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Homosexualität
Kampf um Anerkennung in der eigenen Familie

Homosexualität ist in Deutschland kein großes Tabu mehr. Doch in bestimmten Fällen kann es sogar lebensgefährlich sein, sich als schwul oder lesbisch zu outen. Ein heute 18-jähriger Libanese wurde von seiner eigenen Familie deswegen misshandelt, entführt und beinahe getötet.

Von Kemal Hür | 19.02.2015
    Nasser El-Ahmad ist homosexuell und wurde deshalb lange Zeit von seiner Familie entführt und bedroht.
    Nasser El-Ahmad ist homosexuell und wurde deshalb lange Zeit von seiner Familie entführt und bedroht. (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Nasser El-Ahmad ist 18 Jahre alt. Er ist ein feiner, sportlich gekleideter Mann, freundlich und höflich. Nasser macht einen selbstbewussten und starken Eindruck. Er bekennt sich offen zu seiner Homosexualität. Sein Wunsch ist es, öffentlich auf die Unterdrückung von Schwulen aufmerksam zu machen. Denn seitdem sein Umfeld von seiner Homosexualität erfuhr, bekam er Morddrohungen, sogar von seinem eigenen Vater.
    "Irgendwann ist es so weit gegangen, dass sie meinen Vater angerufen hat und der am Telefon wortwörtlich damit gedroht hat, eigenhändig ein Messer in meinen Hals zu rammen. Und das waren keine leeren Worte. Ich wusste, dass er das machen würde."
    Nasser flüchtet zu einem deutschen Freund in einen anderen Bezirk. Er weiß nicht, wo er sonst Hilfe bekommen kann. Zur Polizei geht er nicht, weil er Angst hat, dass sie ihn nach Hause zurückbringen. Nach einigen Tagen wendet er sich an das Neuköllner Jugendamt. Dort bekommt er die Hilfe, die er braucht. Den Eltern wird das Sorgerecht entzogen. Nasser wird in einer Kriseneinrichtung untergebracht. Nach einiger Zeit vermisst er seine zwei Geschwister und Mutter. Und er besucht sie zu Hause. Dort erfährt er, dass sein Großvater und Vater ohne sein Wissen eine Verlobung mit einem Mädchen arrangiert haben.
    "Diese Heirat würde die Ehre der Familie aufrechterhalten. Ich wollte nicht so ein Leben leben, wo ich vortäusche, jemand zu sein, der ich in Wirklichkeit nicht bin. Und schließlich bin ich ein zweites Mal weggelaufen."
    Betäubt und entführt
    Diesmal beantragt sein Vormund beim Familiengericht eine Auslandssperre. Nasser darf ohne einen gerichtlichen Beschluss nicht ins Ausland reisen. Denn der Vormund befürchtet eine Entführung. Dazu kommt es aber trotzdem. Eines Tages ruft Nasser zu Hause an, weil er seine Geschwister vermisst. Die Mutter sagt, er soll kommen und sie besuchen. Der Vater sei noch bis zum Abend auf der Arbeit. Nasser glaubt ihr und geht nach Hause. Dort wird er von seinem Vater und zwei Onkeln erwartet. Sie betäuben und entführen ihn - mit dem Auto Richtung Libanon. Er soll dort aber nicht verheiratet, sondern getötet werden. Das habe Nasser auf der Fahrt mitgehört, erzählt er.
    "Als ich so tat, dass ich schlief, vom Onkel, vom Vater und so weiter mitbekommen, dass die mich wortwörtlich an den Galgen bringen wollten. Er wollte den eigenen Sohn, also mich, umbringen, weil er es für mehr wichtig gehalten hat, die Ehre aufrechtzuerhalten, als die Liebe des eigenen Sohnes wahrzuschätzen."
    An der rumänisch-bulgarischen Grenze fliegt die Entführung auf. Der Vater will Nasser unter einer Decke verstecken. Als Grenzbeamte ihn doch sehen, will er ihnen Nassers Pass nicht zeigen. Er habe den Pass vergessen, sagt er und will sie bestechen. Sie schöpfen Verdacht und durchsuchen das Auto. Der Vater hat Nassers Pass bei sich.
    "Und da haben sie meine Passnummer im System eingetippt. Und da ist alles sofort aufgeflogen. Erst mal Vermisstenanzeige ganz europaweit, Sorgerechtsentzug, der Sohn darf sich nicht mit dem Vater treffen oder sonstiges in der Art. Und sofort wurde zur deutschen Botschaft Kontakt aufgenommen."
    Begegnung vor Gericht
    Zwei Tage kommt er in einer rumänischen Behörde unter. Dann kommt ein deutscher Kriminalbeamter und begleitet den 16-Jährigen auf einem Flug nach Berlin. Hier wohnt Nasser seitdem in einer betreuten Wohngemeinschaft. Er hat die Schule gewechselt und holt zurzeit seinen mittleren Schulabschluss nach. Seine Mutter und Geschwister hat er seitdem nur noch einmal gesehen, als er in polizeilicher Begleitung seine Zeugnisse von Zuhause abgeholt hat. Seinem Vater begegnete er vor einem halben Jahr in Neukölln. Nasser hatte eine Demonstration gegen Homophobie organisiert, die am Haus seiner Eltern vorbei zog.
    "Es war wirklich Augenkontakt da. Und es war nur zwei Meter Abstand. Und er hat das Megafon in meiner Hand gesehen und hat die Rufe gehört, die ich laut gerufen habe, wie ‚Mehr Akzeptanz für Lesben, Schwule und Trans', oder ‚Wir haben Rechte, welche Rechte, nämlich Menschenrechte'. Wir haben auf uns aufmerksam gemacht."
    Nassers Vater habe reglos zugeschaut und keine Reaktion gezeigt. Die nächste Begegnung steht aber kurz bevor. Nasser hat seine Eltern nach seiner Entführung angezeigt. Der Prozess beginnt in drei Wochen vor dem Berliner Kriminalgericht. Mit diesem Prozess will er sich nicht an seinen Eltern rächen. Er möchte vielmehr als Homosexueller, der jetzt in einer glücklichen Beziehung lebt, auch von seinen Eltern anerkannt werden.
    "Homosexualität oder gar die eigene Sexualität ist doch keine Entscheidung. Wann hat man denn entschieden, hetero zu sein, frage ich jetzt jemanden. Ganz einfach: gar nicht. Man hat nie entschieden, hetero zu sein. Genauso ist es mit Homosexualität. Ich habe mir meine Homosexualität nicht ausgesucht. Sie wurde mir geschenkt."