Donnerstag, 25. April 2024

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Homosexuelles Panoptikum

Es gibt Bücher, die sich von außen an ihren Gegenstand heranzoomen, die - aus der Vogelperspektive schauend - sich die Nähe zum Erzählten erfinden; der Roman beispielsweise, der mehrere Generationen umfasst, die multiperspektivische Erzählung, der Thesenroman. Und es gibt Bücher, deren Erzählen so nah am Erzählten liegt, dass sie sich den Blick erst freischaufeln müssen, um eine Verbindung ins Allgemeinverständliche herzustellen. Ralf König ist ein Autor, der spätestens mit seinem Comic Der bewegte Mann, der dem gleichnamigen Filmskript zugrunde lag, den Weg von Innen nach Außen geschafft hat.

von Antje Ravic Strubel | 20.02.2004
    Sein Innen besteht aus einem detaillierten Wissen über die Homosexuellen-Szene; seine ersten Bücher sind in schwulen Kleinverlagen erschienen. Und vielleicht ist gerade der Comic besonders geeignet, aus einer in ihren Codes und Ritualen oft nur Insidern vollständig zugänglichen Szene hinauszuführen. Ende des 19. Jahrhunderts in amerikanischen Zeitungen entstanden, reagierte der Comic damals auf das Unterhaltungsbedürfnis von Einwanderern, die keineswegs alle der englischen Sprache mächtig waren. Mithilfe der Bilder wurde das Geschehen verständlich. Ein Jahrhundert Comicgeschichte weiter ist Königs soeben erschienenes Buch Sie dürfen sich jetzt küssen ebenfalls eine für ein breites Publikum angelegte Bildergeschichte, die von der Anschaulichkeit der Übertreibung lebt. Sie ist ein gezähmt sarkastischer, eher warmherziger als böse ironischer Beitrag zur politischen Durchsetzung der Homosexuellen-Ehe. Das ist ein dankbares Thema. Die Diskussion darüber muss einem Comic-Zeichner wie König, dessen Bücher auch Reaktionen auf den Zeitgeist sind, reichlich Stoff geboten haben. Die Debatte gipfelte schließlich in der grotesken Überlegung einer Namensfindung. "Fehe" sollte es heißen, wenn sich Frauen ehelichen, also Ehe mit F, "Mehe" entsprechend bei Männern.

    Konrad also will nach fünfzehnjähriger Partnerschaft Paul heiraten, sich verpartnern, wie es heißt, oder auch: sich partnerschaftlich registrieren lassen. Wegen der gesellschaftspolitischen Signalwirkung, aus steuerlichen oder erbrechtlichen Gründen, wegen einer irgendwie vorhandenen Liebe. Jeder Grund scheint bei König denkbar. Denn Konrad und Paul sind ein exemplarischer Fall. König führt hier eine Mustergeschichte vor, eine Probe auf die Tauglichkeit des neuen Gesetzes, das Homosexuellen gleiche Rechte bringen soll, einerseits aber auf halbem Wege stecken geblieben ist, andererseits die Norm noch einmal fester zurrt. Exemplarisch und auf dem Gipfel der Typisierung sind alle skizzierten Figuren. Konrad, der feingeistige, gebildete Ex-Hetero-Mann, ist vor fünfzehn Jahren von Paul, dem derben, jungenhaft dauergeilen Vorstadtschwulen mit Dreitagebart bekehrt worden. In Konrads eloquent vorgetragenen Heiratsantrag platzen Anrufe von Pauls letzten Sexbekanntschaften, auch das ist typisch schwul; Sex findet außerhalb der Beziehung statt.

    Bei Ralf König gibt es wiehernde Handys, Ex-Frauen, die das Pech haben, sich ihr Leben lang mit Männern zu verbandeln, die sich irgendwann als schwul outen, es gibt Mütter, die ihre Söhne anstiften, einer alten Tante das Erbe aus dem Kreuz zu leiern, alte Tanten, die gerissen, aber gnädig gegenüber ihren Neffen sind, vollkommen verstummte Väter oder das befreundete Lesbenpaar, das im Zuge politischer Korrektheit den Freund Konrad nicht unter K im Adressbuch stehen hat, sondern unter M, weil er ein Mann ist, schließlich Ex-Heteros, die die schwule Propaganda als Glaubensbekenntnis herbeten, wie bei Bekehrten oft üblich. König beherrscht die verschiedenen Sprachregister, und er treibt sie dahin, wo sie sich in ihrer Uniformiertheit kaum noch vom Beamtendeutsch unterscheiden: Das Starre, Unbewegliche, die Verspießerung hat also bereits die Formulierungen der Randständigen erfasst, vielleicht ist auch das ein Ergebnis der versuchten Angleichung an die Hetero-Heiratsnorm. Aber dann taucht Gökhan auf, der junge türkische Drogenhändler mit Brustbehaarung und der momentan schwer angesagten "Kanak Sprak". In der einen Hand das Bier, in der anderen die Erektion, so geht es flott unter türkische Decken und später an einen See, an den sich Paul vom potenten Muskelmann gern entführen lässt. Der hat es allerdings auf die Freundin seiner Schwester abgesehen. Da die ihn jedoch abblitzen lässt, wird Paul, mangels Alternative, von Gökhan zu einer Art Leasing-Lover umfunktioniert, verbunden allerdings mit der Drohung, sich nicht mit anderen Männern in flagranti ertappen zu lassen. Gleichzeitig laufen die Hochzeitsvorbereitungen mit Konrad heiß. Die Eltern auf beiden Seiten sind sehr unterschiedlich, aber gleichermaßen schwer bestürzt.

    Über den eher tumben Macho Gökhan scheint Ralf König milde ein paar Foucaultsche Wissenssplitter ausgestreut zu haben. Ahnungslos vertritt der nämlich quasi-vormoderne Ansichten. Noch während er mit Paul im Bett ist, besteht er darauf, nicht schwul zu sein.
    Auch die Vormoderne, das Mittelalter, bestrafte nur den Akt der Sodomie, sie wurde jedoch nicht als identitätsstiftend begriffen. Eine schwule Handlung macht also hier wie in der Logik Gökhans noch lange nicht schwul. - Was fast wie eine Befreiung wirkt inmitten der sonst so starren Lebensprotokolle, die auch die Homo-Welt bereits festgeschrieben zu haben scheinen.

    Mit Ralf Königs wie aus dem Wasser gezogenen Gestalten in ihren beulenden Hosen, mit hängenden Schultern, ihren drei bis vier Haarsträhnen, Nasen und Schuhe groß wie Luftballons, kann man leicht einverstanden sein. Sie sind die ulkigen Imitatoren eines Normalo-Lebens, deren Köpfe allerdings, wenn sie lachen oder schreien, ganz in ihren aufgerissenen Mündern zu verschwinden scheinen. Und das ist vielleicht der zynischste Kommentar eines Comics, der ansonsten in die allgemein-äußerliche Medien- und Meinungswelt allemal besser passt als seine Figuren in ihre Klamotten.

    Ralf König
    Sie dürfen sich jetzt küssen
    Rowohlt, 139 S., EUR 9,90