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Hollywood und die Nazis

Als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen, verfolgten die Hollywood-Studios weiterhin ihre kommerziellen Interessen in Übersee. Jüdische Produzenten und Besitzer der Studios sollen in den 30er-Jahren willfährige Handlanger der Nazis gewesen sein, so die These des Historikers Ben Urwand.

Von Jürgen Kalwa | 05.10.2013
    Waren die mächtigen jüdischen Hollywoodproduzenten der 30er-Jahre allzu willfährige Handlanger der Nazis? Ein Harvard-Historiker sagt "Ja” und hat damit in den USA eine beachtliche Kontroverse verursacht.

    Am 30. Januar 1939, dem sechsten Jahrestag der Machtübernahme, hält Adolf Hitler eine Rede vor dem Reichstag, in der er den systematischen Mord von Millionen von Menschen androht:
    ""Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann würde das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.”"
    Es ist eine Rede, die an einer anderen Stelle ein überraschendes Detail beinhaltet: eine Warnung an Hollywood.

    ""Auch die Ankündigung amerikanischer Filmgesellschaften, antinazistische, das heißt antideutsche Filme zu drehen, kann uns höchstens bewegen, in unserer deutschen Produktion in Zukunft antisemitische Filme herstellen zu lassen.”"

    Die Passage ist ein bedeutsames Indiz für den australischen Historiker Ben Urwand, der jahrelang in Archiven in Deutschland und den USA forschte und das kurze Zitat als Mosaikstein für eine steile These verwendete: Die – in der Mehrheit – jüdischen Produzenten und Besitzer der Studios von Hollywood waren in den 30er-Jahren – bis zu dieser Rede – willfährige Handlanger der Nazis.

    ""Hitler droht öffentlich den Studios und redet in diesem Augenblick über das Arrangement. Er wusste, was lief. Den Schluss lassen die Dokumente zu.”"

    Wer was wusste und wann und sich wie verhielt, ist in der Geschichtsschreibung von eminenter Bedeutung. Besonders, wenn man sich aus einer Distanz von mehr als 70 Jahren mit den Verhältnissen beschäftigt. Dass sich die Nazis aktiv in Hollywood einmischten und Druck ausübten, das ist keine Neuigkeit. Das wurde in den 30er-Jahren sogar in US-Zeitungen vermeldet. Und dass Filmhersteller wie MGM oder 20th Century Fox den Absatzmarkt Deutschland nicht einfach aufgeben wollten, nachdem sie gezwungen wurden, jüdische Vertriebsmitarbeiter abzuziehen – darin ähnelten sie großen amerikanischen Unternehmen wie IBM, General Motors oder DuPont.
    Doch Urwand sieht in den Geschäftsbeziehungen der amerikanischen Filmindustrie eine andere Qualität. Sein Buch sagt es bereits im Titel: "The Collaboration. Hollywood’s Pact with Hitler”. Ausgerechnet die einflussreichen Juden von Hollywood sollen mit Hitler gemeinsame Sache gemacht haben und devot das getan, was Georg Gyssling, der deutsche Konsul in Los Angeles, verlangte.

    ""Die Studios laden den Nazi-Konsul ein und fragen ihn, was sie herausschneiden sollen, damit die Filme in Deutschland laufen können. Das ist Kollaboration.”"

    Doch diese Schlussfolgerung ist in den USA auf überraschend heftige Gegenreaktionen gestoßen. Der Filmkritiker David Denby vom "New Yorker” etwa warf dem Buch in der letzten Woche Methodenschwindel vor. Es sei voller "Auslassungen und grober Fehler”. Die Zuspitzung führe Leser, schrieb Denby, "leichtfertig in die Irre”. Die Kontroverse hat auch deshalb so stark Fahrt aufgenommen, weil nur wenige Monate zuvor der Filmhistoriker Thomas Doherty, Professor an einer der bekanntesten jüdischen Bildungseinrichtungen in den USA, der Brandeis University außerhalb von Boston, ein abgewogeneres Buch zum selben Thema publiziert hatte. "Hitler and Hollywood, 1933 - 1939”. Doherty:

    ""Wenn man nur auf das Auslandsgeschäft schaut, ignoriert man, was die Studios in Amerika getan haben. Leute wie die Warner-Brüder Harry und Jack haben Hunderttausende von Dollar gespendet und waren in der Hollywood Anti-Nazi-League. Mit 5000 anderen, die demonstriert und Radioprogramme produziert und ihr Bestes getan haben, um Anti-Nazi-Werte in amerikanische Filme hineinzuschleusen.”"

    Jemand wie der Gründer der Universal Studios zum Beispiel, Carl Laemmle, half aktiv Hunderten von auswanderungswilligen deutschen Juden aus seiner oberschwäbischen Heimat mit Geld und Bürgschaftserklärungen. Sie konnten sich ins Exil retten.

    Gewiss – die amerikanischen Filme jener Zeit sind alles andere als aufklärerisch. Die Studios akzeptierten nicht nur den Druck von Zensoren in anderen Ländern. Sie betrieben Selbstzensur und beugten sich den moralischen Vorbehalten des sogenannten Motion Picture Production Codes, der von einer mächtigen Kommission überwacht wurde. Ein Verbot galt etwa der ”absichtlichen Beleidigung irgendeiner Nation, Rasse oder eines Glaubensbekenntnisses”. Ganz abgesehen davon, sagt Thomas Doherty:

    ""Wir hatten diplomatische Beziehungen. Die Länder waren offiziell miteinander befreundet. Das Bild von Nazi-Deutschland ist ein Nachkriegskonstrukt und ist durch den Krieg und den Holocaust verursacht. 80 Jahre später jemanden wie Louis B. Mayer zu verurteilen geht ein bisschen zu weit. Und besonders das Wort ‘Kollaborateur’.”"