Freitag, 19. April 2024

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Mögliches EU-Verfahren gegen Polen
"Das wäre schon ein sehr starkes politisches Signal"

Die EU-Kommission könnte Strafmaßnahmen gegen Polen wegen der umstrittenen Justizreformen einleiten. In polnischen Regierungskreisen bestehe die Hoffnung, dass sich Brüssel mit dem Schritt doch noch ein bisschen Zeit nehme, sagte der Politikwissenschaftler Piotr Buras im Dlf. Bis zur Verhängung von Sanktionen sei es ohnehin noch ein weiter Weg.

Piotr Buras im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.12.2017
    Demonstranten gehen während des Marschs für Freiheit am 06.05.2017 in Warschau mit polnischen und Europaflaggen durch die Innenstadt, um gegen die Regierung und für Europa zu demonstrieren. Der Marsch für die Verteidigung der Freiheit und der europäischen Werte wurde unter anderem von der Oppositionspartei Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, PO) organisiert.
    Auch in Polen gibt es Proteste gegen die Justizreform (dpa / Jan A. Nicolas)
    Dirk-Oliver Heckmann: Noch nie hat die EU-Kommission Anlass gesehen, ein Verfahren nach Artikel sieben der EU-Verträge gegen ein Mitgliedsland einzuleiten. Doch das könnte sich mit dem heutigen Tag ändern. Stein des Anstoßes ist natürlich die geplante Justizreform in Polen, und obwohl aus Brüssel Konsequenzen drohen, gibt es in Polen selbst mehrheitlich eine Zustimmung zu dieser Reform.
    Am Telefon ist Piotr Buras. Er ist Journalist, Politikwissenschaftler, Direktor des European Council on Foreign Relations. Schönen guten Tag, Herr Buras!
    Piotr Buras: Guten Tag, Herr Heckmann.
    "Hoffnung, dass sich die Kommission noch ein bisschen Zeit nimmt"
    Heckmann: Herr Buras, gehen Sie auch davon aus wie Günther Oettinger, dass die EU-Kommission heute handelt?
    Buras: Ja. Ich glaube, das ist durchaus möglich. Es hat sich schon seit Tagen, wenn nicht Wochen herumgesprochen, dass die Kommission bereit wäre, diesen Schritt zu machen, wobei natürlich vor allem in Regierungskreisen in Polen, glaube ich, die Hoffnung besteht, dass die Kommission sich noch ein bisschen Zeit nimmt und heute nur die Drohkulisse aufbaut. Es ist ja bekannt, dass der neue polnische Premierminister, auf den auch bestimmte Hoffnungen in Brüssel gesetzt worden sind, Herrn Juncker im Januar in Warschau treffen wird, dass diese Justizreform, von der im Beitrag die Rede war, noch nicht komplett ist. Der Präsident kann noch sein Veto einlegen, auch im Januar. Das heißt, es gibt noch ein bisschen Zeit, die dafür genutzt werden kann, diese Justizreform rückgängig zu machen. Damit wäre vielleicht der Grund auch obsolet, diesen Schritt mit Artikel sieben zu gehen.
    Heckmann: Am Ende wäre ja auch ein einstimmiges Votum notwendig und Ungarn hat ja schon angekündigt, im Zweifel dann an der Seite Polens zu sein. Das heißt, das Ganze ist eine Drohkulisse aus Ihrer Sicht aus Brüssel?
    Buras: Nein, das muss man auch zwischen zwei Schritten unterscheiden. Das, wovon heute die Rede ist, das ist nur der erste Teil dieses berüchtigten Artikel sieben. Das heißt, eine politische Erklärung der EU-Minister, dass in Polen in diesem Fall ein schweres Risiko besteht, dass die fundamentalen Rechte verletzt werden. Es ist noch nicht die Rede von irgendwelchen Sanktionen. Dafür braucht man Einstimmigkeit. Da sind noch zwei weitere Schritte dafür notwendig. Das ist noch ein weiter Weg. Aber natürlich: Selbst der erste Schritt, von dem ich gesprochen habe, das wäre schon ein sehr starkes politisches Signal.
    "Mit dem Prinzip der Gewaltenteilung nicht vereinbar"
    Heckmann: Wie ist es denn um die Rechtsstaatlichkeit aus Ihrer Sicht in Polen derzeit bestellt?
    Buras: Na ja, das sind, wie wir im Beitrag gehört haben, sehr weitreichende Reformen geplant in der Justizreform. Diese Reformen sind zum Teil notwendig, weil das polnische Justizwesen tatsächlich nicht in der besten Verfassung ist. Aber die Art und Weise, wie diese Reform momentan durchgesetzt wird, ist nach der Ansicht von den meisten polnischen Verfassungsjuristen nicht verfassungskonform. Da wird die Rolle der Exekutive im Justizwesen wesentlich gestärkt oder einfach möglich gemacht, was mit dem Prinzip der Gewaltenteilung in einem liberalen demokratischen System nicht vereinbar ist.
    Heckmann: Und davon gehen auch Sie aus, dass das nicht vereinbar ist mit demokratischen Prinzipien?
    Buras: Ja. Ich gehe davon aus, dass das nicht mit Rechtsstaatlichkeitsprinzipien vereinbar ist. Da werden im polnischen politischen Rechtssystem die momentanen Sicherheitsventile herausgenommen und man weiß natürlich nicht, wozu das in der Zukunft führen kann.
    Heckmann: Sie haben den neuen Regierungschef Mateusz Morawiecki angesprochen. Würden Sie denn sagen, dass von ihm zumindest eine Änderung des Kurses zu erwarten sein könnte? Die ersten Äußerungen haben ja nicht unbedingt darauf hingedeutet. Er hat ja gesagt, Polen sei kein Bittsteller, der in Brüssel erst mal anklopfen muss, um zu fragen, ob eine Reform des Justizwesens möglich ist.
    Buras: Nein. Ich glaube, wenn es um diese Reform des Justizwesens oder die Frage der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen geht, die auch umstritten ist, da ist vom neuen Premierminister keine Kursänderung zu erwarten. Was sehr wohl zu erwarten ist, ist wahrscheinlich ein etwas freundlicheres Gesicht gegenüber Brüssel oder gegenüber unseren Partnern in anderen Fragen. Es ist ja auch wichtig, dass Polen sich an die Urteile des EU-Gerichtshofes halten wird, was natürlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber in der Vergangenheit, in den letzten Monaten eben nicht der Fall war.
    "Kaczynski will politisches System umkrempeln"
    Heckmann: Das haben wir ja auch in der Flüchtlingspolitik gesehen, auch in anderen osteuropäischen Ländern. – Letzte Frage, Herr Buras, an Sie: Was ist denn der Grund dafür, dass die rechtskonservative PiS immer wieder offensichtlich Hand anlegt an solche fundamentalen Prinzipien? Das wäre doch eigentlich nicht notwendig, um die eigene Macht abzusichern. Oder doch?
    Buras: Das hat mit einer gewissen Staatsvision zu tun, die der Parteivorsitzende Kaczynski verfolgt, aber auch mit seiner seit langem schon gehegten Einstellung, man müsse das polnische politische System sehr radikal umkrempeln, damit Polen endlich ein souveränes demokratisches Land wird. Er ist bekannt dafür, dass er ein sehr radikaler Kritiker der polnischen Reformen der 90er-Jahre, der polnischen Transformation seit dem Ende des Kommunismus gewesen ist. Er will jetzt zeigen, dass er mit seiner Kritik recht hatte und dass sein Projekt für Polen jetzt endlich durchgesetzt werden kann.
    Heckmann: Wir dürfen gespannt sein, wie die EU-Kommission heute und in den nächsten Tagen und Wochen entscheidet. – Piotr Buras war das, der Direktor des European Council on Foreign Relations. Herr Buras, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Buras: Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.