Rolf Rietzler: "Mensch, Adolf"

Hitler auch als Toter ein Zombie

Die Wachsfiguren von Winston Churchill (l.) und Adolf Hitler im Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds in London
Die Wachsfiguren von Winston Churchill (l.) und Adolf Hitler im Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds in London © picture alliance / dpa
Von Carsten Hueck · 16.03.2016
Adolf Hitler ist als Sujet im Kino, im Fernsehen und in der Literatur wieder en vogue. Der Historiker Rolf Rietzler untersucht in seinem neuen Buch "Mensch, Adolf" das "Hitlerbild der Deutschen seit 1945". Sein Fazit: Der Diktator ist ein Medienstar.
Mit dem "Untergang", einer 2004 international erfolgreichen cinematographischen Aufbereitung der letzten Tage Adolf Hitlers, war keinesfalls Schluss. "Er ist wieder da" hieß 2015 die Verfilmung eines Romans des Journalisten Timur Vernes. In diesem Jahr wurde Hitlers "Mein Kampf" neu ediert, und jetzt macht der Autor Karriere als Serienstar: Eine deutsche Filmproduktionsfirma will ihn in vier mal 120 Minuten "als Menschen" zeigen.
"Mensch, Adolf" ist der Titel des Buches von Rolf Rietzler, einem promovierten Historiker und langjährigen Redakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Auf über fünfhundert Seiten untersucht er "Das Hitlerbild der Deutschen seit 1945". Das Ergebnis: Hitler ist auch als Toter höchst lebendig, ein very important Zombie.
Als sein tausendjähriges Reich nach nur einem Dutzend Jahren wenig glorios in Schutt und Asche versunken, er selbst verbrannt, sein Tod aktenkundig und der Zweite Weltkrieg beendet war, beginnt Hitlers Nachleben. Denn einer muss schuld sein an der deutschen Niederlage, dem Tod von Millionen Menschen, den Trümmerlandschaften. Nazis gibt es ja plötzlich keine mehr in Nachkriegsdeutschland, Verantwortliche für den staatlich organisierten Massenmord an den Juden auch nicht. So wie Hitler vor 1945 als Führer überhöht und mystifiziert worden war, so wird er nach 1945 als Verbrecher überhöht und mystifiziert. Die Deutschen wehren Scham und Schuld ab. Sie sind unfähig, ihr eigenes und das Tun Hitlers zu betrauern. Hitler hatte sie verführt, er war das Monster, der Tyrann.

Nicht nur Ikonographie, sondern auch Analyse

Erschreckend in ihrer Menge und Eindeutigkeit sind die von Rietzler angeführten Belege aus über 70 Jahren. Sie alle entlasten die Deutschen. Bis heute. Die Schuld liegt immer bei Hitler. Dessen Bild aber verändert sich. Zuerst wird er als Dämon gezeichnet. Nach dem Eichmann-Prozess und den Frankfurter Auschwitz-Prozessen wird er zum Phantom: Die nicht mehr zu leugnenden Verbrechen werden in nebulösen Formulierungen ("düsterstes Kapitel in einer dunklen Zeit") aufgelöst. In der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre wandelt Hitler sich zum Hampelmann des Kapitals. In den 1970er Jahren mutiert er zum Medienstar, auch dank seines Biographen Joachim Fest. Nun fasziniert seine komplexe Persönlichkeit, die psychoanalytisch durchleuchtet wird. Auch als Jubilar zum 40. und 50. Jahrestag des Kriegsendes bleibt Hitler im Zentrum medialer Aufmerksamkeit. Der TV-Historiker Guido Knopp lebt bis heute davon.
Obwohl Rietzler in der Sache nichts grundlegend Neues berichtet, überzeugt er mit der Fülle seines Materials und dessen akribischer Lesart. Er beschränkt sich nicht auf reine Ikonographie, sondern zieht aus der Repräsentation Hitlers in den Medien Schlüsse über den Zustand der politischen Kultur in Deutschland – die Deutschen sind mit ihrer Geschichte nicht im Reinen, von "Bewältigung" ihrer Vergangenheit kann keine Rede sein. Gerade in der aktuellen Auseinandersetzung mit Pegida, AfD, NSU sowie einem NPD-Verbotsverfahren ist Rietzlers Buch eine hilfreiche Ergänzung der Debatte.

Rolf Rietzler: Mensch, Adolf.
Das Hitlerbild der Deutschen seit 1945
C. Bertelsmann, München 2016
543 Seiten, 24,99 Euro

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