Freitag, 19. April 2024

Archiv


Hühnchenfleisch aus Europa zerstört Märkte in Afrika

Die Haushalte werden kleiner, die Essgewohnheiten ändern sich. Ein ganzes Hähnchen steht immer seltener auf dem Speisezettel, statt dessen erfreuen sich Hähnchenschnitzel zunehmender Beliebtheit. Dass ausgerechnet dieser Trend hierzulande Kleinbauern in Afrika in den Ruin treibt, das ist erst einmal überraschend.

Von Ralph Ahrens | 17.03.2005
    Immer mehr gefrorenes Geflügel wird aus Europa nach Afrika ausgeführt. Einen Grund nennt Francisco Marí, Kamerun-Experte und Berater des Evangelischen Entwicklungsdienst in Frankfurt:

    "Weil bei uns – wenn man es salopp sagen will – von dem Huhn nur die Brust gekauft wird und die anderen Geflügelteile links liegen gelassen werden von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern. Und diese Teile müssen ja irgendwo bleiben. Und die Produzenten machen dann einen weiteren Profit, in dem sie diese Hühnerteile einfrieren und nach Afrika schicken."

    Ein Beispiel: Im Jahr 1996 wurden 960 Tonnen gefrorener Hühnchen aus der EU nach Kamerun exportiert, 2003 waren es 22.000 Tonnen. Denn Kameruns Kleinbauern können mit den Preisen der Importeure nicht konkurrieren.

    "Aufgrund der Situation, dass auf dem Markt ihre Hühner nicht mehr gefragt sind und viel teurer sind als unsere billigen Hühnerteile, sind sie im Prinzip pleite – fast zu 80 Prozent. Und wenn sich die Situation mal ändern sollte, können sie auch keine Küken kaufen, weil sie eben verschuldet sind – und da keine neuen Kredite bekommen."

    Und das ist absurd: Denn die Bauern haben erst dank deutscher und europäischer Entwicklungsprojekte jene Kleinkredite erhalten, mit denen sie sich Küken kaufen konnten, um später Eier und Hühner verkaufen zu können.
    Nicht nur das: Europas gefrorene Hühner gefährden die Gesundheit der Menschen. Denn in Ländern wie Kamerun, Mali oder Ghana funktioniert die Kühlkette oft nicht. Francisco Marí

    "Wer schon mal dort war, kann sich vorstellen, wenn die Kühlcontainer am Hafen ankommen, werden sie vom Strom genommen und bei 35 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit schmelzen sie in der Sonne dahin die gefrorenen Hühnerteile. Und werden in kleine Pritschenwagen umgeladen, dann im ganzen Land in die großen Städte, die teilweise 200, 300 Kilometer bei afrikanischen Straßenverhältnissen einige Stunden dann auf den Pritschen liegen und dann irgendwie auf die Märkte kommen. Und nicht mehr so gesund sind."

    Genaue Angaben über die Zahl von Magen-Darm-Erkrankungen fehlten zwar, Francisco Marí verweist aber auf eine Untersuchung des französischen Louis Pasteur Instituts, die im Herbst 2004 veröffentlicht wurde:

    "Das Wichtigste ist, dass 85 Prozent aller Stichproben gezeigt haben, dass das Fleisch nicht mehr für den Verzehr, also für den menschlichen Verzehr geeignet sind. Über 30 Prozent der Stichproben hatten schon Salmonellen und andere Bakterien und Viren, die für den Mensch gefährlich werden können."

    Inzwischen hat sich etwas getan: So hat Kamerun seine Kleinbauern von der Mehrwertsteuer befreit. Das reiche aber nicht aus, meint Karin Ulmer von APRODEV, der Europäischen Dachorganisation protestantischer Entwicklungsorganisationen in Brüssel. Sie sieht Europa in der Pflicht:

    "Wir wollen, dass europäische Politik nicht einfach zuschauen kann, dass hier massiv und unkontrolliert Exporte stattfinden. Und wir fordern ein, dass die Kontrollen verstärkt werden und dass auch geschaut wird, was ist die Verantwortung von den privaten Exporteuren."

    Und die neue europäische Lebensmittelverordnung, die seit Anfang 2005 gilt, sei eindeutig: Ausgeführte Lebensmittel müssen europäische Standards einhalten: So muss Fleisch gekühlt transportiert werden. Aber wo endet diese Verantwortung? Auf See? In afrikanischen Häfen? Wer haftet für die Qualität des Geflügels in den afrikanischen Ländern? Für Karin Ulmer ist die Antwort klar:

    "Wir sagen, dass beim Export von gefrorenem Fleisch oder Hühnchen die Verantwortung der EU-Exporteure den gesamten Vertriebsweg betrifft – bis hin zum Konsumenten in den Entwicklungsländern und nicht nur bis zum Hafen."

    Mit anderen Worten. Wenn bekannt ist, dass europäische Standards nicht eingehalten werden, darf nicht exportiert werden. Das hieße für Kamerun: Die Kleinbauern bekommen wieder eine Chance, mit Eiern und Hühnern Geld zu verdienen.