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Humboldt-Forum
Bürgerhaus und Mikrokosmos-Modell für das 21. Jahrhundert

Das Humboldt-Forum soll ähnlich wie das Centre Pompidou in Paris ein Bürgerhaus werden, sagte Horst Bredekamp, Mitglied der Gründungsintendanz des Humboldt-Forums, im DLF. Es liefere Antworten auf die Frage, wie wir uns in einer globalisierten Welt definieren. Das könne man nicht besser manchen als über die Geschichte der Artefakte der gesamten Welt.

Horst Bredekamp im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 27.07.2015
    Ansicht des Humboldt-Forums von der Nord-West-Seite
    Ansicht des Humboldt-Forums von der Nord-West-Seite (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt: Franco Stella mit FS HUF PG)
    Burkhard Müller-Ullrich: Seit Wochen, seit Monaten, seit Jahren hören wir vom Berliner Stadtschloss. Erst gab es Streit darum, ob es überhaupt wiederaufgebaut werden solle, dann war die Finanzierung fraglich, und schließlich ging's darum, wozu es, wenn einst fertiggestellt, denn dienen solle. Die letzte Frage wird jetzt mit einem sonderbaren Neologismus beantwortet, er lautet: Humboldt-Forum. Schon vor 200 Jahren, also zu Georg Wilhelm Hegels Zeiten, wurde in Berlin über Sinn und Form von Museen gestritten: Dienen die Gebäude den Dingen oder die Dinge den Gebäuden? So ähnlich ist es auch heute. Unter dem Titel "Humboldt-Forum" wird eine Grundsatzdiskussion geführt, die wir hier in "Kultur heute" mit einer ganzen Reihe von Gesprächen aufnehmen und aufdröseln wollen, und den Anfang macht jetzt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, Mitglied der Gründungsintendanz des Humboldt-Forums. Mit ihm habe ich über die Raison d'Être des ganzen Projekts gesprochen und ihn zunächst gefragt, was das für ein Kulturtempel ist, von dem eigentlich niemand auf Anhieb sagen kann, wozu er dient, denn selbsterklärend ist das ja alles nicht.
    Horst Bredekamp: Ja, die mangelnde Selbsterklärung des Humboldt-Forums ist mir ein Rätsel und tatsächlich auch ein Rätsel geblieben, weil die Idee so einfach und so klar ist. Sie wird dann klar, wenn man sie historisch aufschlüsselt. Im Berliner Schloss war die Kunstkammer, die Kunstkammer war ein Mikrokosmos der gestalteten Welt. In diesem Mikrokosmos gab es einen großen Bereich von Werken außereuropäischer Kulturen, vorkolonial gesammelt, also nicht als Trophäe, sondern aus Wissensdurst und Empathie und Sympathie für fremde Kulturen, und dieser Prozess soll gleichsam zurückgespult werden - ein Mikrokosmos in einem nicht hierarchischen Zusammenhang als Modell für das 21. Jahrhundert. Das ist die Idee, und die halte ich nach wie vor für großartig.
    Müller-Ullrich: Nun ist allerdings die Rekonstruktion der Kunstkammer nicht unbedingt mit dem Humboldt-Forum als solchem identisch. Also zunächst mal kann man sagen, das ist das meistdiskutierte, größte Projekt, ich wüsste überhaupt kein teureres Museum, was in den letzten zehn, zwanzig Jahren irgendwo auf der Welt eröffnet wurde. Wüssten Sie eins?
    Bredekamp: Ja, China, das Nationalmuseum. Das ist größer, aber die Werke, die dort hineingekommen sind - ich habe es leider nicht besichtigen können -, sind aber teils neu erschlossen worden, sodass die Tiefe, die historische Tiefe dort nicht gegeben ist. So gesehen kann man tatsächlich von vielleicht einem der größten oder dem größten Projekt überhaupt sprechen.
    Humboldt-Forum soll Bürgerhaus werden
    Müller-Ullrich: Und damit ist auch gesagt, dass das Ganze unter erheblichem Druck steht, jetzt nicht nur finanziellem Rechtfertigungszwang, weil vielleicht die Menschen zwischen Kiel und Konstanz nicht ganz verstehen, warum so ein Bohai um dieses Projekt in Berlin gemacht wird. Es ist aber - und insofern ist Ihr Verweis auf China auch interessant - natürlich ein mit politischen Ansprüchen befrachtetes Projekt.
    Bredekamp: Ja und nein. Es soll ein Bürgerhaus werden. Die Kulturpolitik, die mit der Bundesrepublik verbunden ist, hat darin ein sehr großes Ansehen international, dass sie weitgehend - sie ist nie ganz politikfrei, kann es nicht sein -, aber dass sie weitgehend autonom organisiert wird. Das gilt für die Goethe-Institute und das Auftreten allgemein. Und ich habe ja für die Humboldt-Universität 2001 den Vorschlag gemacht, dass sich die Universität beteiligt dort in der Kommission, und der Beschluss der Kommission gilt durch Bestätigung durch den Bundestag bis heute. Es wäre unausdenkbar gewesen, mit dem Berliner Schloss eine Art Regierungspalast zu verbinden, sondern ein Bürgerhaus, so wie das Centre Pompidou - das ist das Modell -, und dieses soll und muss auch durchgeführt werden.
    Blick in das Foyer des Humboldtforums
    Blick in das Foyer des Humboldtforums (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt: Franco Stella mit FS HUF PG)
    Fassaden sind größtenteils authentisch
    Müller-Ullrich: Regierungspalast natürlich nicht in dem Sinne, dass dort Entscheidungen getroffen werden, dass dort regiert wird, aber dass es eine Kulisse gibt für staatliches Handeln, und die Kulissenhaftigkeit des Ganzen, die ist ja nun eklatant.
    Bredekamp: Die Kulisse bezieht sich auf die Fassaden, die allerdings in großen Teilen authentisch sind, und das, was rekonstruiert wird nach dem Modell des tatsächlich von Schlüter, dem Architekten, Überlieferten. Man kann das kritisieren, ich hab das zu Anfang mehr insgeheim als laut auch kritisiert, ich hab mich aber stark gewandelt. Es wird für meinen Begriff eine großartige Architektur, die in sich spannungsvoll ist. Und dieses Moment hat der Architekt Franco Stella im Grunde aus der Urbanistik von Berlin her gezogen und begriffen und umgesetzt. Das Berliner Schloss wird auf sehr banale Weise mit Preußen und dann oft auch im negativen Sinn mit dem sogenannten preußischen Militarismus verbunden. Seine Funktion war durch die Jahrhunderte eine andere: Zunächst einmal der Ausweis, dass Preußen eine Monarchie geworden war und damit auf derselben Ebene wie die anderen europäischen Monarchien sich darstellen konnte. Aber das Schloss war von den preußischen Herrschern selten geliebt. Wir waren oft in Potsdam oder an anderen Orten, und das Haus war eine Art Ausgleichsfunktion. Man konnte dort Petitionen abgeben, es fanden Maskenbälle statt, in denen alle Hierarchien aufgehoben waren. Das Haus hat eher einen mediatisierenden Charakter gehabt als ein Von-oben-herab-Botschaften-Vermittelns. Das ist das Historisch-Politische, dass eben überhaupt nicht eindimensional mit einem Zerrbild von Preußentum verbunden werden kann.
    Und das Zweite: Es funktioniert im Verein mit dem Alten Museum, 1830 eröffnet von Schinkel, und dieses Museum hat eine griechische Fassade. Das ist die Befreiungskultur, der Befreiungskampf der Griechen damals gegen die Türken, die mit großer Sympathie verbunden wurde - viele Preußen kämpften dort in Griechenland. In diesem Moment bekommt das Alte Museum eine griechische Fassade als Gegenüber des Barockschlosses. Und das ist eine derartige Spannung von Bau und Konterbau, dass die Wiedererrichtung der Fassade keine Kulisse ist, sondern es wird eine Spannung in der Mitte von Berlin wieder erzeugt, die man schon heute, obwohl die historische Fassade noch gar nicht großflächig zu sehen ist, bereits heute spüren kann. Die Mitte Berlins hat sich bereits jetzt verändert, sehr positiv. Es ist ein Maß und eine Spannung entstanden, die sich noch verstärken wird, wenn der Bau fertig steht.
    Spiegelung von transeuropäischen und europäischen Werken
    Müller-Ullrich: Also nehmen wir mal diese ganzen positiven und menschenfreundlichen und demokratieaffinen Aspekte auf, unter anderem wird es ja auch dadurch symbolisiert, dass ein Durchgang geschaffen wird, dass die Menschen also Tag und Nacht zumindest in den Baukörper an einer Stelle ein- und an einer anderen Stelle wieder heraustreten können. Gleichwohl muss man sagen, wenn es denn ein so großes, tolles Haus gibt, dann muss es natürlich erfolgreich sein und sich mit Menschen füllen. Ist da ein ethnografisches Museum, ein ethnologisches Museum das Richtige dafür? Die haben doch normalerweise nicht so einen Erfolg.
    Bredekamp: Ja, das ist ganz unterschiedlich. Also das British Museum hat das gezeigt, Paris, Quai Branly, wie immer man es bewertet, ist doch von den Besucherzahlen her von der Wahrnehmung ein großer Erfolg. Wie gesagt, über die Ästhetik kann man streiten, aber es ist ein gewaltiger Erfolg ...
    Müller-Ullrich: Aber nun gerade nicht so erfolgreich wie zum Beispiel das von Ihnen schon angesprochene Centre Pompidou?
    Bredekamp: Nein, das Centre Pompidou ist auch unvergleichlich in seiner freistehenden Erscheinung und einer Kultur, in die es hineingebaut wurde, die dafür nun empfänglich war, die Aktivierung der Besucher - das hat heute etwas abgenommen. Aber ich würde die Gegenfrage stellen: Welches Objektensemble soll denn in einer sich globalisierenden Welt einen höheren Rang einnehmen als das Ensemble von europäischen und nicht europäischen Werken, in denen sich die Wünsche und die Utopien und auch die Pressionen der Menschen materialisieren in den Objekten? Welcher Gegenstandsbereich ist in dieser Situation denn wertvoller als eine Spiegelung von transeuropäischen und europäischen Werken? Das halte ich für einen Schlüssel unserer Zeit und kann vor diesem Hintergrund die Frage, was denn die ethnografischen Sammlungen in der Mitte Berlins sollen, überhaupt nicht verstehen. Wie gesagt, historisch kommen sie daher. Es ist ein Rückspulen in eine Situation, die vom 16. Jahrhundert im Grunde also dem Vorgängerbau und dann dem Schlüter-Bau nach 1700 gegeben war.
    Keine künstliche Verfrachtung, sondern eine Rückkehr zum angestammten Ort und zugleich die brennende Frage, die uns heute bewegt: Wie definieren wir uns in einer globalisierten Welt? Und wie wollen wir das besser tun als über die Geschichte der Artefakte der gesamten Welt? Das ist eine so großartige Idee, dass ich denke, eine Frage nach der Legitimation dieses Ortes erübrigt sich. Man muss sagen, Chapeau! Eine Nation, eine Republik hat den kostbarsten Ort ihrer Erscheinung, ihrer Präsenz den nicht europäischen Objekten gewidmet. Das ist eine große Idee, und das wird dann auch eine große Leistung sein.
    Müller-Ullrich: Wunderkammer oder Forschungsraum - das war der Kunsthistoriker Horst Bredekamp zum Auftakt unserer Gesprächsserie "Das Humboldt-Forum und seine Geschichte(n)".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.