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Hormonersatz-Therapie
Krebsrisiko ist bisher unterschätzt worden

Es ist gar nicht lange her, da hat fast jede zweite Frau mit Wechseljahrbeschwerden Hormone geschluckt. Lange Zeit galt die Hormonersatztherapie als relativ gut verträglich. Inzwischen weiß man: Die Hormone erhöhen das Brustkrebsrisiko - und nicht nur das, wie eine Studie britischer Wissenschaftler jetzt zeigt.

Thomas Liesen im Gespräch mit Christian Floto | 17.02.2015
    Eine Medizinisch-technische Radiologieassistenten (MTRA) überprüft am Donnerstag (04.03.2010) in Hannover in dem Mammografie Screening Zentrum eine Aufnahme einer Brust.
    Eine Hormonersatz-Therapie lässt das Krebsrisiko steigen. (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)
    Christian Floro: Mein Kollege Thomas Liesen hat sich die Studie genauer angesehen. Was genau haben die Forscher festgestellt?
    Thomas Liesen: Die Forscher haben ihren Blick jetzt nicht auf Brustkrebs, sondern auf Eierstockkrebs gerichtet. Auch da gab es schon lange den Verdacht, dass Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden möglicherweise auch dieses Krebsrisiko erhöhten. Und tatsächlich haben die Forscher herausgefunden: Die Hormoneinnahme erhöht die Gefahr, an Eierstockkrebs zu erkranken, um 40 Prozent.
    Floto: Was heißt das in absoluten Zahlen?
    Liesen: Wenn Frauen fünf Jahre lange Hormone nehmen, bekommt eine von 1.000 Eierstockkrebs, den sie den Hormonen zu verdanken hat. Und eine von 1.700 stirbt daran. Das natürliche Risiko im gleichen Zeitraum ist wie folgt: Innerhalb von fünf Jahren bekommen etwa fünf Frauen Eierstockkrebs, auch wenn sie keine Hormone nehmen. Das Krebsrisiko durch Hormone ist also absolut gesehen vergleichsweise klein.
    Aber die Autoren weisen auf einen besonderen Umstand hin: Zum ersten Mal haben sie auch geschaut, was passiert, wenn Frauen nur kurzfristig Hormone nehmen, also zwei, drei oder vier Jahre. Überraschendes Ergebnis: Auch dann steigt das Risiko für Eierstockkrebs in fast dem gleichen Ausmaß.
    Hinzu kommt ja auch noch das Brustkrebsrisiko durch die Hormoneinnahme. Dieses Risiko ist insgesamt deutlich höher ist als das Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken. Und beide Risiken addieren sich. Unterm Strich muss man also sagen: Das Gesamt-Krebsrisiko bisher eher unterschätzt worden.
    52 Studien ausgewertet
    Floto: Wieso kommt das erst jetzt heraus?
    Liesen: Schon in der wegweisenden amerikanischen Studie von 2002, die damals die Brustkrebsgefahr aufzeigte, haben Forscher gleichzeitig ein erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs wahrgenommen. Das blieb aber in Fachkreisen umstritten. Eine dänische Studie schien allerdings vor fünf Jahren die Ergebnisse der amerikanischen Kollegen zu bestätigen. Und um jetzt endlich Klarheit zu schaffen, haben die Forscher eine Art Mammutprojekt unternommen: Sie haben sämtliche weltweit verfügbaren Studien ausgewertet, die Daten enthielten über den Zusammenhang zwischen Hormoneinnahme und Eierstockkrebs. Am Ende waren für die Auswertung 52 geeignet, rund die Hälfte davon war bisher nie publiziert worden. Die Daten sind also sicherlich die umfangreichsten verlässlichsten, die es bisher dazu gibt.
    Floto: Nehmen Frauen denn überhaupt noch Hormone in den Wechseljahren ein? Dass ein erhöhtes Brustkrebsrisiko besteht, hat sich doch inzwischen wohl herumgesprochen?
    Liesen: Es gab einen Einbruch in den Verschreibungszahlen. Aber Schätzungen zufolge nimmt immer noch jede fünfte oder sechste Frau in den Wechseljahren Hormone, das sind dann weltweit gesehen aber noch viele Millionen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Industrie nie müde wurde - auch Ärzte übrigens nicht -, Hormone weiter zu bewerben. Dazu ist sie einfach ein viel zu großes Geschäft. Und man findet auch heute, wenn man Homepages von Frauenärzten, von Ärzteverbänden schaut, immer noch eine Risikodarstellung, die wirklich geschönt ist. Die englischen Forscher fordern jetzt angesichts der neuen Ergebnisse eine Neubewertung der Behandlungs-Leitlinien für Wechseljahresbeschwerden.
    Floto: Müssen sich jetzt Frauen Sorgen machen, die Hormone nehmen wollen - oder bereits Hormone nehmen?
    Liesen: Das Risiko, an Krebs zu erkranken, ist absolut gesehen gering. Aber: Wechseljahresbeschwerden - so unangenehm sie sein können - sind Befindlichkeitsstörungen und keine Krankheit. Ganz im Gegensatz zu Krebs. Frauen sollten auf jeden Fall die Risiken kennen und dann sorgfältig abwägen, ob sie diese in Kauf nehmen wollen. Die sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko, das ist sicher angesichts dieser neuen Daten in jedem einzelnen Fall mehr denn je zu empfehlen.