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Human Brain Project
Umstrittene Großprojekt bemüht sich um Rückhalt bei Forschern

Das Ziel des Human Brain Project ist es, das menschliche Gehirn in seiner Gänze zu simulieren. Beim FENS Forum, dem Treffen der Europäischen Gesellschaft für Neurowissenschaften, wollen die Forscher des Projekts nun eine Plattform präsentieren, die allen Neurowissenschaftlern als Infrastruktur zur Verfügung stehen soll, um sie für eine Zusammenarbeit zu begeistern.

Von Anneke Meyer | 04.07.2016
    Computergrafik des menschlichen Gehirns von der Seite.
    Das menschliche Gehirn. (imago / Science Photo Library)
    Zufrieden zeigt Sonja Grün auf zwei Diagramme mit vielen kleinen schwarzen Strichen. Die Darstellung des neuronalen Geplappers vieler hundert Nervenzellen. Die Abbildungen sehen sich ziemlich ähnlich, obwohl sie ganz unterschiedliche Urheber haben. In der einen sind die Erregungsmuster echter Neuronen abgebildet. Die andere stammt von einem Computerprogramm, dem einige der Regeln der Zellkommunikation beigebracht wurden.
    "Die Beobachtungen, die man im Gehirn macht, sind selten selbsterklärend, und man möchte eigentlich verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Wenn die nachgebaut werden können in einem Modell, dann kann ich die Daten per se besser verstehen."
    Das gesamte Gehirn soll simuliert werden
    Klingt einfach, ist es aber nicht. Um die Aktivität eines winzigen Teils des Gehirns nachzuempfinden, hat die Wissenschaftlerin vom Forschungszentrum Jülich die Hilfe vieler Kollegen, viele Computer und Daten gebraucht. Die Ergebnisse sind Teil eines der größten Forschungsprojekte der Welt: Im Human Brain Project geht es darum, das gesamte Gehirn zu simulieren und seine Arbeitsweise zu verstehen.
    Ein hochtrabendes Ziel, das beim Workshop auf der Tagung der Federal Europen Neuroscience Society überraschend handfest daherkommt. Sonja Grün ist als eine von mehreren Projektpartnern angetreten, um andere Neurowissenschaftler für einen Werkzeugkasten zu begeistern: Das "Human Brain Collaboratory". Einer Sammlung von Online-Plattformen, die das Großprojekt Ende März der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
    Grün: "Das ist eine Dimension, die man im eigenen Lab nicht mehr hin kriegt. Und dadurch, dass sozusagen das Framework zur Verfügung gestellt wird im Rahmen von dem Collaboratory, wo man auf die verschiedenen Plattformen zugreifen kann, ist das viel leichter, als wenn ich erst Kontakt aufnehmen muss zu den verschiedenen Leuten, Daten hin und her schicken und so."
    Großprojekt hat Rückhalt in der Forschung verloren
    Im "Collaboratory" können Wissenschaftler gezielt Kollegen für eine Zusammenarbeit finden, Datenbanken durchstöbern, Modelle verwenden und teilweise sogar auf die Rechenkraft von Supercomputern zugreifen.
    Jeffrey Mueller ist technischer Koordinator des Human Brain Projects und leitet den Aufbau der Plattform:
    "Es gehört zu den Zielen des Human Brain Project, IT-basierte Werkzeuge für die Erforschung des Gehirns zur Verfügung zu stellen und damit eine Community um das Projekt zu bilden. Mit diesen Plattformen haben wir einen gemeinsamen Schritt gemacht, solche Werkzeuge der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Natürlich ist nicht alles gleich weit entwickelt, aber wir haben einen Grundstein gelegt, und jetzt können wir die Community in unsere nächsten Schritte mit einbeziehen."
    Die Community mit einzubeziehen, dafür wird es höchste Zeit. Das Human Brain Project hat seit seinem Start vor knapp drei Jahren viel Rückhalt verloren.
    Unter dem Vorwurf, die Ziele seien unrealistisch und die Entscheidungsfindung intransparent, hatten rund 800 Forscher in einem offenen Brief den Boykott des Projektes angedroht. Die darauf berufene Schlichtungskommission kam letztes Jahr zu dem selben Ergebnis wie das europäische Gremium, das den wissenschaftlichen Fortschritt begutachtete: Soll das Projekt erfolgreich sein, muss es weg vom Hirnsimulator, hin zu realistischen Zielen.
    Mueller: "Es gab immer die Absicht, diese Forschungswerkzeuge der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, aber das Gutachten der EU-Experten hat den nötigen Nachdruck gegeben, der Infrastruktur eine höhere Priorität einzuräumen."
    Die Ziele des Human Brain Projects haben sich deshalb aber nicht verändert, meint Jeffrey Mueller. Verändert hat sich die Art und Weise in der sich das Großprojekt präsentieren will:
    Das Projekt braucht mehr Daten
    "Die Simulation des menschlichen Gehirns ist nach wie vor Kernbestandteil des Projektes. Aber uns ist auch ganz klar, dass es eine Menge Arbeit ist, dort hin zu kommen. Eine Infrastruktur zu bauen, ist von entscheidender Bedeutung. Aber wir brauchen auch die Menschen, die sie benutzen. Das Human Brain Project ist zwar groß, aber um seine Ziele zu erreichen, brauchen wir eine globale Zusammenarbeit."
    Sieben Jahre bleiben dem Human Brain Project noch, um zu beweisen, dass es nicht einem Hirngespinst hinterher jagt. Damit bis Ende dieser Periode immerhin neue Erkenntnisse über die Arbeitsweise des Gehirns gewonnen werden, braucht das Projekt zurzeit vor allem eines: mehr Daten. Eine Versorgungslücke, die vielleicht geschlossen werden kann, wenn es gelingt, den Rückhalt der vielen unabhängigen Forscher zurück zu gewinnen und sie zur Mithilfe zu bewegen. Deren Begeisterung scheint derweil noch gedämpft. Kaum dreißig der rund dreitausend Tagungsteilnehmer kamen, um mehr über den Neurowissenschaftlichen-Werkzeugkasten zu erfahren.