Donnerstag, 28. März 2024

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Zukunft der Arbeit
"Wir müssen vergleichbare Arbeitszeiten schaffen"

Wie wird die Arbeit in Zeiten der Digitalisierung verteilt? Wie kann Arbeit flexibler organisiert und gerechter bezahlt werden? "Es gibt keine Verbesserung der Lage der Frauen in einer Gesellschaft, in der Vollzeit die Männer und Teilzeit die Frauen arbeiten", sagte Jutta Allmendinger im Dlf.

Jutta Allmendinger im Gespräch mit Karin Fischer | 01.05.2019
Jutta Allmendinger spricht als Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin auf einer Pressekonferenz des Statistischen Bundesamtes am 03.05.2016
Forscht über Gesellschaftsmodelle und die Zukunft der Arbeit - Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (dpa/Soeren Stache)
"Die Sorge, dass der Mensch durch KI überflüssig wird, teile ich gar nicht", sagt Jutta Allmendinger. Wenn bestimmte Arbeiten künftig Maschinen erledigten, werde auch mehr Arbeitskraft frei für die Zuwendung zueinander. Trotzdem hinkten Organisationen und Unternehmen, aber auch die Wissenschaft der technischen Entwicklung hinterher. "Wir haben keine digitalen Büros, keine vernetzten Städte, die Vernetzung des Verkehrs lässt zu wünschen übrig." Das liege aber nicht an mangelnder Innovationsfreude der Deutschen.
Duales Hochschulsystem für Ältere öffnen
Die große "Vermächtnisstudie" des WZB zeige, dass die Deutschen durchaus innovationsaffin seien, dass sie die neuen Technologien lernen wollten, dass sie oft aber nicht wüssten, wo sie für eine Umschulung hin sollten. "Wir müssen unser duales Hochschulsystem öffnen für Menschen, die über dreißig oder vierzig sind." Und: "Es muss sich ein ganzes Mind-Set ändern, statt dass man Verantwortung hin- und herschiebt".
Die Arbeitszeitverteilung gerechter machen
Insbesondere Frauen werde zugemutet, alles parallel zu machen: die Familie und die Erwerbsarbeit. Flexible Lebensmodelle der Zukunft erforderten flexible Antworten, aber nicht auf der Grundlage des männlichen Erwerber-Modells mit Fünf-Tage-Woche, die dann noch in den Abend und ins Wochenende hinein entgrenzt wird. "Wir brauchen eine Erwerbsarbeit, die wirklich für die Arbeit außerhalb der bezahlten Erwerbsarbeit Zeit lässt. Und damit auch ein Ende setzt der Arbeitszeitverteilung zwischen Männern und Frauen." Allmendinger stellt sich eine im Schnitt 33- oder 34-Stunden-Woche vor. Die ermögliche dann auch, über viele Jahre länger, aber oft eben auch kürzer zu arbeiten - für die Pflege der Kinder, der Eltern oder für das Erlernen eines neuen Berufes. "Es gibt keine Verbesserung der Lage der Frauen in einer Gesellschaft, in der Vollzeit die Männer und Teilzeit die Frauen arbeiten."
Neue Lebensverlaufsmodelle rechnen
Die in Vollzeit arbeitenden Männer kommen eher in Führungspositionen, verdienen mehr Geld und haben hörere Anreize, ununterbrochen im Arbeitsmarkt zu sein. "Wir müssen vergleichbare Arbeitszeiten schaffen. Das ist für mich der Hebel, und dieser Hebel wird in Tarifverhandlungen noch viel zu wenig genutzt." Nun gehe es darum, Möglichkeitsstrukturen aufzubauen, etwa Führungspositionen in Teilzeit auszuschreiben. Sonst müssten gleichberechtigte Lebensmodelle scheitern. Allmendinger fordert einen "gesetzlichen Strukturwandel, was die Besteuerung betrifft; einen institutionellen Strukturwandel, was die Normalarbeitszeit und deren Verteilung über den Lebensverlauf betrifft; und es wäre ja gelacht, wenn wir solche Lebensverlaufsmodelle nicht rechnen und dann administrieren könnten."
Kein bedingungsloses Grundeinkommen
Zum bedingungslosen Grundeinkommen sagt Jutta Allmendinger: "Wenn man fragt, was den Menschen wichtig ist, auch in Zukunft, dann ist das die Erwerbsarbeit. Sie ist das Zentrum unseres sozialen Sicherungssystems. Und es ist bei weitem nicht nur das Geld." Die Menschen wollten sich durch Arbeit ein anderes Leben erschließen. "Das ist auch wichtig für die Gesellschaft. Wir brauchen die Begegnung von unterschiedlichen Menschen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.