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Hüther: Steuern senken und Soli abschaffen

In der Debatte um weitere Maßnahmen gegen die Wirtschaftsflaute hat sich der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, gegen kurzfristige Maßnahmen wie Konsumgutscheine ausgesprochen. Die Nachfrage werde nur dann anziehen, wenn sich das Einkommen der Bürger längerfristig besser entwickle. Hüther schlug vor, die Steuerlast zu reduzieren und den Solidarbeitrag abzuschaffen.

Michael Hüther im Gespräch mit Gerd Breker | 08.12.2008
    Gerd Breker: Die Kritik am frisch verabschiedeten Konjunkturprogramm zeigt offenbar Wirkung. Die Ahnung, dass die beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen werden, wird mehr und mehr zu einer Überzeugung und der Strauß der neuen Ideen, er wird größer und bunter. Klar ist: die Wirkung sollte schnell und nachhaltig sein. Sprich: Investitionen in die Infrastruktur und in die Bildung, sie klettern nach oben auf der Skala der Wünsche und die CSU-Forderung nach Senkung der Steuer- und Abgabenlast wirkt überzeugender. Das Zögern nähert sich dem Ende; Entscheidungen, sie stehen an. Ganz anders Barack Obama, der gewählte Präsident der USA. Er hatte von Beginn an wohl die Ahnung, dass gegen diese Rezession Kleckern nicht ausreiche, sondern nur Klotzen helfe. Die Entwicklung der US-Autoindustrie, sie erfordert ein schnelles Handeln. Fast zwei Millionen Arbeitsplätze hängen daran. Also ist auch der Staat gefordert. Nur niemand will gutes Geld schlechtem hinterherwerfen. Also Hilfe nur gegen Auflagen. Allerdings: wer wie Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman das Ende der Autoindustrie für unvermeidlich hält, der muss sich als Politiker auch um die Schaffung neuer Arbeitsplätze kümmern. Am Telefon begrüße ich nun den Direktor des Deutschen Instituts der Wirtschaft hier in Köln, Michael Hüther. Guten Tag, Herr Hüther.

    Michael Hüther: Schönen guten Tag.

    Breker: Herr Hüther, es sieht so aus, als ob auch bei uns die Zeit der ruhigen Hand vorbei wäre. Es bewegt sich etwas auf Seiten der Politik. Ein baldiges zweites Konjunkturprogramm steht uns offenbar bevor, und das müssen Sie doch eigentlich begrüßen.

    Hüther: Das begrüße ich, weil die Entwicklung es notwendig macht. Wirtschaftspolitik hat sich ja nicht an Konzepten oder Rezeptbüchern, wie sie gerade im Schrank stehen, zu orientieren, sondern am Befund. Der Befund ist in der Tat so, dass wir weltweit einen massiven Einbruch der Nachfrage haben. Wir sehen das an den Auftragseingängen, die in den letzten Monaten dramatisch eingebrochen sind. Das ist auch kein Einzelbranchenphänomen mehr, wenngleich es bestimmte Branchen gibt, wie die Automobilhersteller, die betroffen sind, sondern es insgesamt ein volkswirtschaftliches Phänomen ist. In einer solchen Situation, die wir als eine keynesianische zu deuten haben, muss dann auch entsprechend gegen gehandelt werden.

    Breker: Der Chefvolkswirt der UNO-Welthandelskonferenz Flassbeck hat der Bundesregierung vorgeworfen, die wirkliche Dimension der Rezession noch gar nicht begriffen zu haben. Ist das ein Vorwurf, den Sie teilen müssen?

    Hüther: Ich glaube, hier muss man fair sein. Die Dynamik der Veränderung in den letzten Wochen ist so gewaltig, dass wir ja auch alle mit unseren Prognosen etwas nackt dastehen. Es hilft ja jetzt nichts, sich da als besser wissend zu beschreiben, sondern wir sind im Augenblick ziemlich im Nebel. Was wir sehen ist, dass es weg bricht, und wir sehen im Augenblick nicht wirklich die Bodenbilder. Alle Prognosen, die wir fürs nächste Jahr haben, ob sie sich nun Minus 0,5 Prozent oder bis Minus 1 Prozent bewegen, sind mehr oder weniger gleich wahrscheinlich. Es kommt darauf an, ob wir diesem Prozess nach unten jetzt etwas entgegensetzen. Da ist entscheidend: Da kann man nicht ewig zuwarten. Es ist auch falsch zu sagen, wir müssen erst mal die Durchwirkung des jetzt in der vergangenen Woche beschlossenen Paketes abwarten. Bis man das analysiert hat, ist alles andere Wirtschaftsgeschichte. Nein, jetzt ist ein Handeln in der Breite der Nachfragestützung notwendig und wenn die Politik dieses noch in diesem Jahr beschließen sollte, dann wäre das angemessen und richtig und auch ein wichtiges Signal.

    Breker: Um es ganz konkret zu machen, Herr Hüther. Wir haben weltweit einen globalen Einbruch der Wirtschaft, keinen nationalen Abschwung. Also ist für eine Exportnation, wie die Bundesrepublik Deutschland ja ist, Exportweltmeister, klar, dass diese Säule des Wirtschaftswachstums total weg bricht.

    Hüther: Das ist das, was wir im Augenblick sehen. Insofern ist ja ganz bedeutsam, dass wir bei der Konjunkturpolitik ähnlich wie bei den Risikoabschirmungen für die Finanzmärkte global parallel handeln. Nicht jeder wird das gleiche Instrument nutzen, aber allen muss klar sein, dass sie in die gleiche Richtung zu handeln haben. Da ist das Reagieren unserer Regierung vielleicht etwas sehr zögerlich. Völlig richtig ist, in einer solch globalen Verwerfung muss auch dann in allen Ländern, in Industrieländern gleichermaßen gehandelt werden. Wir sehen die Bereitschaft in Europa, wir sehen - darüber ist eben berichtet worden - die Pläne, die es in den USA für die nächste Administration gibt. Insofern ist ja das Handeln, was wir hinzusetzen, nicht vereinzelt und wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir Trittbrettfahrer bei anderen sind. Wir können auch selbst etwas dazu tun, um diesen Prozess aufzuhalten.

    Breker: Bislang zumindest, Herr Hüther, ist Angela Merkel ja in diesem Punkt ausgeschert. Während also Großbritannien und Frankreich, die sich heute ja auch in London treffen, ja selbst die Europäische Union ordentliche Konjunkturprogramme, große, starke, kräftige Konjunkturprogramme auflegt - Amerika haben Sie selber auch gerade erwähnt; wir haben darüber berichtet -, ist die Bundesrepublik sehr zögerlich gewesen. Das muss sich ändern aus Ihrer Sicht?

    Hüther: Das muss sich ändern. Ich verstehe ein gewisses Zögern, weil man ja immer bei Europa erst den Eindruck hat, das Geld soll über Brüssel verteilt werden. Das ist nicht der Punkt. Aber wir müssen erkennen, dass wir hier parallel zu handeln haben, und die Instrumente, die wir zu diskutieren haben, sind auf dem Tisch. Ausgabenprogramme sind das eine, was diskutiert wird. Ich persönlich habe Zweifel, dass man wirklich, wenn jetzt einige Bürgermeister das zwar so sagen, hinreichend Projekte hat, um in hohen Milliardenbeträgen, 20 Milliarden Beträgen Investitionen von heute auf Morgen zu mobilisieren. Das andere ist die Frage der direkten Stützung der Nachfrage und das würde ich präferieren über eine glaubwürdige Steuersenkung, die insgesamt 25 Milliarden sehr schnell auch zum Jahresbeginn rechtlich wirksam werden lassen kann, weil wir darüber wirklich einen Prozess stärken können, den wir nicht verkennen sollten. Wir haben beim Konsum durch das Sinken der Inflationsrate eine Entlastung. Wir haben kräftige Lohnsteigerungen aus diesem Jahr. All dieses stützt und man sollte dort den Hebel ansetzen, wo die Bewegung schon in die richtige Richtung geht. Der private Verbrauch war das einzige Nachfrageaggregat, das im dritten Quartal real noch gewachsen ist.

    Breker: Wie kann man denn diesen Konsum so fördern, dass es auch schnell wirkt? Die Gutscheine, war das gar nicht mal so eine dumme Idee?

    Hüther: Na ja, die Gutscheine wirken ja nur dann, wenn sie obendrauf kommen, das heißt wenn das, was dadurch an Geld in den Haushalten verfügbar ist, auch sofort zusätzlich ausgegeben wird. Das kann ich mir nicht gut vorstellen. Ich glaube, es werden eher Spargutscheine sein. Das heißt, man wird dieses Geld zu einem vielleicht größeren Teil bei Seite legen oder es ausgeben und anderes dafür zurückhalten. Wenn man den Konsum hebeln will, wenn man beim Konsum mehr Aktivität erreichen will, dann muss man den Leuten klar machen, dass ihr verfügbares Einkommen sich nicht nur kurzfristig, sondern längerfristig besser entwickelt.

    Breker: Ja, und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Zum einen höhere Löhne und zum anderen eben halt in der Tat die Senkung der Steuern und Abgaben.

    Hüther: Und die Löhne sind in diesem Jahr und im vergangenen Jahr deutlicher entwickelt worden. Wir haben eine Ausschöpfung des Produktivitätspfades. Insofern ist jetzt der Staat hier in der Funktion und in der Verantwortung, sich daran nicht als Abschöpfender zu beteiligen, sondern als derjenige, der zurückgibt, der ebenfalls den privaten Haushalten mehr lässt, also eine Senkung der Einkommenssteuer. Gerade im unteren Bereich, wo der Facharbeiter mit seinem zu versteuernden Einkommen sitzt, haben wir eine hohe Progression. Dort also eine Abflachung organisieren. Und wenn wir den Soli abschaffen, ist das für jeden sichtbar auf dem Gehaltszettel als fehlender Posten im Januar. Da kann man relativ schnell 25 Milliarden mobilisieren. Also: der Staat auch in der Verantwortung, seinen Beitrag zu dem zu leisten, was die Tarifvertragsparteien ja getan haben.

    Breker: Und das bedeutet, im nächsten Konjunkturprogramm, was uns ja offenbar bevorsteht, sollte in jedem Fall ein Absatz über Steuererleichterungen drinstehen?

    Hüther: So ist es. Das wäre ein wichtiger Punkt. Man muss vor allen Dingen eines tun: Man darf jetzt nicht wieder eine Ansammlung von 14 oder 18 Einzelpunkten suchen, die man irgendwo schon vor hatte. Es muss ein großer Hebel sichtbar sein und wirksam sein und für jeden erkennbar sein, und das ist die Steuersenkung.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft hier in Köln, Michael Hüther. Herr Hüther, danke für dieses Gespräch.