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"Homosexualität zum Sündenbock machen"

Der Theologe Hermann Häring bemängelt das Verhalten der katholischen Kirche in Bezug auf Missbrauchsfälle. In Rom habe Kardinal Sodano die Klagen der Opfer als Geschwätz verhöhnt. Auch scheine es die neue Sprachregelung der Hardliner in der Kirche zu sein, die Homosexualität zum Sündenbock zu machen.

Hermann Häring im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.04.2010
    Friedbert Meurer: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, haben sich zuletzt ein ziemlich heftiges Wortgefecht geliefert. Die Ministerin rügte die katholische Kirche, in Missbrauchsfällen nicht die Staatsanwaltschaft sofort einzuschalten.

    Zollitsch setzte ihr daraufhin ein Ultimatum. Sie solle innerhalb von 24 Stunden ihre Aussagen zurückziehen. Heute setzen sich die beiden nun zusammen an einen Tisch, um die Sache endgültig zu klären und um den geplanten runden Tisch vorzubereiten.

    Hermann Häring ist katholischer Theologe. Bis zu seiner Emeritierung leitete er das interdisziplinäre Institut für Religion, Wissenschaft und Kultur an der Universität Nimwegen in den Niederlanden. Bei uns ist er jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Häring.

    Hermann Häring: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Lag Ihrer Einschätzung nach die Justizministerin mit ihren Vorwürfen richtig?

    Häring: Ich hatte damals nichts auszusetzen. Sie hat damals reagiert auf den damals noch gültigen Stand und der Art, wie die Kirche umgegangen ist, nämlich zunächst die Dinge selber zu regeln und nur gegebenenfalls die Staatsanwaltschaften einzuschalten.

    Meurer: Jetzt hat die katholische Kirche ihre Leitlinien verschärft. Reicht es Ihnen, dass jetzt bei erhärtetem Verdacht, oder im Vatikan heißt es wohl sogar nur bei erwiesenen Fällen, die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird?

    Häring: Es reicht mir eigentlich nicht. Zuzugeben, es ist immer eine Grauzone, das ist auch in jeder Schule oder in anderen Behörden so. Wenn etwas passiert, muss der Behördenchef zunächst schauen, was ist los. Aber es muss nicht so weit sein, dass der Verdacht erhärtet ist. Sobald das klar ist, da ist etwas los, muss es selbstverständlich sein, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird.

    Meurer: Was ist Ihr Eindruck, Herr Häring? Wie geschickt oder wie ungeschickt agiert die katholische Kirche in der Missbrauchsaffäre?

    Häring: Am Anfang hat sie furchtbar ungeschickt agiert. Dieses Ultimatum, das hat ja geradezu Belustigung bei manchen ausgelöst, denn man hat sich gefragt, womit will er denn drohen, der Erzbischof, wenn er ein Ultimatum stellt.

    Inzwischen haben die deutschen Bischöfe einiges gelernt. Über Ostern ist viel geschehen, Bekundungen dafür, dass man endlich die Opfer ernst nehmen will, Bekundungen dafür, dass man rücksichtslos aufklären will und dass man bereit ist, unabhängige Instanzen einzuschalten.

    Leider hat Rom dazwischengeschossen und jetzt wären die Bischöfe am Zug, endlich mal klar zu machen, dass sie anderer Meinung sind als die Dinge, die zum Beispiel in Rom gesagt wurden von Kardinal Sodano, der die Klagen der Opfer als Geschwätz verhöhnt hat. Auch müssen sie etwas tun gegen Kollegen wie den Bischof von Essen, der sich in einer unmöglichen Weise, wie ich finde, in einer Talkshow aufgeführt hat.

    Meurer: Und über Homosexualität geredet hat. Das meinen Sie vermutlich.

    Häring: Ja, Bischof Overbeck.

    Meurer: Dazu kommen wir gleich noch ganz kurz dazu. Rom hat dazwischengeschossen. Meinen Sie damit auch den Papst selbst?

    Häring: Indirekt ja. Der Papst hat natürlich vorsichtig geredet. Er hat am Gründonnerstag das Wort Geschwätz verwendet. Da war es nicht ganz deutlich, was er damit meint. Aber diese Intervention des Kardinaldekans Sodano an Ostern selber war eindeutig. Da wurde einmal die Weltpresse beschimpft und indirekt natürlich auch die Opfer.

    Meurer: Die Kirche sagt wohl, vor allen Dingen im Vatikan, es gibt eine Hetzjagd gegen die katholische Kirche. Ist das völlig aus der Luft gegriffen?

    Häring: Das ist aus der Luft gegriffen. Man kann nie ausschließen, dass irgendwo eine Presse niedrigeren Niveaus ihr Süppchen kocht, natürlich. Aber es gibt in meiner Beobachtung ganz wenige Fälle, in denen die Weltpresse und vor allem auch die deutsche so seriös, so differenziert, so eigentlich auch mit Solidarität reagiert hat, als in dieser höchst unerquicklichen Affäre.

    Meurer: Der Staatssekretär im Vatikan, Bertone - das ist wohl die Nummer zwei im Vatikan -, hat jetzt für ziemlich viel Wirbel gesorgt, weil er gesagt hat, die Homosexualität ist mit Schuld an den Missbrauchsfällen, und Sie selbst haben eben Bischof Overbeck angesprochen, der am Sonntag gesagt hat, Homosexualität ist eine Sünde, was, glaube ich, Lehrmeinung der katholischen Kirche ist. Was sagen Sie zu dieser Diskussion über die Homosexualität?

    Häring: Ich habe den Eindruck, dass das sozusagen die neue Sprachregelung der Hardliner in der Kirche ist, die jetzt die Homosexualität zum Sündenbock machen. Zweitens: Bischof Overbeck hat etwas erzählt, wo er die große Mehrheit katholischer Moraltheologen in Westeuropa überhaupt nicht auf seiner Seite hat.

    Drittens müsste man sagen, auch wenn man diese harte, objektive, noch aus dem Mittelalter stammende Beurteilung der Homosexualität übernimmt, dann sagen selbst römische offizielle Dokumente immer dazu, es sei zu unterscheiden zwischen der objektiven Beurteilung und der subjektiven Situation von Personen, sprich von Menschen, die faktisch homosexuell sind.

    Meurer: Was sagt denn die Mehrheit der katholischen Moraltheologen?

    Häring: Die Mehrheit der katholischen Moraltheologen akzeptiert inzwischen, was Ergebnis auch wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Es gibt homosexuelle und es gibt heterosexuelle Neigungen, die den Menschen gegeben sind, die sie nicht mehr beeinflussen können - Punkt eins. Punkt zwei: Sinn der Sexualität ist eben nicht nur und auch nicht unbedingt in erster Linie, wie man früher sagte, die Zeugung der Nachkommenschaft, womit sie ja nur dann in der Ehe erlaubt wäre, sondern ist das Zeugnis gegenseitiger Liebe.

    Meurer: Herr Häring, was glauben Sie werden die Folgen der Affäre für die katholische Kirche sein?

    Häring: Erstens ein ganz massiver Vertrauensverlust, nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche, eine große Erschütterung gerade von engagierten Katholikinnen und Katholiken, deren Kinder jetzt gerade im Alter ihrer Kindheit und ihrer Jugend sind.

    Drittens - das hoffe ich, aber das hört man jetzt auch mehr oder mehr unter der Hand - endlich eine Neubeurteilung, ein neuer Umgang auch in strukturellen Dingen mit Sexualität. Ich meine damit erstens, es muss geredet werden über den Pflichtzölibat. Ehelos leben ist eine respektable Lebensform, aber es ist Unsinn und biblisch und theologisch nicht begründet, alle Priester mit dieser Lebensform zu belegen.

    Zweitens, dass endlich Frauen auch zum Priestertum zugelassen werden. Dann nämlich hört das Ende des Männerbundes, dieser geschlossenen Gesellschaft mit all ihren unangenehmen Folgen auf.

    Meurer: Der emeritierte Theologieprofessor Hermann Häring heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank und auf Wiederhören, Herr Häring.

    Häring: Auf Wiederhören, Herr Meurer!