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Hugo Chavez kämpft um den Machterhalt

Fast 14 Jahre konnte Präsident Hugo Chavez dank der Öleinnahmen Venezuelas den sozialistischen Staatsumbau finanzieren. Doch der Wahlkampf war von Alltagsproblemen geprägt: ausgeufertes Verbrechen, hohe Inflation, der Klientelismus der Chavisten. Der 40-jährige Oppositionskandidat Henrique Capriles macht sich Hoffnungen, die vielen Enttäuschten für sich zu gewinnen. Gestern war Wahlkampfabschluss in Venezuela.

Von Martin Polansky | 06.10.2012
    Chavez - Corazon del Pueblo - Herz des Volkes. Der Slogan des Präsidenten hat ganz Venezuela überzogen. Lieder, Plakate, Transparente. Nach 14 Jahren an der Macht sieht sich der sozialistische Comandante eins mit den Venezolanern. Gerade erst hat er eine Krebstherapie überstanden hat. Nun fühlt er sich wieder gestärkt für seine Mission der sozialistischen Umgestaltung. Hugo Chavez, in pathetischer Höchstform:

    "Chavez ist das Herz des Volkes. Und das ganze Volk ist im Herzen von Chavez. Bei dieser Wahl geht es um zwei Projekte. Das Projekt der Bourgeoisie oder das Projekt des Vaterlandes. Und es gibt zwei Kandidaten: den Kandidaten des Imperialismus und Chavez, den Soldaten des Volkes. Der Kandidat des Vaterlandes, der Kandidat der Unabhängigkeit."

    Aber der Soldat des Volkes muss diesmal befürchten, dass ihm die Venezolaner mehrheitlich die Gefolgschaft verweigern. Der Petro-Dollar-Sozialismus hat bei manchen an Glanz verloren. Auch in den ärmeren Vierteln von Caracas, wo die Opposition ganz bewusst Wahlkampf macht. Wechselstimmung bei einigen Enttäuschten:

    "Wir brauchen einen Wechsel. Von der jetzigen Regierung erwarte ich mir gar nichts mehr."

    "Es gibt keine Sicherheit, viel Verbrechen. Und lange Schlangen vor den staatlichen Läden."

    "Wir wollen Einheit im Land, der Präsident will nur Spaltung. Aber wir sind alles Brüder."

    Venezuela vor der Wahl. Unübersehbar geht ein tiefer Riss durch das Land. Da ist die Mittel- und Oberschicht, die schon lange gegen den roten Comandante ist und auch immer mehr auch Ärmere, die inzwischen genug haben. Auf der anderen Seite stehen Millionen von Anhängern des Präsidenten. Menschen die profitiert haben von Chavez Umverteilungspolitik. Der hat die reichen Öleinnahmen des Landes umgeleitet in die Armenviertel. Tausende Sozialmissionen mit Ärzten und Lehrern gibt es, höhere Mindestlöhne, die Zahl der Stellen im öffentlichen Dienst wurde mehr als verdoppelt. Dazu die Verstaatlichung von mehr als 1000 Firmen und Agrarbetrieben. Die Entschädigungen für die Enteigneten waren oft lächerlich gering. Bilanz nach 14 Jahren: Es gibt heute weniger Ungleichheit, nach UN-Angaben hat sich die Zahl der Armen in Venezuela fast halbiert.

    Dafür ist die Arbeitskleidung nun vielerorts rot. Und der gemeinsame Marsch auf die Kundgebungen ist unausgesprochene Pflicht für so manchen. Das sozialistische Pathos trägt aber nicht weit, glaubt Meinungsforscher Jose Antonio Gil:

    "Der Präsident betont seit Jahren immer stärker das Ideologische, den Staatsumbau. Damit hat er die traditionellen Institutionen des Landes geschwächt und viele Leute ausgeschlossen. Für die meisten Anhänger ist allerdings entscheidend, was für sie rumkommt. Dass sie von den Sozialmissionen profitieren, vielleicht einen Job im öffentlichen Sektor bekommen - oder zumindest die Hoffnung darauf haben können. Das Ideologische ist für sie nicht wichtig."

    Aber in den letzten Jahren haben die alltäglichen Probleme zugenommen: hohe Inflation, eine immense Korruption, wirtschaftliche Schwierigkeiten. Viele Staatsbetriebe gelten als ineffizient, ein großer Teil der Nahrungsmittel muss importiert werden. Entscheidend aber: Das sozialistische Projekt hängt beinah vollständig vom Erdöl ab. In Chavez Amtszeit ist der Ölpreis lange angestiegen - aber als er nach der internationalen Finanzkrise 2008 einbrach, fehlte plötzlich Geld zur Umverteilung. Auch Venezuela lebt inzwischen zunehmend auf Pump. Und im Zeichen des Wahlkampfes hat Hugo Chavez die Ausgaben drastisch erhöht. Er weiß, was seine Wähler von ihm erwarten.

    Kundgebung von Henrique Capriles Radonski, dem Präsidentschaftskandidaten der Opposition. Der 40-Jährige könnte dem Amtsinhaber richtig gefährlich werden. Denn praktisch das gesamte Anti-Chavez-Lager hat sich hinter Capriles gesammelt, der in einer Urwahl zum Kandidaten bestimmt wurde. Henrique Capriles, Sohn einer reichen Familie, hat schon Wahlen gewonnen. Er war Bürgermeister eines Bezirks von Caracas, bis vor kurzem Gouverneur des wichtigen Bundesstaates Miranda. Gerade auch bei Ärmeren hat er gepunktet mit eigenen Sozialprogrammen. Und er verspricht: Erfolgreiche Sozialmissionen sollen fortgesetzt werden. Sein Motto: Pragmatismus statt Ideologie und dem weltweiten Sendungsbewusstsein des roten Comandante:

    "Caracas ist inzwischen eine der gefährlichsten Städte der Welt. Aber die Regierung spricht vom Ziel des universellen Gleichgewichts und des planetarischen Friedens. Ich will Euch den Frieden in den Stadtvierteln von Caracas garantieren, ihn in jedem Winkel des Landes bringen. Ich will Frieden in Venezuela."

    Die meisten Umfragen jetzt sehen zwar immer noch Hugo Chavez vorne. Aber sie gelten als wenig verlässlich. Ein Sieg von Capriles hätte Auswirkungen weit über Venezuela hinaus. Hugo Chavez unterstützt linke Regierungen in ganz Lateinamerika, versucht mit dem Regionalbündnis ALBA den Kontinent gegen die USA in Stellung zu bringen. Mit Kuba gibt es eine enge Zusammenarbeit - Ärzte gegen Öl. Der linke Präsident von Nicaragua, Daniel Ortega, lässt sich seine Sozialprogramme zum großen Teil aus Venezuela finanzieren. Mit all dem dürfte Schluss sein, sollte Chavez die Wahl verlieren. Edmundo Gonzales, außenpolitischer Berater von Henrique Capriles, drückt es so aus:

    "Jedes einzelne Abkommen muss überprüft werden. Klar ist aber: Venezuela hat nichts zu verschenken. Unsere Ressourcen müssen bei uns eingesetzt werden. Solange bei uns Schulen, Krankenhäuser oder Straßen fehlen, sollten wir unseren Ölreichtum so vernünftig wie möglich einsetzen."

    Anspannung in Venezuela. Die Opposition will flächendeckend Wahlbeobachter in die Lokale schicken, um Fälschungen zu verhindern. Das Wahlsystem ist doppelt abgesichert. Die Stimmen werden sowohl digital als auch in Papierform registriert. Beide Seiten versichern, dass sie jedes Ergebnis anerkennen werden. Manche Chavisten warnen aber vor einem Volksaufstand sollte die Opposition gewinnen.
    Es geht um viel bei der Wahl am Sonntag: die Ära Chavez, 14 Jahre sozialistische Umgestaltung - um die Geldquelle der lateinamerikanischen Linken. Der Comandante kämpft und warnt. Alles stehe auf dem Spiel. Und eine Drohung schwingt dabei mit:

    "Die Mittelklasse soll wissen. Es ist auch für Euch besser, wenn ich gewinne. Denn wir stehen für Frieden und Stabilität. Passt bloß auf, dass ihr uns nicht in die Gewalt treibt. Denn ihr werdet dabei verlieren. Und wir werden die bolivarische Revolution nur noch weiter vertiefen."