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Homo-Ehe statt Sparpolitik

Portugals Premierminister, der Sozialist José Sócrates, möchte eine gesetzliche Regelung zur gleichgeschlechtlichen Ehe einführen. Gegner seiner Minderheitsregierung werfen Sócrates vor, damit von anderen Versäumnissen ablenken zu wollen.

Von Tilo Wagner | 23.11.2009
    Die Musik von António Variações hat eine ganze Generation von Portugiesen geprägt. Dass der Nachlass der schwulen Pop-Ikone ausgerecht jetzt, 25 Jahre nach seinem Tod, im Internet versteigert wird, passt zur aktuellen Debatte. Seit Premierminister José Sócrates in seinem Regierungsprogramm die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe festgeschrieben hat, diskutiert Portugal über das Thema. Die Öffentlichkeit hat es überrascht, dass ein Gesetz noch vor Weihnachten verabschiedet werden soll. Schließlich hatten die Sozialisten noch vor einem Jahr gegen einen ähnlichen Entwurf des Linksblocks gestimmt. Diese Kehrtwende ist einerseits als eine Annäherung der sozialistischen Minderheitsregierung an die Linksparteien im Parlament zu verstehen, mit deren Stimmen das Gesetz verabschiedet werden soll. Martim Figueiredo, Chefredakteur der Tageszeitung "i", glaubt, dass Sócrates die sogenannte Homo-Ehe außerdem für seine politischen Ziele missbraucht:

    "Sócrates sucht einerseits einen Weg, um wirtschaftliches Wachstum zu erzeugen. Das sind die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur. Und andererseits ist er auf der Suche nach einem Markenzeichen, das für Innovation steht. Die Homo-Ehe soll ihm nun den Anschein eines modernen Premierministers geben."

    Kritiker glauben, dass Sócrates so einen preiswerten Weg gefunden hat, um seinen angeblichen Modernisierungsprozess weiterzuführen, der in wichtigen Bereichen wie der Justiz oder der Bildung ins Stocken geraten ist. In den vergangenen Tagen ist die Bedeutung der Gesetzesinitiative noch gewachsen, seit eine neue Korruptionsaffäre Schatten auf das staatliche Investitionsprogramm wirft. Für den künstlerischen Leiter des Lissabonner "Schwulen und Lesbischen Filmfestivals", João Ferreira, steht die politische Strategie der Regierung nicht im Vordergrund:

    "Die politischen Spielchen müssen wir akzeptieren. Natürlich ist es wichtig, woher die Idee zu dieser Initiative kam und wie sie letztendlich gestaltet wird, aber das Wichtigste ist, dass das Gesetz kommt."

    Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission, gehört Portugal zu den vier EU-Ländern, in denen die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung am stärksten ausgeprägt ist. João Ferreira glaubt nicht, dass die Legalisierung der sogenannten Homo-Ehe daran etwas ändern könnte. Aber...

    "Ich glaube, es geht hier auch um Macht und darum, den Homosexuellen Kraft und Legitimität zu geben, um sich besser zu verteidigen. Sie können dann sagen: Ich bin homosexuell, und der Staat legitimiert meine sexuelle Orientierung."

    Aus der Opposition und aus zivilgesellschaftlichen Gruppierungen kommt nun der Vorschlag, ähnlich wie bei der Legalisierung der Abtreibung vor knapp drei Jahren, eine Volksabstimmung durchzuführen. Catarina Almeida von der Plattform Zivilgesellschaft und Ehe erklärt:

    "Wir glauben, dass die Diskussion über die Homo-Ehe in der portugiesischen Gesellschaft geführt werden muss. Wir fordern deshalb ein Referendum! Der Eindruck, das über das Gesetz schon in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, ist falsch!"

    Martim Figueiredo, der in seiner Zeitung "i" ausführlich über das Thema berichtet, glaubt jedoch, dass ein Referendum der falsche Weg ist, diese Frage zu erörtern:

    "Ein Referendum ist immer Ausdruck eines volkstümlichen Gefühls. Dahinter verbergen sich selten genügend Informationen, um für Aufklärung zu sorgen und die Gesellschaft im sozialen Sinne voranzubringen. Deshalb habe ich vor einem Referendum Angst. Das Gesetz würde mit großer Mehrheit abgelehnt werden. Doch die Gesellschaft verändert sich, und das unabhängig davon, ob Menschen sich daran stören, dass Frauen mit Frauen eine Ehe schließen oder Männer Männer heiraten."

    Die katholische Kirche hat sich mittlerweile von einer Volksabstimmung distanziert. Das ist auch ein Anzeichen dafür, dass in Portugal – anders als im Nachbarland Spanien vor vier Jahren, die Kirche nicht darauf aus ist, einen gesellschaftlichen Bruch zwischen dem modernen und dem konservativen Lager zu provozieren. Wenn es nach Premierminister Sócrates ginge, soll das Gesetz noch in diesem Jahr im Parlament beschlossen werden. Portugal könnte so zum sechsten europäischen Land werden, das die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern anerkennt. Zu Zeiten der Schwulen-Ikone António Variações, in den 1980ern, wäre das noch undenkbar gewesen.