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Hürden senken bei der Jobsuche
Bahn: "Bewerbungsschreiben kann man sich sparen"

„Hiermit bewerbe ich mich um...“ - so fangen Bewerbungsschreiben meistens an. Die Deutsche Bahn will sich von diesem Satz allmählich verabschieden. Die Erfahrung spreche dafür, Gespräche seien aussagekräftiger, sagte Bahn-Sprecher Achim Stauß im Dlf.

Achim Stauß im Gespräch mit Birgid Becker | 25.06.2018
    Bewerbungsmappen auf einer Tastatur.
    Auf das klassische Anschreiben legt die Bahn keinen Wert mehr (imago/blickwinkel)
    Birgid Becker: Wenn man sich bewirbt, dann gibt es kaum eine schwierigere Hürde im Bewerbungsschreiben als nach dem Satz "Hiermit bewerbe ich mich auf …" irgendeinen besonders kreativen oder klugen oder einfallsreichen Halbsatz zu finden, weshalb man nun ausgerechnet für die eine Stelle in dem einen Unternehmen der weltweit am besten geeignete Kandidat oder die am besten geeignete Kandidatin ist. Meist weiß man’s ja selber nicht so ganz genau und sucht einfach nur einen guten passenden Job.
    Die Bahn will nun der Bewerbungsschreibensqual ein Ende machen. Damit begrüße ich den Konzernsprecher Achim Stauß. Guten Tag!
    Achim Stauß: Guten Tag, Frau Becker.
    Becker: Die Bahn will Bewerbungsschreiben abschaffen. Warum und wie?
    Stauß: Das gilt zunächst mal für alle Schülerinnen und Schüler, die sich ab Herbst auf die Ausbildungsplätze im neuen Jahr bewerben wollen - für unsere etwa 50 Ausbildungsberufe. Warum machen wir das? – Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Einstellungs- oder Bewerbungsschreiben einfach nicht aussagekräftig genug sind. Wir setzen auf das persönliche Gespräch. Wir haben gemerkt, im persönlichen Gespräch können wir am besten herausfinden, ob die Bewerberin, ob der Bewerber zu uns passt.
    Das persönliche Gespräch bringt mehr
    Becker: Bislang ist es ja so, dass diese Bewerbungsschreiben auch ein erster Test sind, eine erste Hürde: Ist das Schreiben formal in Ordnung? Sind Orthographie und Zeichensetzung okay? Hat der Bewerber sich was Nettes einfallen lassen, weshalb er sich für geeignet hält? Kann die Bahn denn auf diesen ersten Eindruck verzichten?
    Stauß: Wir glauben, ja. Wir bekommen ja einen ersten Eindruck schon beim Lebenslauf. Bei manchen Berufen wird auch noch ein Online-Test durchgeführt. Dann wollen wir uns aber den Bewerber oder die Bewerberin wirklich anschauen. Da ist das Bewerbungsschreiben nicht so aussagekräftig und es gibt ja auch viele Möglichkeiten, sich solche Texte herunterzuladen. Im Internet wimmelt es vor Anleitungen. Manchmal helfen auch die Eltern mit. Wir haben oft gemerkt bei Bewerbungsgesprächen, dass da schon eine Lücke ist zwischen der Art, wie das Bewerbungsschreiben formuliert war, und so, wie sich der Bewerber dann präsentiert hat. Ich glaube, diese Hürde können wir herunternehmen, dem Bewerber auch Zeit sparen, und die Zeit kann er, glaube ich, besser nutzen, wenn er sich auf das Bewerbungsgespräch vorbereitet, wenn er sich überlegt, warum er der Richtige für uns ist.
    Einstellung von 19.000 Mitarbeitern
    Becker: Mal ganz anders gefragt, ein bisschen bösartig: Ist das denn zu viel verlangt, ein halbwegs anständiges halbseitiges Bewerbungsschreiben zustande zu kriegen?
    Stauß: Es ist keinesfalls zu viel verlangt. Man kann das verlangen, viele Unternehmen tun das auch. Aber die Erfahrung spricht einfach dafür, dass wir uns diesen Schritt wirklich sparen können. Das haben wir gemerkt bei den Gesprächen, die wir führen, und wir haben es auch gemerkt bei Veranstaltungen wie Bewerber-Carstings. Wir versuchen ja, schon auf viele Art, auch unkonventionell Bewerber für die Bahn zu gewinnen, und da haben wir sehr deutlich das Signal bekommen, dass wir auf diesen Schritt verzichten können, dass wir diese Hürde absenken, damit sich noch mehr bei uns bewerben.
    Becker: Die Bahn ist ein Großarbeitgeber. Die Zahlen sind ja bekannt. Es sollen rund 19.000 Mitarbeiter in diesem Jahr eingestellt werden, darunter 3600 Auszubildende. Sie haben ein bisschen Druck: Bei der Bahn gehen in den nächsten Jahren Tausende Mitarbeiter in Rente. Das heißt, es geht Ihnen auch darum, möglichst niedrige Barrieren zu schaffen?
    Stauß: Genauso ist es. Die Deutsche Bahn wird in den nächsten zehn Jahren ungefähr die Hälfte ihrer Mitarbeiter verlieren. Sie gehen in den Ruhestand. Das ist ein Thema der Altersstruktur im Unternehmen. Aber es gilt nicht nur, diese zu ersetzen, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen für Wachstumsberufe. Wir wachsen. Wir wollen zum Beispiel im Fernverkehr mehr Züge anbieten, das Angebot ausdehnen. Dafür braucht man Lokführer, dafür braucht man auch Wartungspersonal, dafür braucht man Zugbegleiter. Es gibt viele zukunftsträchtige Jobs bei uns und bei uns kann man auch wirklich an der Quelle erleben, was Digitalisierung bedeutet. Wir bauen auf bei sehr vielen hochtechnisierten zukunftsfähigen Jobs, und dafür brauchen wir Menschen.
    Hürde absenken für junge Menschen
    Becker: Das war jetzt die Bewerbung anders herum: Die Bahn bewirbt sich als Arbeitgeber. Ich will aber noch mal bei den Azubis nachfragen. Für junge Leute ist ein Bewerbungsschreiben schwierig, sagen Sie. Wie sieht das aber aus, wenn Sie Ingenieure einstellen wollen? Kann die Bahn auch darauf verzichten, dass die sich in einem Schreiben vorstellen?
    Stauß: Wir versuchen es erst mal bei Schülerinnen und Schülern, die sich auf die klassischen Ausbildungsberufe bei der Bahn bewerben fürs nächste Jahr. Bei anderen, die wir einstellen – und da ist die Zahl ja noch deutlich größer -, da wollen wir erst mal noch ein Einstellungsschreiben sehen. Es gibt durchaus auch Berufsprofile, wo das zunächst mal eine wichtige Information ist, die dort drinsteht. Aber wir haben schon gemerkt, bei den Schülerinnen und Schülern, da können wir, glaube ich, drauf verzichten, und deswegen werden wir in einem ersten Schritt bei dieser Personengruppe auf die Einstellungsschreiben verzichten.
    Becker: Jetzt hat ja nicht nur die Bahn Nachwuchssorgen. Ebenso haben das Handwerker, haben das viele kleine Unternehmen. Ihre Idee, das Bewerben, den Vorgang des Bewerbens so einfach wie möglich zu machen, so niedrigschwellig wie möglich, ist das nach Ihrer Einschätzung auch was für kleinere Firmen, die vielleicht nicht über Plattformen verfügen, wie Sie die einrichten können?
    Stauß: Möglicherweise ist das auch ein Modell für kleinere Unternehmen. Insofern kann ich das nicht vorwegnehmen. Das muss natürlich jedes Unternehmen auch für sich entscheiden, wie aussagekräftig für sie diese Einstellungs-, diese Bewerbungsschreiben sind. Für uns als Großunternehmen ist es, glaube ich, sinnvoll, zunächst mal darauf zu verzichten – nicht so sehr, weil wir uns selber Arbeit sparen wollen, sondern weil wir einfach die Hürde hier absenken wollen für junge Menschen.
    Mobilität als Zukunftsthema
    Becker: Eins noch, was vielleicht nicht für Kleinunternehmen geeignet ist: Der Bonus zur Personalsuche, andernorts auch Kopfprämie genannt. Wie erfolgreich ist das? Bei Ihnen ist es wohl so, dass ein Mitarbeiter einen ordentlichen Bonus bekommt, wenn er einen neuen Kollegen wirbt, oder?
    Stauß: Ja, auch solch ein Modell haben wir schon ausprobiert – mit Erfolg. Nicht zuletzt deshalb, weil sehr viele Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ja auch eigene Kinder haben, die dann die Familientradition fortsetzen. Die Älteren haben die Bahn als einen zuverlässigen, als einen fairen Arbeitgeber kennengelernt und werben am besten natürlich in ihrer Familie oder auch in ihrem Umfeld dafür, sich auch bei der Bahn zu bewerben, vielleicht auch, um eine Familientradition hier fortzusetzen. Und die Bahn hat Zukunft, ich sagte es schon. Wir wollen wachsen, wir werden wachsen. Mobilität ist ein Zukunftsthema. Und gerade mit Blick auf den Klimawandel ist, glaube ich, die Bahn hier auch die richtige Lösung.
    Becker: Danke! – Achim Stauß war das, Konzernsprecher bei der Deutschen Bahn. Die Bahn will allmählich auf Bewerbungsschreiben verzichten. Schönen Tag wünsche ich Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.