Samstag, 20. April 2024

Archiv

Hooligan-Gewalt rund um die EM
"Das sind reisende Gewalttäter"

Die Fußball-EM als Bühne: Gewalttäter verschiedener Nationen reisen momentan europaweit umher und prügeln sich nicht nur in Frankreich. Die deutsche Polizei bittet nun um Mithilfe: Zeugen von Gewaltszenen sollen ihre Handyaufnahmen auf der Homepage des BKA hochladen.

Von Ludger Fittkau | 18.06.2016
    Englische Fußballfans fliehen vor Tränengas, das die französische Polizei eingesetzt hat, um Auseinandersetzungen zwischen englischen und russischen Hooligans zu beenden.
    Die französische Polizei setzt bei Krawallen während der EM Tränengas ein (dpa-Bildfunk / AP / Darko Bandic)
    Per "Drag and Drop" – also mit gedrückter linker Maustaste – können Film-Dateien vom eigenen Computer in das "Hinweisportal" auf der Homepage des Bundeskriminalamtes gezogen und abgelegt werden. Das BKA sucht mit Hilfe des übersichtlichen Formulars aktuell vor allem Videomaterial zu den Gewalttätigkeiten am 12. Juni in Lille – vor dem Auftaktspiel der deutschen Mannschaft bei der EM. Eingetragen werden sollte grundsätzlich der genaue Aufnahmeort – die persönlichen Daten des Hinweisgebers werden ebenfalls abgefragt.
    Dieses "Hinweisportal" auf der Homepage des BKA wurde erstmals nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht eingesetzt – auf Bitten des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Bundeskriminalamt wiederum ermittelt in Kooperation mit der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft immer bei gewaltsamen Ausschreitungen deutscher Hooligans im Ausland. So nun auch bei der EM in Frankreich. Von dort aus wurde schon in der ersten Woche der Europameisterschaft reichlich Video-Material hochgeladen, so BKA-Sprecher Markus Koths: "Stand der Dinge ist der, dass wir bereits über 60 Hinweise bekommen haben. Die Arbeit setzt jetzt für uns eigentlich erst richtig ein. Es geht darum, Personen festzustellen, die Straftaten begangen haben könnten. Dieses Untersuchungsergebnis wird dann der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf vorgelegt."
    Von den Kollegen aus den USA gelernt
    Die technische Infrastruktur für das "Hinweisportal" des Bundeskriminalamtes besteht seit einem Jahr. Ein Terrorakt in den USA gab den Ausschlag dafür, auch hierzulande dieses digitale Werkzeug für Ermittlungen anzuschaffen. Markus Koths: "Nach dem terroristischen Anschlag auf den Marathon in Boston 2013 sind die Strafverfolgungsbehörden in den USA damit konfrontiert gewesen, dass viele Augenzeugen Filme und Bilder den Behörden zur Verfügung gestellt haben. Mit so einer Datenmenge muss man umgehen, zumal es sich auch um sehr unterschiedliche Datenformate handelt. Und deshalb haben wir diese Erfahrungen nach dem Boston-Marathon zum Anlass genommen, uns auch hier aufzustellen."
    Beunruhigender Rückblick auf den 15. April 2013: Am Zieleinlauf des weltbekannten Boston-Marathons explodieren zwei Bomben. Sanitäter eilen verletzten Menschen zu Hilfe. Der Anschlag fordert drei Todesopfer, mehr als 260 werden verletzt. Dschochar Zarnajew soll mit seinem später getöteten Bruder die Sprengsätze plaztiert haben.
    Terroranschlag beim Boston-Marathon 2013 (AP Photo/Charles Krupa)
    Wolfgang Müller begrüßt dieses neue Instrument, das für die Ermittlung von gewaltbereiten Hooligans nun zur Verfügung steht. Wolfgang Müller ist Kripobeamter und verantwortlich für die Landesinformationsstelle Sporteinsätze des rheinland-pfälzischen Innenministeriums. Aktuell beschäftigt ihn vor allem die EM in Frankreich – denn wie Nordrhein Westfalen ist auch Rheinland-Pfalz Transitort für Fans, die zur EM wollen:
    "Rheinland-Pfalz ist natürlich auf der Autobahn ein Durchreiseland. Dazu werden von mir jede Woche Lagebilder erstellt, die unseren Polizeipräsidien und der Bereitschaftspolizei Online zur Verfügung gestellt werden. Und diese Art und Weise, dass ganz Themenfeld abzuarbeiten, das machen wir uns auch zunutze während der Europameisterschaft."
    Auflage für "reisende Gewalttäter"
    Grundlage für Einreiseverbote ist dabei die sogenannte "Datei Gewalttäter Sport" der Polizei. Bereits in der ersten Woche der EM wurden mehrere Einreiseverbote für Frankreich gegen bekannte rheinland-pfälzische Hooligans verhängt. Wolfgang Müller: "Die meisten von denen haben fünf bis zehn Ausschreibungen nach Straftaten – alles nach Sportveranstaltungen- natürlich überwiegend Fußballspiele. Und da kann man durchaus drüber nachdenken, dass das reisende Gewalttäter sind."
    Diese Personen bekommen für Spieltage der deutschen Nationalmannschaft die Auflage, sich zwei Stunden vor dem Spiel bei der Polizei an ihrem Wohnort zu melden – damit ist eine Reise nach Paris oder Marseille zum Spielbeginn ausgeschlossen. Diese Auflagen werden umgehend auch der französischen Polizei übermittelt. Dieser Informationsaustausch klappt bisher reibungslos. Im Raum Trier wurden überdies schon vor dem ersten EM-Spiel der Deutschen drei Kleinbusse mit gewaltbereiten Fans aus Dresden gestoppt und nach Hause zurückgeschickt. Wolfgang Müller: "Hier bei dem Vorfall in Trier war es so, dass der Rücktransport zumindest phasenweise von einem Zivilfahrzeug begleitet wurde. Zudem hat ab und zu auch ein Polizeihubschrauber das Gelände überflogen."
    Französische Polizei wird sofort informiert
    Wie die Gewalttaten der russischen Hooligans gegen spanische Touristen in Köln wurde auch das Einreiseverbot gegen die Dresdner Hooligan-Gruppe umgehend der französischen Polizei gemeldet. Über die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze – kurz ZIS – in Duisburg sind dort aktuell auch deutsche Polizisten mit Szenekenntnis im Einsatz. Wolfgang Müller von der rheinland-pfälzischen Landesinformationsstelle Sporteinsätze: "Da sind ja unter der Leitung der ZIS zwölf Kolleginnen und Kollegen eingesetzt. Die verrichten auch Dienst in Uniform und haben auch zum Schutz Schusswaffen dabei."
    In der Regel werden bei grenzübergreifenden Einsätzen gemischte Teams mit der Polizei des Gastgeberlandes gebildet. Doch nicht jede europäische Hooligan-Gruppe kann von der Polizei rund um die Uhr beobachtet werden. Das zeigen jetzt wieder die Taten der russischen Hooligans in Köln.