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"Hollande ist kein Wunschkandidat der Franzosen"

Insgesamt herrsche in Frankreich eher Skepsis gegenüber den Programmen von Francois Hollande und Nicolas Sarkozy, sagt Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Profitieren würden davon vor allem die rechtsextremen und linksradikalen Protestparteien.

Claire Demesmay im Gespräch mit Wolfgang Koczian | 22.04.2012
    Wolfgang Koczian: In Frankreich findet heute der erste Wahlgang darüber statt, wer die Geschicke des Landes die nächsten fünf Jahre als Präsident der Republik gestalten soll. Der Respekt vor der souveränen Entscheidung des Volkes sollte den Nachbarn zur Zurückhaltung bei wohlfeilen Ratschlägen veranlassen. Aber wie schon Charles de Gaulle sagte: Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen. Fragen, was der Wahlausgang für Europa und Deutschland bedeutet bleiben also legitim. Claire Demesmay leitet das Programm Frankreich, deutsch-französische Beziehungen des Forschungsinstitutes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und arbeitete zuvor am vergleichbaren Ifri in Paris. Studiert hatte sie an den Universitäten Dijon und Paris IV, also der Sourbonne. Ich fragte sie zunächst, ob sich die Franzosen des deutschen Interesses bewusst sind.

    Claire Demesmay: Ja, ich glaube schon, dass die Franzosen wissen, dass die Präsidentschaftswahl Auswirkungen auf die europäische Politik haben wird. Und es ist auch das erste Mal, dass Europapolitik eine so zentrale Rolle in einem Wahlkampf spielt. Wenn man sich die Themen anguckt, also es sind zwei Themen, die eine wichtige Rolle spielen, das ist einerseits das Thema Zuwanderung und innere Sicherheit mit Fragen wie Islam, Halal-Fleisch, also es sind Themen, die keine europäische Relevanz haben. Aber das Zweite Thema, Wirtschaft und Schuldenkrise, ist auch stark diskutiert in diesem Wahlkampf und das ist eine der großen Sorgen der Franzosen. Das ist ein Thema, das eine große Europarelevanz hat. Und es geht dabei um Arbeitslosigkeit, aber es geht auch um Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, um die Rentenreform und um Kaufkraft. Es geht in erster Linie darum zu wissen, wie das soziale System noch finanzierbar ist, in Zeiten der Schuldenkrise. Also es sind Themen, die für die gesamte EU eine Rolle spielen. Die Frage ist aber, wie weit die Franzosen gehen wollen, gehen können, um diese Probleme wirklich anzupacken und auch die Wünschen der europäischen Partner erfüllen zu können.

    Koczian: Gerade vor dem Hintergrund was Sie gerade geschildert haben: Wenn die EU an den Rand der Handlungsunfähigkeit gerät, weil die Präsidialmacht durch eigene Konflikte lahmte, wie zum Beispiel Prag, oder unüberbrückbare Gegensätze die Gemeinschaft spalten haben bislang französische und deutsche Diplomaten in der operativen Politik immer ausreichend zusammengearbeitet, um das europäische Schiff über Wasser zu halten. Erscheint das nicht nahezu als Wunder angesichts keineswegs identischer Ausgangspositionen?

    Demesmay: Ja, also bis jetzt hatten die deutschen und französischen Diplomaten und Politiker eigentlich gleiche Interessen in der Europapolitik, sprich: die Eurozone retten, den Euro retten. Aber auch verschiedene Lösungsansätze. Und das ist auch die Rolle von der deutsch-französischen Zusammenarbeit: Gemeinsam zu handeln, aber kontrovers zu diskutieren und Lösungen zu finden, Kompromisse zu finden, die für die gesamte Union dann tragbar sind, auch für die anderen Partner. Und Sarkozy hat sich in den letzten Monaten sehr stark in Richtung Berlin bewegt und hat auch sehr viel akzeptiert da im Bereich der Haushaltsdisziplin, der Sparpolitik, was in Frankreich überhaupt nicht selbstverständlich ist. Er hat eigentlich die Forderungen Deutschlands einhundertprozentig akzeptiert.

    Die Frage, die sich jetzt stellt, ist, wie der nächste Präsident in diesem Bereich reagieren wird, wenn das Hollande ist. Wenn Francois Hollande, wenn der Sozialist, gewählt wird. Er hat sich am Anfang von dem Wahlkampf schon zu einer gewissen Haushaltsdisziplin bekannt. Aber zwei Themen sind für Deutschland besorgniserregend. Der erste Punkt ist:soziale Reformen, Reformen am Arbeitsmarkt, Rentenreform, Mindestlohn. Ist der Sozialist Hollande wirklich in der Lage und will er wirklich diese Reformen durchführen? Und der zweite Punkt ist: Ist er auch bereit, wirklich, das Versprechen von Sarkozy zur Haushaltsdisziplin zu halten? Will er das wirklich machen? Und was er jetzt gesagt hat ist, dass er erstens den Fiskalpakt nachbehandeln möchte – und das ist für Deutschland inakzeptabel. Und zweitens möchte er viel mehr Wachstumsförderung auf europäischer Ebene erreichen. Und was das für ihn heißt ist, eine andere Rolle für die EZB, für die Europäische Zentralbank und was es auch für ihn bedeutet ist, die Einführung von Projektbonds, um Investitionsprogramme zu finanzieren. Und das sind Vorschläge, die in Deutschland nicht unbedingt herzlich begrüßt werden.

    Koczian: Hollandes Programm erinnert doch sehr an Laurent Fabius, der mit drastischen Arbeitszeitverkürzungen und Senkung des Renteneintrittsalters Frankreich in wirtschaftliche Turbulenzen steuerte, bis Präsident Francois Mitterand, ebenfalls Sozialist, aber im Denken strukturkonservativ, das Ruder herumriss. Ein wirtschaftlich geschwächtes Frankreich verringert aber auch das Gewicht Europas. Droht also die Wiederholung alter Fehler?

    Demesmay: Ja. Die Wirtschaftslage ist jetzt schon sehr schlecht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, insbesondere unter Jugendlichen. Die Industrie verliert regelmäßig an Stellen und gleichzeitig ist es aber so, dass die Staatsverschuldung so hoch ist, dass die Politik über ganz wenig Handlungsspielraum verfügt. Die Frage ist, wie Hollande sich da verhalten kann. Man muss in Frankreich immer in einem Wahlkampf um die Präsidentschaftswahl zwischen Rhetorik, zwischen Versprechen, und Praxis unterscheiden. Er hat viel versprochen, zum Beispiel möchte er 60.000 Lehrerstellen schaffen. In Zeiten der Schuldenkrise scheint das ziemlich irrealistisch zu sein.

    Aber andererseits will er, er hat auch schon Vorschläge gemacht, um diese Reformen zu finanzieren. Zum Beispiel Rentenreform: Er möchte die Rentenreform von Sarkozy wieder reformieren, damit das Eintrittsalter wieder sinkt. Und er will dafür, dass die Sozialbeiträge höher werden. Also er möchte, dass jedes Jahr diese Reform die eine Milliarde Euro schon dieses Jahr kosten wird, dass diese Reform durch eine Erhöhung der Sozialbeiträge finanziert wird. Und das ist das erste Mal, dass ein sozialistischer Kandidat im Wahlkampf auch solche Vorschläge macht, also auch über die Finanzierung spricht. Insofern denke ich, dass es ihm anders als in der 80er-Jahren schon bewusst ist, dass die Situation ernst ist, dass er nicht so viel machen kann, wie er das möchte. Und ich erwarte auch, dass er einfach sagt, die Kassen sind leer, die sind leerer, als wir das erwartet hatten, insofern müssen wir auch drastischer vorangehen.

    Koczian: Hollande genießt gute Umfragewerte. Doch was um alles in der Welt macht er denn besser als das Original, Ségolène Royal, seine Ex-Frau, Mutter seiner Kinder und die vergangene Präsidentschaftskandidatin der PS?

    Demesmay: Der Kandidat Hollande ist kein Wunschkandidat der Franzosen. Er ist eigentlich Kandidat geworden, weil Strauss-Kahn nicht kandidieren konnte wegen der verschiedenen Affären in den letzten Monaten. Aber er präsentiert sich als Gegensatz von Sarkozy. Sarkozy hat ein schlechtes Image in Frankreich, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Ergebnisse - die in der Tat schlecht sind, aber das hat auch sehr viel mit der Wirtschaft und der Finanzkrise zu tun – sondern auch wegen gesellschaftlichen Themen. Und zwar sein Versuch, eine sehr umstrittene Debatte über die nationale Identität, zum Beispiel, zu lancieren. Oder über die Rolle der Justiz in der französischen Gesellschaft.

    Er ist nicht beliebt, er ist sogar ungeliebt von einem großen Teil der Franzosen. Und weil Hollande das weiß und auch damit spielt und sich als Anti-Sarkozy präsentiert, darstellt, dann hat er Chancen, auch gewählt zu werden, weil für viele Franzosen geht es darum, einfach gegen Sarkozy zu stimmen und weniger für Hollande. Es gibt so Zeiten, in dem Wahlkampf in den letzten Monaten, Wochen, gab es keine große Begeisterung, sondern eher Skepsis gegenüber den verschiedenen Programmen von den Kandidaten und zum Teil auch Resignation. Und das erklärt auch, dass die Protestparteien, vor allem die rechtsextreme Front National und die linksradikale Front de Gauche von Mélenchon, davon profitieren, von dieser Desillusion und von dieser fehlenden Begeisterung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:

    Sammelportal zur Präsidentenwahl in Frankreich
    Frankreich: Wahlprogramme Sarkozy und Hollande (MP3-Audio)
    13 Fragen zur Präsidentenwahl in Frankreich (Quelle: Französische Botschaft in Deutschland)