Informatik-Vorlesung der Uni Hildesheim. Die 25-Jährige stammt aus Afghanistan, aufgewachsen ist sie im pakistanischen Islamabad. Sie studiert Sprachen, darf aber den Abschluss nicht machen, die Familie drängt zur Heirat, höhere Bildung ist für Frauen nicht vorgesehen. Ziaudin flieht auch der Hoffnung auf eine Zukunft wegen. Im Flüchtlingsheim teilt sie sich ein Zimmer mit vier Frauen aus Syrien und Somalia. Neue Hürden türmen sich auf: Ziaudin ist nicht anerkannt, darf keinen Sprachkurs besuchen.
    "Aber jedes Mal habe ich gesagt: "Das macht gar nichts! Das kommt vielleicht Hundertmals "Nein!", aber einmal "Ja!". Aber gibt eine Möglichkeit bestimmt, wenn man versucht!"
    Schnupperstudium an der Universität
    Ziaudin läuft drei Monate lang sechs Kilometer zu Fuß in den Vorort Drispenstedt, eine ehrenamtliche Lehrerin führt sie in die deutsche Sprache ein, vermittelt ihr später auch den ersehnten Platz an der Volkshochschule. Die Flüchtlingshelfer von Asyl e.V. erzählen Ziaudin vom "Schnupperstudium" an der Universität. Die Alma Mater öffnet sich, in vielen Bundesländern gibt es ähnliche Angebote an Interessierte, als Gasthörer Kurse zu besuchen.
    "Ich glaube, dass grundsätzlich in der gesamten Gesellschaft jetzt ein Umdenken stattfindet, dass man Flüchtlinge auch als potenzielle Fachkräfte wahrnimmt."
    Hannes Schammann, in Hildesheim Juniorprofessor für Migrationsforschung, kennt aber auch die Nöte von Studierenden mit Fluchterfahrung, wie er sie nennt: Die größte Hürde, um später wirklich in ein Studium einzumünden, sind Kenntnisse der deutschen Sprache, gefordert ist das so genannte C1-Niveau, was fast schon dem eines Muttersprachlers entspricht. Schwer zu meistern ist oft auch die Finanzierung, denn Flüchtlinge, die ein Studium beginnen, fallen aus allen Sozialleistungen heraus, BAföG bekommen aber nur die wenigsten, weil ihr Voraufenthalt oft nicht lang genug ist.
    "Und dann schnappt die BAföG-Falle zu - und sie haben keinerlei Finanzierung für ihr Studium!"
    Es wird längst quergedacht
    Lerntandems, Schreibwerkstätten, Mentoringprogramme - in Hildesheim wird wie an vielen anderen Hochschulen auch längst quergedacht, betont Uni-Präsident Wolfgang-Uwe Friedrich, Vorsitzender auch der Landeshochschulkonferenz. Besonders geschulte Studierende führen Flüchtlinge wie Ziaudin in das Campusleben ein, entwickeln gemeinsam einen Stundenplan. Lehramtsstudierende erteilen Deutschunterricht im Zuge ihres Sozialpraktikums. Schlüssel für eine gelungene Integration ist neben der fachlichen Ausbildung auch der soziale Kontakt, betont Friedrich:
    "Und das ist das eigentlich, was ich finde, Spektakuläre, dass diese Willkommenskultur nichts Oktroyiertes ist, dass es dafür keines Erlasses bedarf, ein Erlass dieses auch nicht bewirken könnte, sondern, dass dieses gelebte Wirklichkeit auf den Campi unserer Hochschulen ist!"
    In Niedersachsen kündigt Wissenschaftsministerin Heinen-Klajic an, das Stipendienprogramm für besonders begabte Flüchtlinge zu öffnen. Wer fluchtbedingt keinen schriftlichen Nachweis seiner Hochschulreife vorlegen kann, aber überdurchschnittlich gut beim Aufnahmetest am Studienkolleg abschneidet, dem will die Grüne schneller als bisher den Einstieg in zulassungsfreie Studiengänge ebnen. Pilotprojekte zur Sprachvermittlung fördert das Land mit 350.000 Euro.
    "Natürlich kostet das Geld, eine Ausweitung von Studienplätzen kostet Geld! Und das lässt sich auch beziffern: In Niedersachsen kostet ein Studienplatz im Durchschnitt 9.000 Euro im Jahr. Aber eines ist völlig klar: Die Summen, über die zurzeit in Berlin verhandelt wird, mit Bund und Ländern, die sind der Anfang, das reicht nicht aus!", deutet Uni-Präsident Friedrich künftige Konflikte an.
    Und Iman Ziaudin? Plant ihre Zukunft beharrlich Schritt für Schritt. Anderthalb Jahre nach ihrer einsamen Flucht aus Pakistan hat sie es immerhin zu einer eigenen Wohnung und bis hinein in den Hörsaal geschafft. Jetzt noch den C1-Nachweis, dann soll es richtig losgehen mit dem Studium.
    "Das ist für mich schon klar, dass als Frau ich kann Sprache lernen und weitermachen und ich kann alles machen, wie ein Mann! Ich möchte einfach so eine gebildete Frau sein in Zukunft, mit gute Gedanken!"