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Humboldt-Forum
"Objekte knüpfen an Kolonialgeschichte an"

Ausstellungsstücke aus ehemaligen Kolonien zeigten, welche Vorstellungen Europäer von Afrika hatten, sagte Jonathan Fine, Kurator der Afrika-Abteilung im künftigen Museum Humboldt-Forum.Viele dieser Objekte seien bei Feldzügen oder als Geschenke an den deutschen Kaiser hierher gekommen. Manche ganz normal durch den Handel, sagte Fine.

Jonathan Fine im Gespräch mit Michael Köhler | 02.08.2015
    Königsthron, Kamerun (Bamum) Geschenk von König Njoya an Kaiser Wilhelm II, 1908
    Königsthron, Kamerun (Bamum) Geschenk von König Njoya an Kaiser Wilhelm II, 1908 (Bildausschnitt) (Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum)
    Michael Köhler: Und jetzt setzen wir unsere sommerliche Reihe über das Humboldt-Forum und seine Geschichten fort. Im wiederaufgebauten Stadtschloss will das Berliner Humboldt-Forum ein Labor des Weltwissens und der Kulturen sein. Dazu zählt auch, dass die prächtigen Sammlungen aus Berlin-Dahlem in die Mitte der Stadt rücken. Die Afrika-Abteilung des Ethnologischen Museums umfasst allein rund 75.000 Objekte, von denen viele sagen, dass sie sich mit den Beständen des Londoner British Museum und des Pariser Musée Quai Branly nicht nur messen können, sondern sie übertreffen.
    Jonathan Fine ist Kurator der Afrika-Abteilung im Ethologischen Museum und Spezialist für die Thematik. Denn gerade an der Afrika-Abteilung lassen sich Routen und Roots einer Sammlung nacherzählen. Das Museum als Ort des Sammelns und Erinnerns muss seine eigene Geschichte heute mit erinnern, miterzählen. Dazu zählt auch und gerade die koloniale Vergangenheit vieler Stücke.
    Ich habe Jonathan Fine zuerst gefragt, was kann ich an einer Holzschale aus Kamerun, an Wolfsmasken und Kraftfiguren oder an einem prächtigen Perlenthron eines Herrschers aus Bamum ablesen und erkennen?
    Jonathan Fine: Das Objekt, das Sie gerade erwähnt haben, ist ein wirklich sehr imposantes Objekt. Das ist ein Holzthron aus dem Königreich Bamum im Westkamerun. Das ist ein sehr großes, fast lebensgroßes oder überlebensgroßes Objekt aus Holz, was mit Perlen überall und Kaurimuscheln bestickt ist.
    Königsthron, Kamerun (Bamum) Geschenk von König Njoya an Kaiser Wilhelm II, 1908
    Königsthron, Kamerun (Bamum)Geschenk von König Njoya an Kaiser Wilhelm II, 1908 (Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum)
    Köhler: Farbig, ne?
    Fine: Das ist sehr bunt und sehr prächtig. Was kann man daraus lernen? Ich glaube, Objekte sind Anknüpfungspunkte – Anknüpfungspunkte für die Geschichte, für die Geschichte von den Objekten selbst, wie sie gemacht worden sind, woher sie stammen, aber auch die Geschichte, wie sie nach Deutschland gekommen sind und die Umstände, unter denen sie sich jetzt in unserem Museum befinden. Man kann aus diesen Objekten sehr viel von der Ästhetik ableiten und auch von der Bedeutung, wie sie die Bedeutung geändert haben im Laufe der Jahre.
    Vielfältige Wege der Ausstellungsstücke zum Museum
    Köhler: Und die Objekte haben oft einen langen Weg. Sie haben eine Kolonialgeschichte, nicht nur eine Geschichte, sondern eine Kolonialgeschichte auch. Früher stand oft einfach an den Objekten dran oder an den Legenden: Schenkung. Das ist ein bisschen knapp formuliert, teilweise auch irreführend, ich glaube, Sie werden anders vorgehen.
    Fine: Das frühere Geschichte von vielen Objekten in dem Museum stammen aus der Kolonialzeit, aber nicht nur. Einige Objekte kommen aus der Königlich-Preußischen Kunstkammer, andere Objekte sind nach der Kolonialzeit, also bis fast zur Gegenwart, ins Museum gekommen. Aber bei diesen Objekten ist es natürlich ein Ziel von unseren Ausstellungen, ihre Geschichte deutlich zu machen, und dazu gehört natürlich eine Erklärung von den Bedeutungen von diesen Objekten in den Herkunftsgesellschaften, den Kontext, wie sie erworben wurden, häufig in den Handel gekommen sind und dann schließlich ans Museum gekommen sind.
    Das ist sehr wichtig, und das kann man und soll man nicht pauschalisieren, denn die Wege dieser Objekte sind sehr vielfältig. Einige von denen sind natürlich in Feldzügen oder Strafzügen von Kolonialtruppen genommen wurden, geklaut worden, andere sind als Geschenke von Herrschern an deutsche Kolonialbeamte und sogar auch an den deutschen Kaiser gegangen. Andere sind ganz normal durch den Handel erworben worden.
    Köhler: Sie ziehen mit Ihrer Sammlung, der Afrika-Abteilung des Ethnologischen Museums, um in die Mitte Berlins – was sind Ihre kuratorischen Absichten und Ziele, es weht Ihnen ja auch ein bisschen Kritik regelmäßig entgegen, auch von englischen, amerikanischen Autoren, die sagen, na ja, ist das nicht am Ende doch wieder eine neokoloniale, eine hegemoniale Geste, die da gemacht wird. Ich denke, solche Gedanken werden Sie sich auch gemacht haben.
    Fine: Ja, das sind zwei Fragen. Meine kuratorischen Ziele sind wirklich, diese Ausstellung als Anfangspunkte aufzustellen, dass Leute das Museum besuchen können und die Kunst, Kultur, Ästhetik und Geschichte von vielen afrikanischen Ländern sehen können, und dass man die Verflochtenheit oder die Verflechtungen zwischen Afrika und anderen Erdteilen erkennen kann.
    Köhler: Seit der Antike.
    Fine: Seit der Antike, ja. Also in einem Modul in den afrikanischen Ausstellungen werden wir zum Beispiel, ich und meine Kollegin, Paula Ivanov, Keramikobjekte aus China ausstellen, weil diese in Ostafrika zu finden waren, häufig bei Grabstätten. Und da sieht man sofort, dass der Handel zwischen China und Afrika stattgefunden hat. Zu Ihrer zweiten Frage, ob das eine neokoloniale Geste ist, in das Schloss zu kommen, also in diesem zentralen Bereich von Berlin diese Objekte auszustellen:
    Ich sehe das nicht so ein. Ich sehe, dass das wirklich wichtig ist, diese Objekte, diese Geschichten da als einen Teil der deutschen Geschichte und einen Teil der Geschichte der Welt auszustellen. Das ist, glaube ich, nicht als eine neokoloniale Geste zu sehen, sondern vielmehr als eine Geste, die die Wichtigkeit dieser Sammlung und ihren Geschichten andeutet.
    Sammlung bestimmt auch Vorstellungen Europas
    Köhler: Also so etwas wie den transkontinentalen Prozess wollen Sie deutlich machen und das nicht als isolierte Objekte und Kunststücke, die wir dann bestaunen, zeigen, denn es ist immer ja auch interessant, was gefunden oder gezeigt wird oder mitgebracht wurde und was nicht mitgebracht wurde. Also es ist immer auch ein Stück unseres eigenen Fremdbildes, das wir von Afrika haben, wenn wir die Objekte angucken. Es ist ja auch immer interessant zu wissen, was nicht gesammelt wurde.
    Fine: Das stimmt, das stimmt wirklich. Die Sammlungen des Ethnologischen Museums von dem Bereich Afrika widerspiegeln nicht nur die Objekte, die Kulturen und die Geschichten Afrikas, sondern auch die Vorstellungen von Europäern – Forschern, Truppen, Kolonialbeamten und so weiter –, und diese Vorstellungen kann man auch da sehr gut sehen und lesen. Und wenn man die so sieht und versteht, kann man dann diese ganze Weltgeschichte besser erkennen.
    Rückforderungsanfragen werden kommen"
    Köhler: Das Spektrum, das Sie zeigen, reicht von kongolesischen Masken über koloniale Beutekunst bis hin zu diesen typischen hölzernen Särgen, wie wir sie im Stil von modernen Automobilen teilweise kennen. Das ist ja ein sehr breites Spektrum. Meine Frage: Fürchten Sie nicht, dass in dem Moment, wo Sie eröffnen, Sie vielleicht auch mit Rückforderungen irgendwann mal konfrontiert werden?
    Fine: Ich sehe das nicht als eine Furcht, sondern als einen ganz normalen Prozess von der musealen Arbeit. Es werden bestimmt Rückforderungsanfragen kommen, und die müssen dann geprüft werden, die Geschichten von den betroffenen Objekten untersucht und dann eine Entscheidung getroffen, ob die Objekte zurück an den Steller oder an die Person, die die Rückforderungsanfrage gestellt hat, zurückgehen soll oder nicht. Das ist, glaube ich, ganz normal. Das kommt nicht häufig vor, aber das kommt in allen Museen der Welt vor, glaube ich.
    Köhler: Denn wir sprechen miteinander in einem Moment, da der Besuch einer Delegation der Herero und anderer Volksstämme gerade beim Bundespräsidenten eine Petition abgegeben hat zur Anerkennung des Völkermordes, den die Deutschen an den Herero verübt haben. Also das ist nicht nur im Bereich des Ästhetischen, was Sie da machen, das ist brisant.
    Fine: Ja, das stimmt. Diese Geschichte möchten wir auch thematisieren. Es gibt zwar kein Modul zu dem Völkermord in Namibia, aber Objekte aus Namibia werden ausgestellt in einem Ausstellungsbereich, was wir die gläserne Studiensammlung nennen, und da wird diese Geschichte thematisiert. Das sind in der Regel nicht Kunstobjekte, das sind eher Kleidung und Objekte, die einzelnen Personen gehört haben.
    Köhler: Was macht Ihnen am meisten Spaß, sich jeden Tag mit afrikanischer Kunst zu befassen? Sie sind ja nicht alleine mit dieser Auffassung. Also die klassische Moderne, die großen Maler waren ja auch schon fasziniert davon – ob es Beckmann oder Picasso oder Klee oder wer auch immer waren, die Faszination teilen sie ja mit vielen. Was ist es für Sie, sozusagen der Ursprungsgeschichte der Menschheit in die Augen zu gucken?
    Fine: Nein, zuerst muss man ganz deutlich sagen, das ist nicht die Ursprungsgeschichte der Menschen. Also Afrika ist nie primitiv gewesen. Diese Idee, dass Afrika primitiv war, ist eine Vorstellung aus der Kolonialzeit und häufig von Menschen in Europa betrieben. Was mich wirklich fasziniert, sind afrikanische Kunstobjekte als Kunstobjekte, aber auch als eine Projektionsfläche, worauf verschiedene Menschen ihre Vorstellungen von Afrika projiziert haben und wie diese Sichtweisen sich im Laufe der Zeit geändert haben und warum. Und das kann man an den Objekten, aber an den Objekten in ihre Geschichten eingebettet gut erkennen. Und das finde ich wirklich faszinierend.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.