Freitag, 29. März 2024

Archiv


Hoffnungsträger aus Brüssel

Beim EU-Gipfel kommende Woche soll das Rettungspaket für Portugal verabschiedet werden. Auf die Portugiesen kommen harte Zeiten zu: Das Land muss sparen und sich reformieren. Doch viele empfinden das als Segen.

Von Tilo Wagner | 10.05.2011
    Eines war den Portugiesen schon vor der Verkündung des Reformplans für ihr Land bekannt: In den kommenden Jahren müssen sie sich auf neue Sparmaßnahmen einstellen, um Staatsschulden abzubauen und bis Ende 2013 wieder auf ein Defizit von drei Prozent zu kommen. Überraschend war jedoch das Ausmaß der strukturellen Reformen, die die EU und der Internationale Währungsfonds in Portugal umsetzen wollen – de facto geht es um eine Reform an Haupt und Gliedern, zum Beispiel in der Justiz. Das Land kämpft mit einer Reihe von Problemen: Die Gerichte sind hoffnungslos überlastet, die Prozesse dauern zu lange oder werden sogar ohne Urteilsspruch aus Zeitmangel archiviert. Einen tiefgreifenden Umbau der Justiz haben die Berufsgenossenschaften und alle politischen Parteien seit Jahren gefordert. Passiert ist nichts. Deshalb hält der Vorsitzende der Richtervereinigung, António Martins, die von der EU und dem IWF angestrebte Justizreform für den richtigen Schritt:

    "Ich bedauere lediglich, dass jemand von außen kommen musste, um die notwendigen Reformen anzugehen. Denn die Vorschläge für den Umbau sind seit Langem bekannt. Wir Richter werden alles daransetzen, dass diese Reformen jetzt umgesetzt werden, damit die Justiz wieder richtig arbeiten kann."

    Der Reformstau zeigt sich auch in anderen Bereichen der portugiesischen Gesellschaft, zum Beispiel bei einem überalterten Mietgesetz oder in einer aufgeblasenen, aber teilweise ineffizient arbeitenden öffentlichen Verwaltung. Reformen sind in Portugal so schwer durchzusetzen, weil die beiden großen Volksparteien – die Sozialisten und die Konservativen – zu sehr damit beschäftigt sind, ihre kurzfristigen, wahlpolitischen Interessen zu verwirklichen. Das sagt der Politologe Pedro Magalhães vom Lissabonner Institut für Sozialwissenschaften:

    "Es ist sehr schwer, staatliche Reformen umzusetzen. Denn die großen gemäßigten Parteien glauben, sich nur an der Macht halten zu können, wenn sie ihre politische Klientel in der öffentlichen Verwaltung zufrieden stellen. Aus anderen Ländern ist bekannt, dass Reformen, die den Staat transparenter und effizienter gemacht haben, nur möglich waren, wenn die Parteien sich zusammen tun und gemeinsam auf ihre politischen Einflussmöglichkeiten verzichtet haben, zum Beispiel auf Verwaltungsposten. Das ist bisher in Portugal nicht geschehen."

    Deshalb ist sich die politische Mitte in Portugal einig: Das Programm, dass die internationalen Institutionen in den Gesprächen mit Vertretern der portugiesischen Politik und Gesellschaft in den vergangenen Wochen geschnürt haben, könnte den Reformstau nach einem Jahrzehnt des Stillstandes endlich aufbrechen. Pedro Magalhães:

    "Die Analysten, mit denen ich gesprochen habe, sind jetzt zufrieden. Und sie kommen nicht nur aus dem konservativen, sondern auch aus dem Mitte-Links-Lager. Auch eine Reihe von Umfragen zeigen, dass viele Menschen das Programm der EU und des IWF als Chance sehen, Probleme zu lösen. Viele Portugiesen glauben: Da die Parteien nicht kooperieren, um den Reformstau aufzuheben, brauchen wir jemanden, der die Probleme für uns löst."

    Während andernorts die Kritik an den drastischen Sparprogrammen der EU wächst, werden die Brüsseler Behörden für viele Portugiesen geradezu zum Hoffungsträger:

    "Das positive Verhältnis der Portugiesen zur Europäischen Union wird hier deutlich. Viele Portugiesen glauben, dass die Politiker der EU, wer immer das auch sein mag, Europa immer besser regiert haben als portugiesische Politiker Portugal. Deshalb wäre es gar nicht schlecht, wenn die europäischen Politiker auch Portugal regieren würden."