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Hugo Müller-Vogg: Wulff muss sich an seinen eigenen Maßstäben messen lassen

"Der Bundespräsident ist eine Art moralische Instanz", sagt der Autor des Wulff-Interview-Buchs "Besser die Wahrheit". Gerade weil Wulff stets großen Wert auf Moral gelegt habe, müsse er klärende Worte finden. Sonst könne er "als moralische Instanz eigentlich nicht mehr auftreten", so Hugo Müller-Vogg.

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Gerd Breker | 14.12.2011
    Silvia Engels: "Besser die Wahrheit", so heißt ein Interview-Buch, das der Publizist Hugo Müller-Vogg im Jahr 2007 mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff geführt hat. Gestern Abend sprach mein Kollege Gerd Breker mit Hugo Müller-Vogg über die neuen Vorwürfe in Richtung Christian Wulff und seine erste Frage war: Hätte er damals sein Buch nicht "Besser die volle Wahrheit" nennen sollen?

    Hugo Müller-Vogg: Ja, das wäre eine Möglichkeit gewesen. Nun hat ja Konrad Adenauer erklärt, es gebe drei Arten von Wahrheit: die einfache, die reine und die lautere Wahrheit. Insofern hätte der Titel eigentlich heißen müssen "Besser die lautere Wahrheit".

    Gerd Breker: Christian Wulff ist Jurist, sein Verhalten juristisch kaum anfechtbar, und dennoch wohl mit fadem Beigeschmack. Diesen faden Beigeschmack hat er offenbar selber gemerkt, sonst hätte er nicht Mitte letzten Jahres den Kredit gegen einen Bankkredit getauscht, oder?

    Müller-Vogg: Ja, das ist richtig. Nun hat er den Bankkredit auch aufgenommen zu einem Zeitpunkt, als die Zinsen günstiger waren. Aber an der ganzen Sache muss man ja eines sehen: Es geht ja nicht darum, ob Herr Geerkens oder seine Frau irgendwelche politischen Vorteile davon hatten, oder geschäftliche Vorteile davon hatten, dass sie mit dem Ministerpräsidenten befreundet waren und ihm in einer finanziell angespannten Situation geholfen haben. Entscheidend ist, ob der Eindruck entstehen kann, dass da etwas gemauschelt wird, und dieser Eindruck kann natürlich entstehen, und da müsste eigentlich ein sensibler Politiker von vornherein darauf achten, dass dieser Eindruck nicht aufkommen kann. Aber wir wissen ja bei Herrn Wulff, dass er mehrfach bei solchen Dingen etwas, sagen wir mal, locker gehandelt hat. Das war bei der Air Berlin Affäre und auch sein Urlaub als Bundespräsident in der Villa von Herrn Maschmeyer zeigt ja auch nicht gerade, dass das Fingerspitzengefühl besonders ausgeprägt ist.

    Breker: Nun hat Christian Wulff – Sie wissen es so gut wie kaum ein anderer – eine nahtlose Politikerkarriere hinter sich, von der Schülerunion bis hin zum Bundespräsidenten, also durch und durch ein Berufspolitiker. Ist es da natürlich, dass man die Bodenhaftung verliert?

    Müller-Vogg: Ja, die Gefahr besteht natürlich immer und es ist auch sehr schwer, sich dagegen zu wehren. Das gilt ja auch für andere Leute, die eine steile Karriere machen, nehmen wir mal das Beispiel Sportler, Gesangsstars oder so. Aber ich glaube, auch bei diesen Politikern ist immer ein bisschen das Problem: Die verdienen relativ wenig Geld. Der Christian Wulff hatte als Ministerpräsident in Niedersachsen ein Netto-Jahreseinkommen von 100.000 Euro - das entspricht so etwa einem besseren Sparkassendirektor, mit einer ungleich größeren Verantwortung -, und da kommt oft bei Politikern das Gefühl auf, sie seien eigentlich unterbezahlt und hätten eigentlich Besseres verdient und nutzten dann so manche Möglichkeit. Es gibt viele Politiker in allen Parteien, die in verantwortungsvoller Position immer darüber geklagt haben, dass sie eigentlich viel zu wenig verdienen, und Christian Wulff ist ja nicht der Einzige, der versucht hat, durch persönliche Beziehungen so manchen finanziellen Vorteil zu erlangen, der rechtlich gar nicht angreifbar ist, der aber eben das hat, was man im allgemeinen Sprachgebrauch ein Geschmäckle nennt.

    Breker: Müssen denn Politiker wirklich bessere Menschen sein als all die anderen?

    Müller-Vogg: Politiker generell müssen keine besseren Menschen sein, aber die Maßstäbe, die an sie angelegt werden, sind natürlich auch andere. Nun ist natürlich Christian Wulff einer – und das zieht sich durch die gesamte politische Karriere -, der immer großen Wert gelegt hat auf Anstand und Moral. Er hat ja schon als junger Mann in der Union sich Feinde gemacht, weil er damals bei der Flick-Spendenaffäre gegen die Amnestie war und als junger Mann Helmut Kohl herausforderte. Er hat auch in der Spendenaffäre Kohls dann 1999/2000 sehr harsche Urteile gefällt, er ging mit Kohl viel härter ins Gericht als andere. Und er hat in diesem Jahr – das darf man nicht vergessen – bei zwei großen Reden, einmal beim Gewerkschaftstag von ver.di und einmal beim Bankentag – auf die Vorbildfunktion der Eliten hingewiesen. Er sagte zweimal wörtlich, wer zur Elite eines Landes gehören will, muss Vorbildfunktion und auch Verantwortung übernehmen - ohne Wenn und Aber. Und nun ist ja zweifellos der Bundespräsident Teil der Elite, wenn nicht gar an der Spitze der Elite, und diesen Maßstab muss er auch für sich gelten lassen, für sich persönlich.

    Breker: Und was müsste er jetzt aus Ihrer Sicht, Herr Müller-Vogg, tun? Buße tun, Fehler eingestehen?

    Müller-Vogg: Also er müsste den Fehler eingestehen und er müsste sich auch in gewisser Weise entschuldigen. Er muss ja mit sich eigentlich ausmachen, ob er seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird. Der Bundespräsident ist ja kein Mann, der Macht hat. Der Bundespräsident ist eine Art moralische Instanz. Hans-Peter Schwarz, der Historiker, sprach einmal von einem Art weltlichen Oberpriester. Und jemand, der selbst im Verdacht steht, Dinge gemacht zu haben, die nicht ganz in Ordnung waren, der kann nicht in einer Rede beispielsweise geldgierigen Bankern vorwerfen, dass sie sich zu hohe Boni bewilligen. Also wenn Wulff hier nicht klärende Worte findet und auch nicht sich zu einer Entschuldigung aufrafft, wird er als moralische Instanz eigentlich nicht mehr auftreten können.

    Breker: Aber zurücktreten muss er nicht?

    Wulff: Nein, zurücktreten muss er nicht. Es ist ja auch hochinteressant, dass die SPD und die Grünen mit Rücktrittsforderungen sich zurückgehalten haben. Da muss man nur schauen, wie ist die Bundesversammlung zusammengesetzt. Dort in der Bundesversammlung, die jetzt einen neuen Präsidenten wählen müsste, hat die CDU/CSU zusammen mit der FDP eine knappe Mehrheit und die SPD und die Grünen liegen etwa 150 Sitze zurück, und selbst zusammen mit der Linkspartei blieben sie noch hinter CDU und FDP. Also ich glaube, aus der Sicht von SPD und Grünen ist ein beschädigter und damit neutralisierter Bundespräsident angenehmer als ein neu gewählter, der sozusagen mit der Kraft oder mit dem Schub, den er durch eine Wahl bekommt, neue Autorität hat. Der wäre für die SPD und die Grünen nicht so angenehm, als wenn ein angeschlagener Wulff im Amt bleibt.

    Engels: Gerd Breker im Gespräch mit dem Publizisten Hugo Müller-Vogg.

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